Comic „Sabrina“ über US-Gesellschaft: Tod und Verschwörung
Der Comic „Sabrina“ von Nick Drnaso irritiert mit sterilen Zeichnungen. Unter seiner Oberfläche steckt ein abgründiges Psychogramm der USA.
Gerade noch hatte Sabrina, eine sanftmütig wirkende junge Frau, die Wohnung ihrer im Urlaub befindlichen Eltern gehütet und deren Katze versorgt. Ihre Schwester Sandra besuchte sie dort, die beiden tauschten sich über Jobs aus und planten eine gemeinsame Unternehmung. Am Tag darauf verließ Sabrina die Wohnung.
Seitdem ist sie verschwunden. Ihr Freund Teddy ist verzweifelt und versinkt in Apathie. Calvin, ein alter Schulfreund Teddys, der bei der Air Force in Colorado arbeitet, nimmt ihn auf und versorgt ihn. Sandra wiederum versucht es mit Meditation …
Die Handlung der Graphic Novel „Sabrina“ von Nick Drnaso beginnt mit sehr alltäglichen Szenen. Die Hauptfiguren, allesamt junge Leute um die 30 ohne prägnante Charaktereigenschaften, haben sich weitestgehend in ihren eintönigen Lebensentwürfen eingerichtet. Die Orte erscheinen gesichtslos und austauschbar – die unpersönlich eingerichtete Wohnung der Eltern, ebenso das durch den Auszug seiner Familie leer erscheinende Haus Calvins in einer typischen US-amerikanischen Wohnsiedlung. Calvins Arbeitsplatz, die Air Base, ist geprägt durch lange, kahle Flure und seelenlose Büroräume.
Lange passiert nichts, und doch wächst das Unbehagen, dass sich bereits in Sabrinas Verschwinden manifestierte. Calvin wirkt in seiner stoischen Gemütsruhe wie eine Bastion, und zugleich wittert man, dass die Katastrophe nicht abzuwenden ist. Die Medien sind Teil davon: In Fernsehen, Radio und Internet sprießen anlässlich eines unfassbaren Verbrechens spekulative Berichte und Verschwörungstheorien. Bald sehen sich die Protagonisten mit extremen Belästigungen und Bedrohungen von anonymer Seite konfrontiert.
Nick Drnaso: „Sabrina“. Aus dem Amerikanischen von Daniel Beskos, Karen Köhler. Blumenbar Verlag, 208 Seiten, 26 Euro.
Der 1989 in Illinois geborene amerikanische Comiczeichner Nick Drnaso debütierte 2016 mit „Beverly“ (bisher nicht ins Deutsche übersetzt), grafischen Short Stories, die bereits seinen abgründig-analytischen Blick auf die US-amerikanische Wirklichkeit verrieten. „Sabrina“ wurde 2018 als erste Graphic Novel für den renommierten britischen Booker-Preis nominiert. Drnaso brüskiert darin den Leser zunächst, indem er ihn mit einem Stil konfrontiert, der auf den ersten Blick steril und unpersönlich wirkt.
Ohne gefällige Details
Man fühlt sich an gezeichnete Bedienungsanleitungen erinnert: Die Hintergründe sind auf ihre Funktion reduziert, fallen spartanisch klar aus, ohne gefällige Details. Entsprechend minimalistisch zeichnet er seine realistischen Charaktere und verzichtet fast ganz auf Mimik und Ausdruck.
Doch diese reizlose Ästhetik ist Teil des Konzepts: Äußerst präzise und sehr filmisch im Seitenlayout, unterstützt durch eine gedeckte Farbdramaturgie, entwickelt Drnaso einen geradezu unerbittlichen Plot und zieht den Leser nach und nach in einen finsteren Sog, der Krimi-Elemente enthält, aber vor allem auf ein abgründiges Psychogramm der Gesellschaft abzielt, in der die Protagonisten leben.
So fallen auf das zunächst familiär gezeichnete Milieu der Army schnell Schatten – privat geben sich die an Computern arbeitenden Soldaten Ballerspielen hin, und Freundschaften verlieren im Konkurrenzkampf um bessere Jobs schnell an Bedeutung. Die Lücke, die Sabrina bei den Hinterbliebenen hinterlässt, wird aufs Schmerzlichste spürbar.
Schlaffes Riesenbaby
Nur gelegentlich lockert Drnaso seine Szenen mit ironischen Elementen auf: So liest Teddy immer wieder in einem bunten Wimmel-Bilderbuch von Calvins kleiner Tochter, um sich abzulenken. Der zunächst als stilles, schlaffes Riesenbaby gezeichnete Teddy entwickelt sich zudem durch die beharrlichen Einflüsterungen eines Radiosprechers, der alternative Fakten verbreitet, allmählich zur tickenden Zeitbombe.
Nick Drnaso schafft es, die Wahrnehmung der Leser subtil zu steuern und ihre Haltung gegenüber den Figuren immer wieder zu überprüfen. Auch wenn sein Zeichenstil befremdlich erscheint, so geht dieser doch einher mit einer äußerst raffinierten Erzählkunst, die die heutige US-amerikanische Gesellschaft aufs Treffendste porträtiert.
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