Claudia Roths neue Kulturpass-App: Werben um ein junges Publikum
Kulturstaatsministerin Claudia Roth stellt die Kulturpass-App für 18-Jährige in Berlin vor. Die belebt den Gedanken „Kultur für alle“ wieder.
Eher selten herrscht bei öffentlich finanzierten Kulturprojekten eine Stimmung wie im Tech-Start-up. Am Donnerstagvormittag bei der Vorstellung der Kulturpass-App für 18-Jährige tut sie das jedoch, im SAP Data Center in Berlin-Mitte. LeiterInnen von Kulturorganisationen, Software-EntwicklerInnen, Marketingleute und JournalistInnen sind eingeladen, um „in den Maschinenraum“ der App zu blicken, die ab Mitte Juni 2023 an den Start gehen soll. Für Staatsministerin Claudia Roth ist es ein eher angenehmer Termin, dürfte es hier doch um zwei ihrer Lieblingsthemen gehen: die jungen Leute und ihren Zugang zu Kultur.
Der „Kulturpass“ stellt Jugendlichen in Deutschland ein Guthaben von 200 Euro frei zur Verfügung, das sie für Kulturangebote im ganzen Land einsetzen können. Nutzen können den Kulturpass etwa 750.000 junge Leute. All jene, die im Jahr 2023 18 Jahre alt werden oder bereits geworden sind und in Deutschland leben – egal „ob sie den deutschen Pass haben oder nicht“, wie Roth betont.
Als Vorbild dient der „Pass Culture“ in Frankreich, der, nach längerer Testphase, seit letztem Jahr für Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren zugänglich ist und ihnen insgesamt sogar 380 Euro Kulturbonus gewährt. Für die deutsche Version hat man eng mit französischen PartnerInnen gearbeitet.
Rein in die Theater, Kinos und Konzerte
Einmal Beyoncé-Konzert für knapp 200 Euro? Oder gleich einen ganzen Stapel neuer Bücher? Für welche und wie viele Angebote man sich entscheidet, ist den Einzelnen überlassen. Egal, ob Theaterkarten, Bücher, Schallplatten, Kinos oder Ausstellungen. Die Wahlfreiheit der 18-Jährigen bei den Angeboten sei wichtig, so Roth, „Mangas sind auch cool“. Die einzige Bedingung sei: Es muss sich um Angebote der Kulturakteure vor Ort handeln, für große Onlinehändler wie Amazon oder Streaming- und Gamingplattformen kann der Pass nicht genutzt werden.
Die Funktionsweise der App darf man sich vorstellen wie einen Kulturmarktplatz im Netz; eine Onlineplattform auf die KulturanbieterInnen Veranstaltungen oder Kulturprodukte einstellen. Die Open Source Software dafür wurde von dem Softwareunternehmen SAP entwickelt. Registrieren kann man sich mit der Online-Ausweis-Funktion des Personalausweises möglich, für EU-BürgerInnen mit der eID-Karte und für Nicht-EU-BürgerInnen über den elektronischen Aufenthaltstitel.
Visuell soll der digitale Kulturpass mit schrillen Farben und einfachen Emoticons im MTV-Look der 1980er und -90er Jahre die jungen Erwachsenen ansprechen.
Läuft die Testphase wie geplant, sollen sich ab Mitte Mai KulturanbieterInnen registrieren können und die App dann ab Mitte Juni zum Download bereit stehen. Verantwortlich für Verwaltung, Abwicklung, und Erstellung technischer Schnittstellen ist die Stiftung Digitale Chancen.
Was die App betrifft, macht sich deren Geschäftsführer Stephan Seiffert bei den Jugendlichen wenige Sorgen. Die Herausforderung sieht er eher auf Seiten der AnbieterInnen. Insbesondere bei jenen ohne IT-Abteilung, denen das technische Know-how fehlen könnte, um Veranstaltungen und Angebote auf der Plattform zu präsentieren. Sie sollen mit Trainingsmaterial und Webinaren unterstützt werden.
Gegen Defizite aus den Pandemie-Jahren
Ist der Kulturpass ein Erfolg, soll er dann auch Schritt für Schritt für die 15- bis 17-Jährigen zur Verfügung stehen. Vorausgesetzt, die Finanzierung ist gesichert. Für die jetzige Testphase hat der Bundestag 100 Millionen Euro aus dem Etat des Staatsministeriums für Kultur und Medien bewilligt. Für die Ausweitung bräuchte man mehr Geld. Und da dies auch vom Wohlwollen des FDP-Finanzministers Christian Lindner abhängig ist, will die Kulturstaatsministerin nun zügig Positives vorweisen können.
Für Roth ist der Kulturpass eines der zentralen Vorhaben ihres Amtes. Während das letzte Jahr für die Kulturpolitik durchaus kein leichtes war – man denke an documenta 15, die nach Pandemie und Energiekrise schwächelnde Kulturwirtschaft, Reformbedarf bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz –, soll der Kulturpass gleich zweifach liefern.
Auf der einen Seite soll er Kultur insbesondere für jene Jugendlichen erfahrbar machen, die sonst wenig Berührung mit und Ressourcen für diese Angebote haben. Vor allem nach der Pandemie hätten Jugendliche wenig Erfahrungen, „was Kultur ist, was Kultur geben kann an Kraft“. Andererseits verspricht der Pass auch für die Kulturbranche einen finanziellen Boost. So sollen Verbindungen hergestellt werden, zwischen KulturanbieterInnen und der jungen Generation, von denen beide profitieren.
Für die anwesenden Kulturanbieter ging es in Berlin-Mitte in der jetzigen Testphase so auch gleich weiter. In das „KulturPass Lab“. Ganz in guter Tech-Start-up-Manier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland