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Corner-Verbot in Hamburg„Wer denkt an uns? Leider niemand“

Das Verbot des Alkoholverkaufs an Wochenenden in Hamburgs Szenevierteln trifft vor allem Kioske. Besuch bei Kiosk-Besitzerin Esra Simsek.

Seit 16 Jahren betreibt sie einen Kiosk in der Schanze: Esra Simsek Foto: André Zuschlag

Hamburg taz | Mi ttwochvormittag in der Schanze. Ein paar Tourist*innen schlendern durch die Straßen, Esra Simsek steht an ihrem Platz und schaut gerade aufs Handy. Seit 7 Uhr ist in ihrem Kiosk in der Susannenstraße nahe der S-Bahn-Station. Ein älterer Herr in Arbeitsmontur kauft eine Liter-Flasche Cola, ansonsten summt das Radio leise im Hintergrund. Die Kühlschränke mit zig verschiedenen Getränken sind prall gefüllt. Viel los ist gerade nicht.

Abends an den Wochenenden hingegen sind die Plätze und Fußwege hier rappelvoll. Es sind vor allem jüngere Leute, die sich hier treffen, um gemeinsam etwas zu trinken. Doch seit einigen Wochenenden gilt ein Alkoholverkaufsverbot in der Schanze und auch in Teilen St. Paulis und in Ottensen. Die Kioske und auch die Supermärkte dürfen ab 20 Uhr kein Bier, Wein und Schnaps mehr verkaufen.

So wollen die Bezirksämter das Cornern unterbinden, weil die Abstandsregeln wegen der Corona-Pandemie nicht eingehalten werden. Sie argumentieren: Die Kioske sind die heimlichen Gastgeber für alle, die an den beliebten Treffpunkten cornern. Wenn sie keine Getränke mehr verkaufen, löst sich auch das Problem der großen Ansammlung von Menschen auf kleiner Fläche.

Was aber bedeutet das für Kioske? Wir fragen Esra Simsek, was sie von dem Verkaufsverbot hält.

Extremer Zulauf in der Schanze

Esra Simsek: Grundsätzlich finde ich für die Anwohner*innen das Verkaufsverbot gut. Es war auch notwendig, weil es dieses Jahr einen extremen Zulauf hier in der Schanze gibt. Es ist ständig voll hier! Das war in den Jahren davor eigentlich ein bisschen rückläufig. Das habe ich auch am Umsatz gemerkt. Dieses Jahr waren die Massen nicht mehr akzeptabel.

Früher hatte ich den Laden bis zum Schluss auf, aber in den vergangenen Monaten habe ich ihn früher geschlossen. Es ist zu viel los und ich kann die Abstandsregeln auch nicht mehr kontrollieren. Da verzichtete ich zwar dann auf Geld, aber es bringt mir auch nichts, wenn ich krank werde.

Dass aber wir Kioske daran Schuld sein sollen, finde ich gemein. Wir sind nicht Schuld daran. Weil einige sich nicht an die Regeln halten wollen oder können, sind wir doch nicht dafür zu bestrafen.

Und die Leute kommen ja dennoch in die Schanze, auch wenn wir am Wochenende geschlossen haben. In den letzten Wochen ist die Schanze trotzdem voll gewesen. Es wird zwar gesagt, dass es an den vergangenen Wochen ruhig geblieben ist, aber es ist genauso viel los und genauso laut wie vorher. Da ich auch Anwohnerin bin, bekomme ich das ja ganz gut mit.

Manchmal denke ich, dass da eine Politik für die Gastronomie hintersteckt und den Bars und Lokalen damit geholfen werden soll. In den letzten Jahren wird der Versuch von allen Seiten gemacht, uns unter Druck zu setzen. Uns ging es, als Corona losging, ja auch nicht gut und niemand kam in den Laden. Da stand ich hier alleine und habe auf Kunden gehofft und gewartet. Und ich warte auch jetzt hier auf Kunden, obwohl ich wenig Einnahmen habe. Wer denkt an uns? Leider niemand.

Betrieb lässt sich mit Alkoholverbot nicht aufrechterhalten

Auf Dauer lässt sich der Betrieb mit dem Alkoholverbot nicht aufrechterhalten. Ich mache derzeit am Wochenende abends zu und gehe nach Hause. Es lohnt sich nicht. Andernfalls müsste ich das Geschäft umbauen. So ist es zu riskant, wenn ich geöffnet habe. Dann übersehe ich jemanden, der sich einfach ein Bier aus dem Kühlschrank schnappt – es wird ja auch gerne mal mitgenommen ohne zu bezahlen – und damit rausgeht. Dann habe ich die Strafe zu zahlen. Das Risiko ist mir zu hoch.

Emra Simsek

betreibt seit 16 Jahren den Kiosk Susannenstraße unweit der Roten Flora im Schanzenviertel. Ab sieben Uhr morgens steht sie täglich hinter der Kasse. Neben der Arbeit hat sie angefangen, Steuerrecht zu studieren.

Wir haben jetzt fünf Wochenenden geschlossen. Das Sommergeschäft ist nun vorbei, der Winter wird hart. Dann muss ich jetzt langsam überlegen, was ich noch machen kann. Umbauen? Andere Artikel ins Sortiment nehmen? Ich habe ja noch ein relativ großes Zeitungsangebot, aber das wird immer weniger. Vom Zeitungsverkauf kann ich nicht mehr leben.

Ich stehe seit 15, 16 Jahren hier. Früher wurde noch viel gekauft, heute bin ich froh, wenn 100 Euro Umsatz am Tag reinkommen. Es sind die älteren Anwohner*innen, die hier täglich ihre Zeitung holen und für die bin ich da. Wovon soll ich leben? Was soll ich verkaufen, wenn es hier um die Ecke Budni, Rewe und Co. gibt? Es werden viele Kioske kaputt gehen durch das Verbot. Was wird aus den Leuten, die bislang davon leben?

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