Claudia Roth über die Grünen: „Ich bin die alte Perlenkette“
Es war bitter, die parteiinterne Wahl zur Spitzenkandidatin zu verlieren, sagt Grünen-Chefin Roth. Ihr Verantwortungsgefühl habe sie aber bei der Partei gehalten.
Beide Interviewenden kennen die Gesprächspartnerin seit Langem; sie sprechen miteinander im Haus der Bundespartei der Grünen, wo Claudia Roth ein Büro als Parteivorsitzende hat. Schön eingerichtet mit persönlichen Accessoires, Tassen, Erinnerungsstücken, Bildern. Sie bleiben, journalistisch unüblich, in der zweiten Person Singular.
taz: Claudia, wie fühltest du dich nach der gescheiterten Wahl zur Bundestagsspitzenkandidatin der Grünen? Etwa im Sinne von: Jetzt erfinde ich mich neu?
Claudia Roth: Nee. Aber ich hab gedacht, so wie ich bin, reicht das vielleicht nicht aus. Aber eine Woche danach hab ich der Partei angeboten: Ihr entscheidet jetzt. Ihr müsst wissen, ob ihr mich wollt und mir das zutraut – aber so wie ich bin, mit allen Ecken, mit allen Kanten. Wie Rio Reiser das sang: „Ich will ich sein.“
Aber schmerzhaft war’s schon?
Ich hab das jetzt nicht so in mich reingezogen. Nein, da wurde nicht über mich als Person abgestimmt, da ging es auch um ’ne Erweiterung oder ’ne Vielfalt.
Wir hören das Tröstliche.
Geboren: 1955 in Ulm, Vater Zahnarzt, Mutter Lehrerin.
Vita: Dramaturgieassistentin in Memmingen, 1982 Managerin der Band Ton Steine Scherben.
Politik: Seit 1987 Mitglied der Grünen, Bundesvorsitzende seit 2008 (mit Cem Özdemir).
Bundestagswahl 2013: Im März 2012 gab sie in der taz bekannt, Spitzenkandidatin ihrer Partei zu werden; sie verlor das Basisvotum u. a. gegen Karin Göring-Eckardt. Zur Bundesvorsitzenden wurde sie kurz danach mit 88,5 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
Jedenfalls habe ich nicht gesagt: Ich mach mich neu, ich passe mich jetzt an in einem vermeintlichen „So musst du sein“. Nein, meine Botschaft war klar: Ihr kennt mich, wie ich bin. Und ich will so bleiben, wie ich bin.
Aber man lernt ja nie aus.
Natürlich, man erweitert sich, klar. Aber, zum Beispiel, ich zieh mich jetzt doch nicht anders an. Ich glaube übrigens: Sich selber treu zu bleiben ist schwerer, als man denkt. Sich neu erfinden, das kann auch heißen, ich pass mich an Mainstreams an.
Sich selbst nicht verraten?
Na, ich sag doch nicht, sollen jetzt auch mal andere liefern, weil’s grad einfacher ist, als zu sagen: So, ich bleib mir jetzt selber treu, etwa mit Verve die schockierende Flüchtlingspolitik zu kritisieren.
Echt weh tat es doch, oder?
Klar. Trauerarbeit war schon angesagt. Aber ich war es doch selbst, die die Abstimmung wollte, mit dem taz-Interview am 7. März. Und natürlich hab ich immer gesagt, man kann auch verlieren. Am Ende hatte ich das Gefühl, ich trage auch Verantwortung für die Partei. Parteisoldatin ist immer so ein blöder Begriff, aber ich bin nun mal jemand, die nicht weglaufen kann.
Wie hast du deine Partei erlebt?
Die Ehrlichsten waren diejenigen, die mir gesagt haben, ich habe dich nicht gewählt in dieser Funktion, aber ich will dich dringend in der Bundesvorsitzendenfunktion sehen.
Und was dachtest du?
Oh weia, dachte ich, jetzt verursache ich möglicherweise noch ein Riesenchaos für die Partei. Das will ich nicht. Das kam dann voll auf mich zurück.
Gab es da nicht so einen Moment zu sagen: Wisst ihr was, Leute, leckt mich doch?
Gut, ja, ich dachte für ’nen kurzen Augenblick, das ist ungerecht, was hab ich denn falsch gemacht? Natürlich gibt es Momente, da denkt man: Menschenskinder! Dann sag ich mir: Warum nur? Doch ich sag dann als Nächstes: Demokratie, das ist eben auch Demokratie.
Bekamst du wenigstens Freundliches aus anderen politischen Ecken zu hören?
Absolut, auch von Seiten, wo ich es überhaupt nicht erwartet hatte. In die Richtung: Sie können doch zufrieden sein. Sie haben doch Geschichte geschrieben. Ich bin inzwischen wirklich überzeugt, dass wir über Monate gezeigt haben, wie innerparteiliche Demokratie funktioniert.
So vernünftig! Keine Wut?
Ich glaub, es ist ’ne Primärtugend bei mir, die mich manchmal hart angeht, dieses Verantwortungsgefühl. Das ist so dominant. Im ersten Moment bist du wie in Schockstarre. Du denkst, meine Güte, jetzt geh ich nicht mehr auf die Straße, jetzt gucken dich alle so an, du bist der Loser.
Und warst du das?
Wahnsinnig viele Leute haben mich angequatscht. Und da gibt’s ja kaum eine Distanz bei mir. Die Leute nehmen mich einfach in den Arm. Neulich stand ich am Bahnhof in Hannover. Da hatte mich jemand nicht abgeholt. Da sind viele Leute gekommen. Die kennen wir doch, die Claudi. Dieses Mitempfinden, denke ich mir, verdammt, da bin ich gern verantwortungsgetrieben. Ist halt so.
Claudia, ginge es nicht auch ohne Politik?
Nee.
Weil sie wie eine Familie ist?
Nein, Familie nicht. Aber wie Heimat. Familie ist schon noch anders. Da geht gar nichts ran. Da gibt’s auch mit Verlaub keine Fotos. Das ist Familie. Familie sind ein paar Freunde. Da spielt Politik keine Rolle, da spielt Parteipolitik keine Rolle. Aber ohne Politik? Für mich geht es nicht ohne sie. Das muss nicht Partei und Parlament sein, aber ganz ohne Politik nicht.
Wie im Jahr oft bist du eigentlich nicht politisch?
Das fällt mir sehr schwer. Aber was ist schon nicht politisch?
Du könntest aus der Heimat auch vertrieben werden. Macht das Angst?
In der ersten Stunde hatte ich genau dieses Gefühl: Wurde ich heimatlos gemacht, bin ich vertrieben worden? Ich gehöre vielleicht schon noch dazu, aber ich werde nicht mehr gebraucht. Dann kamen aber Freunde, meine echten Freunde in der Partei, die gesagt haben: Wenn du jetzt von dir aus das als Signal nimmst, dann ist das kein würdiger Umgang mit dem Ergebnis.
Du meintest vorhin, du habest gedacht, nicht auszureichen. Inwiefern?
Ich glaube, dass hat viel mit Frausein zu tun. Meinst du, die Kerle würden sich fragen, was habe ich eigentlich falsch gemacht. Nein.
Hast du wenigstens irgendwie ein Federkissen zerkloppt?
Die Zeiten, wo ich den Fernseher vor Zorn aus dem geschlossenen Fenster hinausschmeiße, sind vorbei. Vor dem Parteitag war ich wirklich sehr nervös. Wäre ich auch beim Parteitag durchgefallen, hätte ich vielleicht die Voodoopüppchen rausgeholt. Wobei ich gar nicht gewusst hätte, wer …
Dachtest nicht: Ich erkenne meine Partei nicht wieder?
Nein, auf dem Parteitag habe ich ja viel Unterstützung bekommen. Bei uns kann es ja schon ziemlich hart zugehen, was ja ehrlicher ist als bei anderen. Ich habe so was in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt, diesen Candystorm.
Ein wunderbares Wort.
Ist das nicht schön?
Es gab also viel ermutigende Post?
Gab es, nach dem Urwahlergebnis, dann kam auch noch der Candystorm. Das war berührend. Das hieß: Pass mal auf, wir brauchen dich.
Ein warmes Gefühl?
Ein heißes.
Was macht es mit der Politikerin Claudia Roth, diese Erfahrung des zu Ende gehenden Theaters zu machen?
Ist ja nicht zu Ende, geht ja jetzt mit dem Wahlkampf erst wieder richtig los.
Bist du ein wenig geläutert?
Ein Stück weit, ja.
Hat es dir etwas genommen an Spontaneität, an Unbedarftheit, an Selbstverständlichkeit?
Es gibt bisweilen im Leben Beziehungen, wo du dich nicht gut behandelt fühlst und wo du denkst: Was mache ich jetzt? Traue ich jetzt niemandem mehr? Ändere ich mich? In großen Krisen in meinem Leben, die hatte ich wirklich, da habe ich gesagt: Nein, aufstehen, weitermachen.
Woher schöpfst du deine Kraft?
Das frage ich mich auch manchmal. Aus den Candys.
Bedauerst du manchmal, auf das klassische Modell nicht zurückgreifen zu können: Partnerschaft oder Ehe plus Kinder?
Als ich mich nach dem Resultat der Spitzenkandidatenabstimmung zurückgezogen hatte, da habe ich mir schon gewünscht, dass ich nicht alleine bin. Und dann fragst du dich: Ist das ein Preis für diese Verantwortungsbesessenheit? Nee, dann sag ich mir lieber: Jetzt müssen wir noch die Regierung wegputzen.
So lautet dein Ziel?
Ja, logisch.
Welches Gepäck trägst du?
Wie alle: Das, was die Eltern einem mit auf den Weg geben haben. Mein Vater hat gesagt, sehr früh, da war ich 14, 15, ach, schon früher: Mäkel hier nicht rum, beschwer dich nicht, stell dich hin, und mach es anders. Und das ist sehr tief drin. Es gibt einfach den zentralen Wunsch, ich möchte in ’nem Land leben, wo es anders zugeht. Da sind wir wieder bei der Veränderung oder bei dem Neuerfinden. Ich will ja nicht immer so bleiben, wie ich bin.
Diese Regierung …
… hat sich dauernd neu erfunden. Und es kommt immer noch größerer Unsinn raus. Nicht nachzugeben, wenn sie dir den Dreck um die Ohren und vor die Füße kippen, wenn du sagst: Multikulti ist nicht out. Also diese Themen, wo du richtig über Jahre immer wieder angepampt und angemault wirst und, und, und. Ich bleib mir treu. Mich neu zu erfinden, wäre der einfachere Weg.
Ist die bezaubernde Perlenkette eine kleine Anpassung an den modernen Stil der Grünen?
Nee, die hat mir einer meiner netten Exmänner geschenkt. Ist schon lang her.
Die Grünen sind doch eine Neoperlenkettenpartei, oder?
Nee, ich bin die alte Perlenkette.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag