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Corona-Alarmzustand in SpanienEine Krise braucht Demokratie

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Die spanische Regierung hat sich auf die zweite Corona-Welle wider besseres Wissen nicht vorbereitet – weder gesetzlich, noch im Gesundheitswesen.

Intensivpfleger in einem Krankenhaus in Madrid Foto: Sergio Perez/reuters

S paniens Regierungschef Pedro Sánchez hat angesichts der zweiten Coronawelle erneut den Alarmzustand – einen zivilen Ausnahmezustand – ausgerufen. Anders als im Frühjahr soll es keinen vollständigen Lockdown geben, sondern nur nächtliche Ausgangssperren und – falls notwendig – Einschränkungen in der Mobilität. Sicher, die Zahlen zeigen, dass drastische Schritte notwendig sind. Doch das Problem ist das Warum und das Wie dieses Ausnahmezustandes.

Die jetzige Situation war vorherzusehen. Doch die Regierung ließ fast acht Monate verstreichen, ohne die Gesetzeslage so anzupassen, dass gezielte Eingriffe ohne Ausnahmezustand für ein ganzes Land möglich sind. Hinzu kommt, dass Sánchez Corona-Hilfsgelder an die Regionen vergab, ohne zu überprüfen, wohin sie fließen. Madrid etwa hat 1,7 Milliarden Euro bezogen, ohne, wie zugesagt, das Netz der Kontaktverfolger auszubauen oder zusätzliches Personal im Gesundheitswesen anzuheuern.

Ende der Woche wird die Regionalregierung in Madrid mit großer Marketingshow ein neues Pandemiekrankenhaus eröffnen. Es hat mehr als 50 Millionen Euro gekostet. Es ist ein Krankenhaus ohne eigenes Personal. Die notwenigen Ärzte und Pfleger werden aus anderen Hospitälern abgezogen. Das verschärft die angespannte Lage noch.

Anders als im Gesetz vorgesehen, will Sánchez den Ausnahmezustand nicht alle zwei Wochen vom Parlament verlängern lassen. Er will gleich sechs Monate. Und es ist zu befürchten, dass ihm die Mehrheit im Parlament diesen Gefallen tut. Die Möglichkeit schwerwiegender Einschränkungen von Grundrechten, wie dem der Bewegungsfreiheit, bis Mai ohne parlamentarische Kontrolle – Demokratie muss anders aussehen, auch in einer Krise.

Mit dem Alarmzustand will Sánchez zurück zu den Zahlen von Anfang Juli, als tagelang keine Covid-Toten zu beklagen waren. Damals hatten es Regionalregierungen und Sánchez eilig, das Land zu öffnen, um die Sommersaison im Tourismus zu retten. Jetzt sterben wieder 200 Patienten täglich. Und das alles wegen einer Handvoll Euro.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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2 Kommentare

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  • Kein Land hat sich auf eine zweite Welle vorbereitet.



    Auch wurde keinerlei getroffene Maßnahme bisher evaluiert. Wir hier in DE stehen doch auch so da wie vor sechs Monaten. Ok, individuelle Masken haben wir genug, selbst genäht (Wirkung?). Hände desinfizieren?, Corona App?, Innnestädte nur noch mit Masken besuchen, mehr Lüften, .... geprüfte und definiert wirksame Verfahren die eine dauerhafte Verbesserung oder gar Viruseliminierung bringen würden sehen für mich anders aus.

    Ich befürchte man kann sich auch kaum auf zweite dritte vierte Wellen vorbereiten. Nur dann sollte man das einfach sagen: "Wir müssen damit leben bis wir einen Wirkstoff oder eine Impfung haben. Bis dahin muss die Wahrscheinlichkeit einer Masseninfektion runtergedrückt werden durch Maßnahme a.) bis x.). Konstant und dauerhaft."



    Nur dann gäbe es kein weiteres Wellenreiten in den nächsten Monaten.



    Das ganze Gestammel: "Auf die nächsten Tage kommt es an..." oder "jetzt zwei Wochen durchhalten...." das ist doch "Pfeifen im Walde" und am Thema vorbei. Egal ob in ES oder DE.

    • @Tom Farmer:

      Kein Land in Europa jedenfalls. Naja, Norwegen vielleicht, und Finnland, und die baltischen Staaten (außer evtl Estland, wo es aus irgendeinem Grund nicht so gut läuft).

      Ansonsten volle Zustimmung. Alles, was Deutschland noch bleibt, ist auf andere zu zeigen, und zu sagen: seht mal, dort ist es noch schlechter als bei uns. Froh sein, dass es nur schlimm, aber nicht ganz schlimm ist, statt sich zu fragen, wie gut es eigentlich sein könnte, ist in den letzten Jahren ein Trend geworden in "diesem unserem Lande". Besonders bei Zukunftsthemen wie Klimaschutz ist das auffällig, und generell bei allem wo sich ein Vergleich mit den Trump-USA als Negativbeispiel anbietet: "Immerhin ist es nicht so wie unter Trump". Was ist das für ein Politikverständnis, das das "kleinere Übel" als Maß aller Dinge nimmt, statt sich zu fragen, warum man sich überhaupt mit einem Übel abzufinden habe?