Coming-out im englischen Fußball: Der Fußball wird frei

Der englische Zweitligaspieler Jake Daniels vom FC Blackpool outet sich. Ich bin schwul, sagt der 17-Jährige und bahnt nicht nur sich einen Weg.

Berührungsängste? Bullshit! Jake Daniels gibt einem Kicker von Petersborough United die Hand.

Berührungsängste? Bullshit! Jake Daniels gibt einem Kicker von Petersborough United die Hand Foto: imago

Am Montagabend hatte der FC Blackpool etwas Wichtiges mitzuteilen. Eine „Nachricht von Jake Daniels“ wurde auf die Internetseite des englischen Fußballzweitligisten gestellt. Es ging nicht etwa um eine Verletzung des erst 17-jährigen Angreifers oder die Verkündung einer Vertragsunterzeichnung, nein, der junge Kicker teilte mit, dass er schwul ist.

Er rekurrierte zuerst kurz auf seine Erfolge in der vergangenen Saison, dann kam er zur Sache: „Abseits des Spielfeldes habe ich mein wahres Ich versteckt und wer ich wirklich bin. Ich habe mein ganzes Leben lang gewusst, dass ich schwul bin, und ich habe jetzt das Gefühl, dass ich bereit bin, herauszukommen und ich selbst zu sein.“

Daniels ist damit in England der zweite aktive Profi, der diesen Schritt wagt. Vor über 30 Jahren ging Justinus Soni Fashanu an die Öffentlichkeit. Damals waren noch keine Regenbogenfahnen am Eck der Fußballplätze montiert, und die Kapitäne der Mannschaften trugen die bunten Farben auch nicht als Armbinde, wie das heute recht oft passiert. Das Fußballmilieu war eng und repressiv, homophobes Geraune an der Tagesordnung, und so endete die Geschichte des Justinus Fashanu tragisch.

Nachdem er seine Story für 80.000 Pfund an die englische Sun verkauft hatte, belastete ihn vor allem die Quertreiber aus der eigenen Familie. Sein Bruder bezeichnete ihn in einem Zeitungsinterview als „Ausgestoßenen“. Aus der schwarzen Community schlug ihm nach seinem Coming-out eine Welle von Unverständnis und Verachtung entgegen. Ein Trainer, der bereits in den 80er Jahren Nachforschungen in Fashanus Privatleben angestellt hatte, bezeichnete ihn vor versammelter Mannschaft als „verdammte Schwuchtel“.

„Ich will lieber sterben“

Nach einer wohl ungerechtfertigten Anklage wegen Vergewaltigung eines jungen Mannes brachte sich Fashanu im Jahr 1998 um. In seinem Abschiedsbrief schrieb er: „Nicht immer ist die Justiz gerecht. Ich fühlte, dass ich wegen meiner Homosexualität kein faires Verfahren bekommen würde. Ihr wisst, wie das ist, wenn man in Panik gerät. Bevor ich meinen Freunden und meiner Familie weiteres Unglück zufüge, will ich lieber sterben.“

All diese Demütigungen und das seelische Leid dürften Jake Daniels heute erspart bleiben. Im Gegenteil: Die Entscheidung, seine sexuelle Orientierung öffentlich zu machen, findet im Jahr 2022 zumeist Anerkennung und Zuspruch. Der ehemalige deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der sich nach seiner Karriere ebenfalls als schwul geoutet hatte, begrüßte Daniels’ Schritt im Kurznachrichtendienst Twitter mit den Worten: „Gut gemacht, Jake Daniels! Hab eine wunderbare Karriere!“

Er lobte auch den FC Blackpool für dessen Unterstützung. Der britische Premierminister Boris Johnson dankte Daniels für dessen „riesigen Mut“ und ergänzte: „Du wirst viele Menschen auf dem Feld und außerhalb davon inspirieren.“ Auch Fußballer Harry Kane stimmte in diesen Kanon des Wohlwollens mit ein.

Damit herauszukommen als einer der ersten aktiven englischen Fußballspieler, das sei für ihn ein „Schritt ins Ungewisse“, sagte Daniels, der in der laufenden Saison seinen ersten Profi-Einsatz absolviert und für das Jugendteam 30 Tore geschossen hat. Er sei unter anderem vom Australier Josh Cavallo sowie dem Wasserspringer Tom Daley inspiriert worden und habe große Unterstützung von seinem Klub, seiner Familie und auch seinen Mitspielern erfahren.

Cavallo, 22, hatte im Herbst des vergangenen Jahres reinen Tisch gemacht. Sein Klub, Adelaide United, hatte ihm gleichfalls geholfen. Auf der Plattform des Vereins war damals ein Video (Josh’s Truth“) erschienen, das die NZZ „theatralisch“ fand, aber das doch eher dem Anlass angemessen war: „Ich bin ein Fußballer, und ich bin schwul“, sagte der australische Profi: „Alles, was ich möchte, ist Fußball spielen und dabei wie jeder andere behandelt werden.“

Ganz ähnlich äußert sich Daniels nun in seinem Statement. „Ich hasste es“, bekennt er, „mein ganzes Leben lang zu lügen und das Bedürfnis zu verspüren, mich zu ändern, um hineinzupassen. Ich möchte selbst ein Vorbild sein, indem ich das tue.“ Jahrzehntelang war es im Fußball verpönt oder extrem angstbesetzt, sich als schwul zu outen. Jetzt tun es Fußballer nicht nur nach der Karriere, sie tun es sogar zu Beginn. Das ist ein Paradigmenwechsel. Der Muff scheint verflogen, die Freiheit der Selbstentfaltung greift auch im Fußball Raum.

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