Corona-Alarm in NRW: Ausnahmezustand im Kreis Heinsberg
In Nordrhein-Westfalen haben sich mindestens sechs Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Hunderte stehen unter häuslicher Quarantäne.
Das Paar aus der 19 Ortsteile umfassenden, knapp 12.000 Einwohner*innen zählenden Gemeinde Gangelt wird im Düsseldorfer Uniklinikum behandelt. Beide leiden an einer Lungenentzündung, der 47-jährige Mann muss beatmet werden. Sein Zustand sei kritisch, aber stabil, so der ärztliche Klinikdirektor Dieter Häussinger.
Erkrankt sind auch eine Mitarbeiterin des Mannes sowie deren Lebensgefährte. Nachgewiesen wurde das Covid-19-Virus auch bei einem Bundeswehrsoldaten, der bei der Flugbereitschaft der Luftwaffe in Köln arbeitet. Er gilt als enger Freund des Ehepaares. Mit Corona infiziert ist außerdem ein Arzt des Krankenhauses Maria Hilf in Mönchengladbach, der im Kreis Heinsberg wohnt.
Befürchtet werden nun weitere Erkrankungen: Das Ehepaar aus Gangelt habe während der bis zu zweiwöchigen Inkubationszeit, in der „sie das Virus verbreiten konnten, am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben teilgenommen“, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf.
Die 46 Jahre alte Frau arbeitet als Erzieherin in einer Kita. Auf das Virus getestet werden deshalb nicht nur die dort betreuten 65 Kinder. Auch der Mann soll als freiberuflicher Makler viel unterwegs gewesen sein – und hat am 15. Februar eine Karnevalsveranstaltung im Gangelter Ortsteil Langbroich besucht. Das NRW-Gesundheitsministerium rief die etwa 300 Teilnehmer*innen dieser „Kappensitzung“ auf, sich beim Infektionsschutz-Krisenstab des Kreises Heinsberg zu melden: Schließlich werden im Karneval traditionell viele „Bützchen“ genannte Küsse ausgetauscht.
Im Kreis Heinsberg stehen deshalb bisher mehrere hundert Menschen unter häuslicher Quarantäne. Eine „Sisyphosarbeit“ sei die Suche nach möglichst allen Infizierten, sagte der CDU-Landrat des Kreises Heinsberg, Stephan Pusch. Die rund 100 Mitarbeiter*innen recherchierten mit Hochdruck, wer alles Kontakt mit den Erkrankten gehabt habe. Sie befragen Angehörige, sichten das Vereinsregister des Karnevalsvereins. In Videobotschaften rief Pusch mögliche Infizierte auf, „Disziplin“ zu zeigen und sich an die angeordnete häusliche Quarantäne zu halten.
„Wir können nicht garantieren, dass wir die Infektionsketten gestoppt kriegen“, hatte NRW-Gesundheitsminister Laumann eingeräumt. Aber für Panik bestehe keinerlei Anlass, betonte Minister Laumann: „In 80 Prozent der Fälle gibt es einen leichten Krankheitsverlauf“, sagte der Minister – „wie bei einer leichten Grippe, bei der man zu Hause bleibt, fiebersenkende Mittel nimmt und viel schläft“. Auch Hamsterkäufe seien völlig unnötig, sagte der Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW, Roland Schäfer. Die wenigen bisher bestätigten Corona-Infektionen stünden in keinem Verhältnis zur gewöhnlichen Influenza-Grippe. An der sind in den vergangenen zwei Jahren jeweils rund 20.000 Menschen gestorben – ohne jedes öffentliche Aufsehen.
Landrat Stephan Pusch und der Bürgermeister von Gangelt, Bernhard Tholen, stellten sich unterdessen vor das zuerst infizierte Ehepaar. Das steht mittlerweile im Zentrum eines Internet-Shitstorms: Beiden wird vorgeworfen, fahrlässig andere infiziert zu haben. „Sie verdienen unser Mitgefühl, nicht Vorwürfe“, sagte Pusch dazu in einem Video: „Es hätte jeden von uns treffen können. „Wer von uns hätte auf fest gebuchte Karnevalsveranstaltungen verzichtet“, fragt der Rheinländer darin, „weil er etwas erkältet ist?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“