Comeback von Nigel Farage: Ein alter Bekannter
Großbritanniens bekanntester Rechtspopulist Nigel Farage nutzt die Wahlen 2024 für ein politisches Comeback – mit großen Ambitionen.
![Nigel Farrage während eines Interviews mit der BBC - erscheint sich sehr zu amüsieren Nigel Farrage während eines Interviews mit der BBC - erscheint sich sehr zu amüsieren](https://taz.de/picture/7090709/14/35629422-1.jpeg)
Labours Wiederaufstieg ist nur ein Teil der Erklärung für das absehbare Wahldesaster der regierenden Konservativen in Großbritannien. Genauso wichtig ist der Wiederaufstieg der rechtspopulistischen Opposition – verlässlich seit über zehn Jahren verkörpert von Nigel Farage.
Farages Partei „Reform UK“ liegt im Durchschnitt der Umfragen bei rund 15 Prozent. Keine andere Partei hat seit Beginn des Wahlkampfes stärker zugelegt. Aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts dürfte das nicht für mehr als eine Handvoll der 650 Sitze im Unterhaus reichen. Aber der Farage-Höhenflug könnte viele Tory-Abgeordnete um Stimmen und damit um ihre Direktmandate bringen.
Je mehr Federn die Konservativen auf diese Weise lassen, desto einfacher wird es hinterher für Farage, sich als Galionsfigur einer neuen Rechten auf den Ruinen der Tories zu präsentieren. Er sieht sich nach diesen Wahlen als Oppositionsführer, wenn nicht im Parlament, dann in der Bevölkerung. Er wolle „in den nächsten fünf Jahren eine große nationale Kampagnenbewegung im ganzen Land für echten Wandel“ aufbauen, sagte Farage vergangene Woche. Und dann? Premierminister 2029? „Absolut“, antwortete er selbstsicher.
Farage macht keinen Hehl aus seinem Ziel, die Konservativen zu zerstören. Für ihn sind Tories, Labour und Liberaldemokraten alle Teil desselben korrupten, verlogenen Establishments. Seinen Wahlkampf bezeichnet er als „Revolte“ und ruft die Volksmassen auf, sich anzuschließen.
Grinsen gegen die Grimmigen
Seine Partei erinnert beständig daran, dass über 17,5 Millionen Briten 2016 für den Brexit stimmten – jetzt könnten sie endlich auch das Land verändern. „Reform UK“ plädiert für mehr Verstaatlichungen als Labour und mehr Abschiebungen als die Konservativen, es gibt populäre Ideen wie null Einkommensteuer für Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Kuriositäten wie ein Smartphone-Verbot für unter 16-Jährige.
Die wechselnden politischen Inkarnationen Nigel Farages sind Stationen auf seinem Weg. Unter dem konservativen Premier David Cameron 2010 agitierte seine „United Kingdom Independence Party“ (Ukip) so erfolgreich für eine Volksabstimmung über die britische EU-Mitgliedschaft, dass Cameron sich gezwungen sah, dies für den Fall seiner Wiederwahl 2015 zuzusagen. Nach seinem Sieg im Brexit-Referendum 2016 ließ Farage Ukip fallen, aber als sich das Land hoffnungslos im Brexit verhedderte, gründete er die „Brexit Party“ als neues Druckmittel – sie gewann die britischen Europawahlen 2019 mit über 30 Prozent, die Konservativen kamen auf 9 Prozent.
Aus der Brexit Party wurde nach Vollzug des Brexit dann „Reform UK“. Das funktionierte zunächst nicht, Farage schien verbraucht. Aber als Premierminister Rishi Sunak Ende Mai Neuwahlen für den 4. Juli ankündigte, erklärte Farage wenige Tage später seine Übernahme der Parteiführung und seine Kandidatur fürs Parlament im südostenglischen Clacton. Er gilt dort als sicherer Sieger.
Plötzlich ist Farage also wieder da. Darauf waren die Tories überhaupt nicht eingestellt. „Look who’s back“, singt er fröhlich in einem viral gegangenen Video. Er ist der Einzige, der in diesem Wahlkampf gute Laune verbreitet. Als in einer TV-Debatte neulich eine glücklose Konservative die Bilanz der Regierung Sunak verteidigte, brauchte Farage nur zu grinsen und schon hatte er die Lacher im Publikum auf seiner Seite. Labour-Politiker hingegen grinsen in diesem grimmigen Wahlkampf nie.
Ob noch andere Reform-Abgeordnete ins Unterhaus einziehen, ist keineswegs sicher. Aber da die Partei alle möglichen Spinner anzieht, ist es für Nigel Farage möglicherweise besser, im Parlament als Alleinunterhalter zu glänzen. Er ist in seinen besten Momenten ein begnadeter Redner, leutselig und wortgewandt, witzig und direkt.
Das schützt ihn nicht vor sich selbst. Seine jüngsten Äußerungen, wonach der Westen an Putins Überfall auf die Ukraine schuld sei, haben ihn als Putin-Versteher entlarvt. Der Höhenflug von „Reform UK“ in den Umfragen scheint jetzt auch erst mal gestoppt. Der Höhenflug von Nigel Farages Ambitionen aber scheint ungebrochen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links