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Comicwerk über Andy WarholSphinx mit weißer Perücke

Die Geburt der Pop-Art: Der Zeichner Typex hat das bewegte Leben Andy Warhols in einen zehnbändigen Comic gepackt.

Andy Warhol im Jahr 1976 Foto: ap

Was für ein Klotz! Der Ziegelstein von einem Buch wiegt knapp zwei Kilogramm und sieht aus wie eine Packung Waschmittel aus den 50ern. Doch das passt schon. Die Graphic Novel „Andy“ handelt vom Leben Andy Warhols (1928–87), der als bekanntester Vertreter der Pop-Art bekanntlich Alltagsprodukte zu Kunst erhob – und diese auf serielle Weise vervielfältigte.

Nun also posthum ein neues Produkt aus Warhols „Factory“? Nein, es ist vielmehr eine biografische Hommage, die der niederländische Künstler Typex geschaffen hat. Auf über 500 Seiten bildet er die ungeheuer bewegte Vita Warhols in Comicform ab – und erzählt mit, wie die Popkultur salonfähig wurde.

1962 im Gründungsjahr der „Factory“ als Raymond Koot geboren, ist Typex in seiner Heimat als Illustrator, Maler und Comiczeichner bekannt und hat mit (dem bislang nur auf Englisch und Niederländisch erhältlichen) „Rembrandt“ bereits einen artverwandten Comic vorgelegt. Fünf Jahre hat er an dem Buch gearbeitet, ist nach Pittsburgh und New York gereist, um Warhols Tagebücher zu studieren und Zeitzeugen zu treffen.

Chronologisch beginnt Typex sein „Tatsachen-Märchen“ (so der Untertitel) mit Andrew Warholas Kindheit als Sohn russinischer Einwanderer – einer vor dem Ersten Weltkrieg in den Karpaten lebenden ungarischen Minderheit – in Pittsburgh.

taz am wochenende

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Das Anfangskapitel wird von Andrews Mutter und deren Kauderwelsch geprägt, für das sie die mit dem Englischen aufgewachsenen älteren Söhne tadeln. Das arme, zugleich warmherzige Einwanderermilieu im Stadtteil Soho erinnert an Will Eisners autobiografische Graphic Novels, die den Melting Pot New Yorks zu Beginn des 20. Jahrhunderts thematisierten.

Der mit acht Jahren unter der Veitstanz-Krankheit leidende Andy ist das sensible, jüngste Kind der Familie – im Gegensatz zu seinen abgebrühten Brüdern, die den Titelhelden eines der damals bekanntesten Comics, den „Katzenjammer Kids“, ähneln. Andy liest gerne Zeitungscomics oder flüchtet in die heile Welt der Shirley-Temple-Filme. Auch als Teenager kann der schüchterne, durch Pigmentstörungen oft für einen Albino gehaltene Andy seine Unsicherheit kaum verbergen.

Einheitlicher, fließender Stil

So liegt es nahe, dass der erwachsene, noch unbekannte Grafiker Warhol (das fehlende „a“ im Nachnamen verdankt er einem Druckfehler in einem Magazin, das er illustrierte) seine Comichelden Popeye oder Dick Tracy zum Thema seiner frühen Gemälde wählt. Frustriert reagiert er, als er erfährt, dass ihm ein anderer Künstler – Roy Lichtenstein – zuvorgekommen ist und bereits Comics auf die Leinwand gebannt hat. Mama Warholas Tomatensuppe sollte ihn schließlich auf die Idee bringen, „Campbell’s“ Tomatendosen in 32 Variationen zu malen.

Der Comic

„Typex's Andy“. Carlsen Verlag, Hamburg 2018, 568 Seiten, 48 Euro

Typex arbeitet nicht die ganze Biografie ab, sondern zeichnet Episoden aus Warhols Leben, die in verdichteter Form meist eine ganze Epoche oder zumindest Schaffensphase abbilden. Auf Jahreszahlen wird meist verzichtet. Der Zeichner vertraut darauf, dass der Leser an beiläufigen Details die jeweilige Zeit erkennt: ein Rocker mit Schirmmütze lehnt an seinem Motorrad, der aussieht wie der junge Marlon Brando im Film „The Wild One“, sodass sich die Szene auf den Beginn der 50er datieren lässt.

Als Struktur dient Typex die Unterteilung des Buchs in zehn Hefte, die jeweils mehrere Kapitel umfassen. Für jedes Heft zeichnet er ein passendes Covermotiv, das dem Look einer bekannten US-Zeitschrift der jeweiligen Epoche entspricht, zum Beispiel dem Herz-Schmerz-Stil von Romantikmagazinen oder Warhols eigener Zeitschrift, Interview.

Die Episoden selbst sind in einem weitgehend einheitlichen, fließenden Stil gezeichnet, der die Charaktere realistisch, aber leicht karikiert darstellt. Das erinnert an manch schräge Undergroundcomix, das abwechslungsreiche Seitenlayout wiederum an Will Eisner. Durch Designelemente und die Kolorierung werden – besonders auffällig in der knallig-delirierenden Episode Mitte der 60er – zusätzliche Akzente gesetzt, die auf die jeweilige Epoche verweisen.

Doch Typex verliert durch diese stilistischen Zitate nie den Faden der Erzählung. Andys Homosexualität, so erfährt man, bleibt lange platonisch, da ihn seine Liebhaber, für die er vielleicht etwas Besonderes darstellt, auf Abstand halten, oder, wie der von ihm angehimmelte Truman Capote, unerreichbar scheinen.

Pseudo-Sammelbilder als Pop-Referenz

Man lernt nebenbei ein Who’s who der damaligen New Yorker Hipster-Szene kennen. Zu Beginn jedes Heftes werden – sehr hilfreich! – die wichtigsten Personen in Form von Pseudo-Sammelbildern vorgestellt. Wieder eine Pop-Referenz.

Wie verlief der Schaffensprozess dieses Genies? Andys erster (Achtstunden-)Film entsteht aus einer Laune heraus, indem er eines Tages eine 16-mm-Kamera kauft und einen Kumpel beim Schlafen aufnimmt („Sleep“, 1963). In der Nachbarschaft stößt er auf den amphe­taminsüchtigen Fotografen Billy Name, der sein Mädchen für alles wird und einen Haufen weiterer suchtkranker Lebenskünstler mitbringt.

Aus diesem für Andy inspirierenden Dunstkreis entstehen weitere Kunstprojekte. Ihm ging es darum, „schockierende Leute um sich zu haben“, ihnen beim Reden zuzuhören und sie dabei zu filmen.

Warhol selbst bleibt das ganze Buch hindurch ein etwas einsilbiger, blasierter Charakter, der in Interviews bewusst nur Plattitüden von sich gibt. Typex beobachtet dessen Tun per Zeichenstift unter einer ironischen Brille, ohne allzu analytisch hinter die Fassade der Sphinx mit der weißen Perücke zu schauen.

Der radikalen Feministin Valerie Solanas, die 1968 ein Attentat auf Warhol verübte, spendiert Typex ein eigenes Psychogramm. Das Kapitel beendet die Phase des „für alle offenen“ Andy und wird zum Sinnbild für die Schattenseite dieser fruchtbaren und erfolgreichen Phase im Leben Warhols.

Lesefreundlicher wäre eine Ausgabe in zehn herausnehmbaren Heften gewesen. Unzweifelhaft ist dem Comiczeichner Typex ein inhaltlich vielschichtiges wie unterhaltsames Porträt geglückt, das grafisch alle Register zieht und sich so einer komplexen, für die heutige Kunst unentbehrlichen Persönlichkeit nähert.

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