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Clara Herrmann über Law and Order„Das passt nicht zusammen“

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann, sieht Schwarz-Rot als Absage an bürgerrechtlich orientierte Politik.

Den An­woh­ne­r:in­nen geht es hier auch um Verkehrssicherheit: Clara Herrmann am Kottbusser Tor Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz
Marie Frank
Interview von Marie Frank

taz: Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD sieht im Bereich innere Sicherheit zahlreiche Verschärfungen vor. Was bedeutet das für Friedrichshain-Kreuzberg, in dem sich mit dem Kottbusser Tor, dem Görlitzer Park, der Warschauer Brücke und der Rigaer Straße vier von sieben der sogenannten kriminalitätsbelasteten Orte befinden?

Clara Herrmann: Das werden wir am Ende in der Praxis sehen müssen. Aber das, was man im Koalitionsvertrag liest, ist natürlich schon eine klare Absage an die progressiv ausgerichtete, bürgerrechtlich orientierte Politik der Vorgängerregierung.

Im Interview: Clara Herrmann

Jahrgang 1985, war seit Dezember 2016 Bezirksstadträtin (B90/Die Grünen) im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und ist seit 6. Dezember 2021 die Bezirksbürgermeisterin des Bezirks.

Woran würden Sie das konkret festmachen?

Das kann man an vielen Punkten festmachen und einer ist, an kriminalitätsbelasteten Orten Videoüberwachung zu machen. Das ist hier am Kotti im Zusammenhang mit der Polizeiwache immer eine große Sorge gewesen, weil viele Leute erstens nicht überwacht werden wollen und zweitens nicht erwarten, dass das die Sicherheit verbessert. Ich rechne damit, dass hier am Kottbusser Tor eine der ersten Videoüberwachungsmaßnahmen dieser Koalition stattfinden wird.

Wie sinnvoll sind denn Maßnahmen wie mehr Videoüberwachung, mehr Polizei oder Messerverbotszonen an solchen sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten (KbO) wie dem Kotti?

Wir haben als Bezirk eine Studie in Auftrag gegeben zum Thema Sicherheit, und da ging es auch um die Frage, wie sicher fühlen sich hier am Kotti die Menschen, die hier unterwegs sind, und vor allem die Anwohnerinnen und Anwohner. Videoüberwachung führt nicht dazu, dass sich die Menschen sicherer fühlen. Aus dieser Studie wird deutlich, dass die Befragten gegen Kriminalität eine stärkere Polizeipräsenz befürworten, aber auch, dass zum Beispiel das Thema Verkehrssicherheit hier ein sehr zentrales Thema ist.

Im Koalitionsvertrag wird Racial Profiling nicht mehr explizit erwähnt. Müssen PoC nun Angst haben, vermehrt kontrolliert zu werden?

Viele Menschen hier im Bezirk erfahren Rassismus an unterschiedlichen Stellen. Etwa bei der Wohnungssuche, in der Schule, im ÖPNV und leider auch im Umgang mit der Polizei. Im Vertrag steht zwar viel zum Thema Vielfalt, aber auf der anderen Seite gibt es da diesen Satz, der die Interpretation zulässt, dass es gerechtfertigt sei, sich bei Kontrollen Leute herausrauszupicken. Das passt nicht zusammen.

Sie meinen, den Satz aus dem Koalitionsvertrag: „Verhaltensbezogene Kontrollen aufgrund kriminalistischer oder polizeilicher Erfahrungswerte bleiben unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote zulässig“?

So ein Satz ist für PoC und Menschen, die Rassismuserfahrungenmachen müssen, wirklich schlimm. Es kann nicht sein, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Sprache hier in eine Schublade gesteckt werden. Die Innensenatorin muss gewährleisten, dass das nicht passiert.

Was würde stattdessen helfen, damit sich alle wohl und sicher fühlen?

Sinnvoller wäre es, die Ressourcen, sowohl finanziell als auch personell, anders einzusetzen. Beim Bereich innere Sicherheit wären das zum Beispiel Kontaktbereichsbeamte, die vor Ort unterwegs sind, ansprechbar sind und schnell reagieren. Wir müssen den öffentlichen Raum anders gestalten und dabei die akuten Problemlagen im Blick haben. Fahrraddiebstahl ist zum Beispiel ein großes Problem in Berlin. Eine Antwort darauf wären beleuchtete und bewachte Fahrradparkhäuser. Generell geht es darum, wer im öffentlichen Raum wieviel Platz bekommt, dass es keine Orte gibt, an denen Menschen sich unwohl oder unsicher fühlen oder gar gefährdet sind.

Sie sagten, Verkehrssicherheit ist für die Menschen ein großes Thema. Was wollen Sie hier unternehmen?

Die übergeordnete große Vision ist es, den motorisierten Individualverkehr an der Hochbahn entlang auf eine Straßenseite zu verlegen und die andere Straßenseite für Fußgänger:innen, Radverkehr und Belieferung auszuweisen. Diese Verkehrsführung würde nicht nur in Kreuzberg eine ganze Menge verändern würde.

Kann das mit einer CDU-geführten Verkehrssenatsverwaltung klappen?

Wir werden sehen, wie pragmatisch und wie ambitioniert die neue Verkehrsverwaltung agiert. Im Koalitionsvertrag steht „mehr miteinander im Straßenverkehr“, das darf keine Chiffre dafür sein, dass sich am Ende immer mehr Autos miteinander durch unsere Straßen stauen.

Was ist in Ihren Augen die größte Herausforderung, die mit der neuen Koalition auf den Bezirk zukommt?

Im Koalitionsvertrag ist viel die Rede davon, die Stadt zusammenzuführen. Gleichzeitig wird der Wille der Ber­li­ne­r*in­nen an vielen Stellen aus ideologischen Gründen ignoriert. Ein Volksentscheid nach dem anderen wird abgeräumt, Tempelhof soll bebaut werden. Auch das Mobilitätsgesetz wird abgeräumt, zurück zur autofreundlichen Stadt. Das ist für mich kein Zusammenführen der Stadtgesellschaft. Für uns ist es katastrophal, dass es keine Absage an den Weiterbau der Stadtautobahn gibt, das macht Friedrichshain kaputt und sabotiert unsere Bemühungen für eine klimafreundliche Stadt für alle.

Immerhin soll es ein Sondervermögen mit fünf Milliarden Euro für Klimaschutz geben.

Zum Thema Klimaschutz lese ich im Vertrag leider sehr wenig konkretes. Im Gegenteil höre ich, dass Auflagen wie Solarpflicht oder grüne Fassaden aufgeweicht werden sollen – das ist kein Klimaschutz. Eine neue Regierung muss sich den Realitäten in der Stadt stellen, auch den politischen. Der Klimavolksentscheid hat jetzt zwar nicht die Hürde genommen, aber die Mehrheit hat dafür gestimmt.

Was muss da jetzt passieren?

Beim Klimaschutz reden wir vor allem über den Gebäudebereich und den ÖPNV-Ausbau. Grundsätzlich kann man sich ja gerne mit dem U-Bahn-Ausbau unter Einbeziehung einer Klimabilanz beschäftigen. Die Realisierung dauert aber mehrere Jahrzehnte. Gleichzeitig werden aber konkret geplante Straßenbahn-Ausbau-Projekte wieder infrage gestellt. Die gehen schnell und kostengünstiger. Da wünsche ich mir mehr Pragmatismus. Damit diese Stadt nicht zur Asphaltwüste wird, müssen wir mehr Flächen entsiegeln um Wasser versickern zu lassen und grüne Oasen schaffen. Wir brauchen Parks statt Parkplätze.

Ein zentrales Vorhaben von Schwarz-Rot ist die Reform der Verwaltung. Ich warte jetzt seit mehr als vier Monaten auf einen Termin im Bürgeramt, geht das bald schneller oder bremsen hier die grün regierten Bezirke?

Wir sind uns alle einig, dass die Verwaltung für die Bür­ge­r*in­nen da sein muss, dass sie zuverlässig sein muss, dass es schnell geht und dass sie digital wird. Da gibt es an vielen Stellen Verbesserungsbedarf.

Woran hapert es denn?

Wir brauchen mehr Personal und wir müssen die Prozesse digitalisieren. Im Amt ist das noch nicht angekommen. Beim Wohngeld zum Beispiel kann zwar der Antrag online ausgefüllt werden, im Amt wird der dann aber ausgedruckt und kommt in die Papierakte. Wir brauchen dringend eine E-Akte. Die Pandemie hat zwar einen Digitalisierungsschub ausgelöst, etwa was das Home Office betrifft, aber das reicht noch nicht.

Also ziehen alle an einem Strang?

Beim Ziel sind wir uns einig, die Frage ist, wie wir zügig dahin kommen. Ich hoffe, dass wir hier im Zusammenspiel miteinander besser vorankommen. In einer Metropole mit zwölf Großstädten etwas von oben durchzudrücken wird aber nicht funktionieren.

Seit zwei Monaten gibt es jetzt die umstrittene Kotti-Wache. Wie ist denn da die Bilanz bislang?

Für eine ernsthafte Bilanz ist es noch zu früh. Aber wenn wir über Sicherheit im öffentlichen Raum reden, reden wir doch ganz oft über soziale Fragestellungen. Über das Thema Obdachlosigkeit, über Abhängigkeit und Suchthilfe. Nicht nur hier am Kotti, auch in vielen anderen Ecken in der Stadt kennt man das Problem. Das löse ich nicht mit Law and Order oder Videoüberwachung und auch nicht, indem ich permanent Razzien in Parks mache. Das führt im Zweifelsfall nur dazu, dass ich das Problem von A nach B verschiebe. Für soziale Problemstellungen braucht man auch sozialpolitische Lösungen, die müssen mitgedacht werden.

Was denn zum Beispiel?

Wir haben hier letztes Jahr das Gesundheitszentrum mit einem Drogenkonsumraum eröffnet, da müssen wir die Öffnungszeiten dringend ausweiten. Wir brauchen hier vor Ort auch dringend Nacht- und Schlafangebote für obdachlose Menschen. Der nächste Runde Tisch zum Kottbusser Tor findet Anfang Mai statt. Die Verantwortlichen der neuen Landesregierung sind herzlich eingeladen.

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