Constructor University in Bremen: Gescheiterter Uni-Kapitalismus
Nirgendwo in Deutschland war das Konzept der Privatuniversität wissenschaftlich erfolgreicher als in Bremen. Und nirgends wurde es so diskreditiert.
Es gibt ja Leute, die sagen: Im linken Bremen hatte so eine Privatuniversität wie die Constructor University (CU) nie eine echte Chance. Da ist was dran. Doch es ist auch nur die halbe Wahrheit. Denn erstens war die International University Bremen, wie sie anfangs hieß, ja ein Projekt der SPD, also ihres damaligen Bürgermeisters Henning Scherf. Zweitens hat ihre spätere Entwicklung viel mit Missmanagement zu tun. Und schließlich ist die Geschichte der Privatuniversität auch eine falscher Erwartungen: „Harvard ist der Maßstab“, verkündeten einst die Frankfurter Allgemeine und die Kanzlerin.
In der deutschen Vorstellung meinte das nicht allein das wissenschaftliche Renommee, sondern auch eine Finanzierung, die ohne den Staat auskommt, weil Philanthrop:innen (und Zinsen) das übernehmen. Von 500 Millionen D-Mark war anfangs die Rede. Sie blieben aus. Doch auch die Vorbilder aus den USA hängen zu 20 bis 30 Prozent vom Staat ab. Bremen indes weigert sich – parteiübergreifend – strikt, nochmal öffentliches Geld in die Uni zu stecken. Zur Gründung 1999 gab das Land 230 Millionen D-Mark, später 50 Millionen Euro Kredit. Das sollte reichen, so das politische Versprechen.
Also hat Bremen 2021 seine Jacobs University, wie sie damals gerade hieß, für kleines Geld an einen russisch-singapurischen Investor aus der IT-Branche verkauft, Serguei Beloussov, der sich heute Serg Bell nennt. Der versprach dem rot-grün-roten Senat, bis zu 50 Millionen Euro zu investieren, die Uni vor der drohenden Insolvenz zu bewahren und daraus ein rentables Wissenschaftsunternehmen zu machen.
Damit war das Problem für das politische Bremen erledigt. Oder zumindest aus dem Sinn. Bisher habe Bell über 15 Millionen Euro in Bremen investiert, sagt eine Sprecherin der Uni.
Gab es je eine Chance?
Die interessante Frage ist: Hatte so eine Privatuniversität in Deutschland überhaupt je eine echte Chance? Die allererste entstand 1983 in Witten-Herdecke. Sie will eine „unternehmerische“ Uni sein, die dem Humboldt’schen Bildungsideal verpflichtet ist. Sie ist bekannt für ihre Mediziner:innen, bildet aber nicht nur in Gesundheits-, sondern auch in Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften aus. Das alles funktioniert, weil Nordrhein-Westfalen rund 10 Prozent des jährlichen Unibudgets zahlt.
Daneben gibt es hierzulande zwar über 100 private Hochschulen, von denen sich manche Universitäten nennen. Sie vertreten aber alle höchstens wenige Fächer, sind auf Managernachwuchs oder eine andere Berufsausbildung spezialisiert, oder sie beschränken sich auf Sozialwissenschaften wie die Zeppelin Universität.
Private „Mini-Volluniversität“
In Bremen indes gab es in den letzten 20 Jahren eine private „Mini-Volluniversität“, wie ihr vorletzter Präsident Antonio Loprieno sie nannte. Es war die einzige ihrer Art in Deutschland. Der frühere Rektor der Uni Basel war gekommen, um zu beweisen, dass genau das auch wirtschaftlich funktioniert. Er blieb nur ein Jahr. Denn seine Idee, die private Uni eng mit der bis 2019 als „exzellent“ ausgezeichneten staatlichen Uni in Bremen zu verknüpfen, war politisch zum Scheitern verurteilt. In Bremen gilt das nur als Last-Exit-Option, die ideologische Trennung zwischen staatlichen und privaten Hochschulen wird hier rigide aufrecht erhalten.
Hinzu kommt, dass beide sich als Campus-Unis definieren, die Constructor University, wie sie jetzt heißt, aber in Bremen-Nord liegt. Das ist eine Art Enklave Bremens, die für Stadtbremer:innen gefühlt genauso weit weg ist wie das 60 Kilometer entfernte Bremerhaven. Dabei ist man von der CU in fünf Fußminuten an der S-Bahn, die eine Viertelstunde in die City fährt. Und obschon sie sich Privatuniversität nennt, ist sie keineswegs mondän: In ihren Backsteinmauern, auf den Fluren und in den Büros atmet sie immer noch den Geist jener Kaserne, die sie einst war. 1937 zogen hier die ersten Soldaten ein.
Erfolg trotz widriger Umstände
Wissenschaftlich wie pädagogisch war die Bremer Privat-Uni trotz aller widrigen Umstände sehr erfolgreich. Das zeigen zahllose Rankings, das sagen alle Professor:innen, die mal dort arbeiteten oder es noch tun. Den eigenen Namen in der Zeitung lesen will heute keine:r von ihnen, schon gar nicht mit kritischen Äußerungen. Manchmal verlaufen diese Gespräche gar etwas konspirativ: Die Furcht vor negativen Konsequenzen ist groß, und hier genießt man nicht den Schutz der Unkündbarkeit: Auch manche der 72 Professor:innen hier haben nur Zeitverträge.
Finanziert hat diese Forschung lange Jahre Klaus Jacobs, ein Mäzen, der in Stanford studiert und in Bremen mit Kaffee sehr viel Geld verdient hatte – er stiftete 200 Millionen Euro, nachdem der Rest seines Vermögens in die Schweiz gewandert war. Nie hatte eine Hochschule in Mitteleuropa eine größere Spende erhalten. 2020 gab die Jacobs Foundation alle Anteile zurück, der Firmenname ist deshalb aus dem der Uni getilgt.
„Nicht privatwirtschaftlich finanzierbar“
All die akademischen Meriten hatten allerdings ihren Preis. Es gab zu viele Studierende aus aller Welt, die zwar talentiert, aber eben auch mittellos waren. Und die hohen Studiengebühren – heute sind das bis zu 20.000 Euro pro akademischem Jahr – nicht zahlen konnten. Es gibt Geschichten, wie anfangs Studierende aus Osteuropa angeworben wurden mit dem Versprechen, sie müssten hier nichts zahlen. Einer, der sie erzählt, gehört selbst zu den Urgesteinen dieser Uni. „Das Selbstverständnis der Uni war idealistisch“, sagt ein anderer. „Sie wollte Studierende aus benachteiligten Verhältnissen befähigen, Dinge zu erreichen, die nach gewöhnlichen Maßstäben außerhalb ihrer Reichweite liegen.“ 2020 bekam etwa jeder dritte Bachelor-Studierende einen Nachlass.
Auch heute erhält „ein Großteil“ der Studierenden „ein Teilstipendium“, sagt die Uni. „Bildung und Forschung in Tiefe und Breite sind nicht privatwirtschaftlich finanzierbar, schon gar nicht mit Profit“, sagt der Professor dann noch. Heute arbeitet er nicht mehr in Bremen. Fragt man nach dem Uni-Management in all den Jahren, weiß fast keiner der Befragten Gutes zu berichten – mache sprechen von „Chaos“, andere von „fehlendem Talent“.
Große Macht von Serg Bell
Vieles deutet darauf hin, das mit dem Investor Bell die Universität vor allem zu einer Art Ausbildungsstätte für Computerexperten degradiert wird. Das sieht auch Antonio Loprieno so, auch wenn das in den offiziellen Statements seiner Nachfolger natürlich anders klingt. Bell, der seine Millionen mit dem Cybersecurity-Konzern Acronis verdient hat, macht aber klar, die seine Uni sich nun auf „Cybersicherheit, künstliche Intelligenz, Software-Engineering, autonome Maschinen und Quantentechnologie“ fokussiert. Gespart wurde zuletzt gerade bei den Sozialwissenschaften, obwohl sie so ziemlich die billigsten sind.
Der neue Präsident Stanislav Protasov ist ein Mitbegründer von Acronis, also ein Vertrauter des Investors, doch ohne Erfahrung im Uni-Management. Er „hofft“, in fünf bis sieben Jahren 5.000 Studierende auf dem Campus zu haben. Heute sind es nach Angaben der Uni 1.800 aus 110 Ländern. „Damit können sie weder eine richtige Volluniversität haben, noch wirklich eine Ausbildungsstätte für IT-Spezialisten sein“, sagt Loprieno. Nur: Die geopolitische Instabilität stellt heute das globalisierte Modell höherer Bildung infrage. Studierende aus Russland oder China etwa sind heute hier nicht mehr so gern gesehen wie ehedem.
Serg Bell konzentriert unterdessen viel Macht bei sich und den Seinen; Ehefrau Öznur Zer saß sogleich mit in der Chefetage. „Aber denken Sie, dass dies in anderen Ländern der Welt nicht möglich wäre?“, fragt Loprieno. Die wirtschaftlichen Abhängigkeit der Uni von Bell ist „fundamental ungesund“, sagt einer der Professoren, als „viel zu groß“ beschreibt sie ein anderer. Vielleicht ist es eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet das linke Bremen dem unregulierten Kapitalismus an seiner Privat-Uni die Tür öffnete.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen