Cohn-Bendit und Kindesmissbrauch: Der Tabubrecher
Daniel Cohn-Bendit bekommt den Theodor-Heuß-Preis. Der Laudator hat seine Teilnahme abgesagt. Dem Grünen-Politiker wird Kindesmissbrauch vorgeworfen.
Wir sehen einen jungen, etwas molligen Mann. Blonde Locken, das Halstuch wie ein Cowboy um den Hals geschlungen. In einer französischen Talkshow berichtet er aus seinem Alltag als Erzieher in einem Frankfurter Kinderladen. Er schwelgt darin, was passiert, „wenn ein kleines fünfjähriges Mädchen beginnt sich auszuziehen. Es ist großartig, weil es ein Spiel ist. Ein wahnsinnig erotisches Spiel. Die Sexualität eines Kindes ist etwas Fantastisches.“
Der Autor der Sätze ist Daniel Cohn-Bendit, der große, starke Mann der europäischen Grünen. Ihr Ideengeber, Organisator und Tabubrecher. Am Samstag bekommt Dany le Rouge den renommierten Theodor-Heuß-Preis. Da wird die Geschichte noch mal aufgewärmt. Dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts waren die Cohn-Bendit’schen Erinnerungen so zuwider, dass er sich verweigerte.
Andreas Voßkuhle sollte eigentlich die Laudatio für den Europaabgeordneten halten. Das tut er nun nicht. Cohn-Bendit selbst sagte der taz, er gebe dazu ein Interview – „aber erst, nachdem ich mich auf der Bühne zu dem Thema geäußert habe. Nicht vorher, das habe ich den Veranstaltern versprochen“.
Dany, der Aufrüttler und Wachmacher, dekretiert Schweigen. Was ist da los?
Geöffneter Hosenlatz
Ihn rege halt auf, dass es immer die gleiche Stelle ist. Und nichts Neues dazukomme. „Das geht ihm auf die Nerven“, sagt ein guter Bekannter.
Alte Geschichten. Ja, das sind sie, die Aufnahmen aus dem französischen Fernsehen von 1982 und jene Textstellen im Buch „Le Grand Bazar“, die Voßkuhle aufgeschreckt haben. Diese Passage ist gar von 1975. Dort beschreibt und reflektiert Cohn-Bendit zugleich, wie er mit den Kindern zwischen zwei und fünf Jahren umgegangen ist. „Mein ständiger Flirt mit den Kindern nahm erotische Züge an“, lauten die Sätze Cohn-Bendits.
„Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln.“ Und dann? Das habe ihn vor Probleme gestellt. „Aber wenn sie darauf bestanden, habe ich sie dennoch gestreichelt.“ Das ist nicht nur eine alte Geschichte, sondern auch eine ungeheuerliche.
Selbstverständlich hat sich Cohn-Bendit davon vielfach und variantenreich distanziert. „Das war kein Tatsachenbericht, sondern schlechte Literatur“, sagte Cohn-Bendit der Zeit 2010. „Es war als eine Provokation gedacht, jede Schrift hat ihre Zeit.“ Der taz diktierte er gerade kurz und vorab, dass das Beschriebene zur Realität keinen Bezug habe.
Befreite Liebe
Harte Nachfragen sind (noch) nicht möglich, daher ein Blick darauf, wie der Basar-Text Cohn-Bendits nach der Hosenlatzstelle weitergeht: „Da hat man mich der Perversion beschuldigt“, fährt er fort und berichtet, wie Eltern ihn deswegen aus dem Kinderladen der Universität Frankfurt rausschmeißen wollten. „Ich hatte glücklicherweise einen direkten Vertrag mit der Elternvereinigung, sonst wäre ich entlassen worden.“ Wegen der Handlung – nicht wegen des Textes.
„Die Textstelle ist ein riesiges Problem“, sagte Meike Baader, Erziehungswissenschaftlerin, die sich in ihrem Buch „Seid realistisch, verlangt das Unmögliche!“ eingehend mit den 68ern und der Kinderladenbewegung befasst hat. Damals ging es um die weit verbreitete Vorstellung, dass das Unterdrücken von Sexualität repressive Charaktere hervorbringe. Also sollte Sex frei gelebt werden, auch Kinder sollten zu einer befreiten Liebe erzogen werden. „Es gibt einen blinden Fleck in der Aufarbeitung dieser Zeit“, sagt Baader. „Sexualerziehung – ja. Aber Sex mit Kindern, das ist ein No-Go.“
Das Problem der Nichtaufarbeitung teile Cohn-Bendit mit anderen. Es gibt aus dieser Zeit mehrere Texte, die zwischen empirischer Beschreibung, Literatur und Ideologieproduktion changieren. „Aber wir wissen nicht, was wirklich passiert ist“, sagt Baader. Es gebe keinen Betroffenen, der über sexuelle Handlungen gesprochen oder sie gar angezeigt hätte.
Das hat jetzt die forsche und zugleich lahme CDU Baden-Württembergs getan, indem sie die Preisverleihung an Cohn-Bendit eine Verhöhnung der Opfer sexueller Gewalt nannte. CDU-Fraktionschef Peter Hauk sagte über Cohn-Bendit: „Man muss davon ausgehen, dass er auch Täter war.“ Und weiter: „Ein Pädophiler ist nicht preiswürdig.“ Offenbar will Hauk eine Unterlassung Cohn-Bendits provozieren. Denn um ihn wörtlich als Täter oder Pädophilen zu bezeichnen, sollte er Belege vorweisen können. Die gibt es aber bislang nur in die andere Richtung.
Pädosexuelle Indianerkommune
„Dany war“, schrieben im Jahr 2001 Eltern der Kinder, die Cohn-Bendit damals betreut hatte, „über einige Jahre Bezugsperson unserer Kinder und zeichnete sich besonders dadurch aus, dass er die Bedürfnisse der Kinder sehr ernst nahm. Wir wissen, dass er niemals die Persönlichkeitsgrenzen unserer Kinder verletzt hat."
Auch heute noch stehen die Eltern hinter ihrem Erzieher Cohn-Bendit. „Mich regt der moralische Furor auf, mit dem auf Dany losgegangen wird“, sagte einer der Autoren des Elternbriefs der taz. Wie man mit Kindern umgeht wird freilich heute anders gesehen – auch von den solidarischen Eltern, die Cohn-Bendits Kitapraxis immer in den Kontext ihrer Zeit der wilden 1970er gestellt sehen wollen. „Die Frage ist doch, wie geht man mit möglichen erotischen Avancen um, denn die Kinder sind ja auch neugierig?", sagt der Brief-Autor von einst. "Und da ist klar: Wenn man das nicht eindeutig zurück weist, dann kann es zu schwierigen Situationen kommen.“ Und so schwer es dem Vater fällt, dessen Sohn bei Dany einst in der Krabbelguppe war, so sagt er heute über die Hosenlatzstelle: „Dany hat es in der Situation damals nicht eindeutig zurückgewiesen.“
Was vor mittlerweile 41 Jahren in der Kita wirklich geschah, lässt sich, solange keine weiteren Zeugen auftauchen, nicht klären. Klar jedoch ist, dass weder Cohn-Bendit noch die Grünen ein Interesse daran haben, in einen aufklärerischen Diskurs darüber zu treten. Die grüne Bewegungs- und Parteigeschichte hat eine Reihe pädokrimineller Kapitel – von einer AG Schwule und Päderasten bis hin zur pädosexuellen Indianerkommune. „Wir Grüne haben diese Zeit nie konsequent aufgearbeitet“, sagt der hessische Landtagsabgeordnete Marcus Bocklet, der sich mit dem Thema gut auskennt.
Erziehungswissenschaftlerin Baader hat erst jüngst einen der Texte aus jener Zeit, das berühmte Sonderheft Pädophilie in betrifft: erziehung erneut analysiert und skandalisiert. „Denn ich bin der Meinung, dass man dies offensiv und laut tun muss, damit wir heute wissen, was damals geschah und was psychologisch wie erzieherisch falsch und was richtig war“, sagte Baader der taz. „Cohn-Bendit hat diesen Part nicht übernommen – aber wir können das für die Grünen auch nicht machen, das müssen die selbst tun.“
In den 80er Jahren hatte Cohn-Bendit kein Problem, sich deutlich zu äußern – in die andere Richtung. Damals stießen sich in der Odenwaldschule Lehrer daran, dass Schüler miteinander Sex hatten – und die Schule dies als Normalität hinnahm. Einige Lehrer protestierten, der Pädagoge Salman Ansari forderte damals eine Schulversammlung, um die Grenzen von Körperlichkeit und Sexualität eindeutig zu definieren. Tatsächlich kam es dann zu der Versammlung – aber ganz anders, als Ansari sich das vorgestellt hatte.
Triumph für die Kinderfreunde
Gerold Becker, der damalige Schulleiter, berief kurzerhand eine Versammlung ein, bei der ein berühmter Sohn der Schule den Weg in den Odenwald fand: Daniel Cohn-Bendit. Sein Auftritt wurde ein Triumph – für die sogenannten Kinderfreunde. In die Sexualität der Schüler habe sich niemand einzumischen, donnerte Dany. Und sein volksdemokratischer Resonanzkörper hallte zurück.
Schüler wie selbsternannte Kinderfreunde jubelten. Mit Cohn-Bendits Auftritt war klar: Lehrer dürfen keine Grenzen ziehen. Das promiske und – wie wir heute wissen – pädosexuelle Internat im Odenwald blieb grenzenlos.So kriegsentscheidend kann es sein, wenn Dany das Wort ergreift. Am Samstag wird er es wieder tun. Er will reden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!