Bedrohte Verkehrswende in Berlin: Besorgtes Abwarten

Viele Bezirke treiben die Mobilitätswende voran. Mit einem schwarz-roten Senat dürfte aber einiges schwieriger werden.

Abbiegepfeil auf Radspur, umgeben von Warnkegeln

Berlins Radinfrastruktur – schützend oder bald wieder schutzbedürftig? Foto: T. Seeliger/imago

BERLIN taz | In den nächsten Wochen und Monaten werden ein paar rot-weiße Stangen den Alltag von rund 20.000 NeuköllnerInnen verändern. Aufgestellt werden sie an drei oder vier Stellen rund um den Richardplatz im alten Rixdorfer Ortskern. Dort werden sie, wenn alles nach Plan läuft, den motorisierten Durchgangsverkehr stark einschränken. Der erste Neuköllner Kiezblock – einer der ersten in Berlin überhaupt – soll AutofahrerInnen die beliebten Schleichwege zwischen den Hauptverkehrsadern Sonnenallee und Karl-Marx-Straße versperren. Beschlossen hat das schon 2021 die Bezirksverordnetenversammlung. Das Thema aufs Tapet gebracht hatte eine Initiative, die seit Jahren für Verkehrsberuhigung trommelt.

Umgesetzt wird die Maßnahme nun durch das Bezirksamt, personifiziert durch Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann. Der Grüne ist seit Ende 2021 für die Mobilitätswende im Bezirk zuständig, daran wird sich auch im Nachgang der Wiederholungswahl vom 12. Februar nichts ändern. Allerdings wird es für ihn und die anderen sechs grünen VerkehrsstadträtInnen in Berlins Bezirken bald ungemütlicher: Offenbar wird die CDU-Frau Manja Schreiner das Amt der Mobilitätssenatorin übernehmen. Und im Koalitionsvertrag hat Schwarz-Rot schon angekündigt, das Mobilitätsgesetz und den Berliner Radverkehrsplan wieder aufzuschnüren: Die Rede ist von einem neuen „Miteinander“, das sich wohl als „Wieder mehr Auto wagen“ übersetzen lässt.

Biedermann will sich davon erst einmal nicht beirren lassen: „Mal sehen, was das für Auswirkungen hat“, sagt er, „das Mobilitätsgesetz wird ja nicht über Nacht geändert.“ Viele Projekte lägen ohnehin in der Verantwortung der Bezirksebene, aber auch solche, die vom Senat ausgingen, seien bereits angeordnet oder zumindest angeschoben worden. „Dass jetzt wieder zurückgedreht wird, was schon weit gediehen ist, glaube ich nicht.“

Andererseits lässt es den Stadtrat nicht kalt, dass von der Landesebene künftig weniger Unterstützung kommen dürfte: „Grundsätzlich sehe ich das mit großer Sorge.“ Insbesondere bei der Finanzierung von Maßnahmen könne es schwieriger werden. Nicht unbedingt bei der Anschaffung und dem Einbau von Pollern als „Modalfilter“ gegen Pkw: Dafür sind im Fall des Rixdorfer Kiezblocks gerade mal 32.000 Euro vorgesehen.

Deutlich teurer kann es dagegen werden, wenn es um die Entwicklung von Verkehrskonzepten und die Beteiligung der betroffenen AnwohnerInnen geht. Im Reuterkiez und rund um die Schillerpromenade wollen Biedermann und seine MitarbeiterInnen die nächsten Kiezblocks umsetzen, dazu müssen Planungsbüros angeheuert und KommunikationsexpertInnen mit Befragungen sowie der Organisation von Veranstaltungen und Workshops beauftragt werden. „Das können wir in der Tat nicht selbst stemmen, dafür haben die Bezirke nicht ausreichend Mittel“, so Biedermann. Aber sein Credo dieser Tage heißt: „Abwarten.“

Abwarten will auch seine Amtskollegin und Parteifreundin Almut Neumann im Bezirk Mitte: Dass der neue Senat „von der Zivilgesellschaft und der Politik hart erarbeitete und zukunftsweisende Regelwerke tatsächlich zurückdrehen wird“, mag sie nicht glauben. „Das wäre ein Schritt in die absolut falsche Richtung, es würde den Schutz von schwächeren Verkehrsteilnehmenden infrage stellen.“

Auch Neumann verweist auf die vielen Projekte, die von den Bezirksämtern eigenständig umgesetzt werden können – etwa die Sicherung von Kreuzungen. 50 Knotenpunkte habe ihr Straßen- und Grünflächenamt im vergangenen Jahr sicherer gemacht, im laufenden sollen es 100 sein, diesmal mit einem besonderem Fokus auf die Schulwegsicherheit. „Das ist etwas, wo das Land gar nicht eingebunden ist“, sagt die Stadträtin, die vor 2021 als Verwaltungsrichterin tätig war und sich privat beim Verein Changing Cities für die Verkehrswende engagierte.

Dann aber gebe es Dinge, bei denen es ohne die Senatsverwaltung nicht vorangeht: „Im Kampf gegen das E-Scooter-Chaos ist die Koordinierung und auch Finanzierung durch das Land unerlässlich“, sagt Neumann. Der Bezirk habe hier zusammen mit der Senatsverwaltung für Mobilität und der BVG-Tochter Jelbi ein Rollerparkplatz-Konzept entwickelt, verbunden mit großräumigen Abstellverbotszonen in deren Umfeld. Ein Konzept, das ihrer Ansicht nach auch in den anderen Bezirken ausgerollt werden sollte. „Ich hoffe sehr, dass das auch der zukünftigen Regierung ein Anliegen sein wird.“

Tempo 30 braucht den Senat

Gar keine Handhabe hat Berlins zweite Verwaltungsebene bei den Hauptverkehrsstraßen. Ohne die Senatsverkehrsverwaltung werden hier keine Maßnahmen wie etwa geschützte Radspuren angeordnet. Mobilitätsgesetz und Radverkehrsplan geben zwar vieles vor, aber auch wenn diese Regelwerke nicht gleich geschleift werden, bedarf es oft des guten Willens der Landesebene – etwa um im Einzelfall mehr als nur die Mindeststandards umzusetzen.

Auch die Anordnung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen kann nur vom Senat ausgehen. Die möglichen Begründungen dafür sind gemäß der Straßenverkehrsordnung ohnehin beschränkt. Luftreinhaltung und Lärmreduzierung gehören dazu, wenn entsprechende Bedingungen vorliegen. Im ersteren Fall hat Schwarz-Rot auch schon im Koalitionsvertrag klargestellt, dass hier in einigen Straßen bald wieder schneller gefahren werden könnte: Man werde bestehende Anordnungen überprüfen, heißt es da. Das betrifft dann voraussichtlich die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Achse Leipziger Straße / Potsdamer Straße / Hauptstraße, die noch unter Jaraschs Vorgängerin Regine Günther zur Verringerung der Stickoxid-Level verhängt wurde. Die Luft ist mittlerweile nachweislich besser geworden – Straße frei also für die künftige CDU-Senatorin.

Ein Bezirk sticht in diesem Szenario heraus: In Reinickendorf, wo die CDU mit 40,5 Prozent bei den BVV-Wahlen berlinweit am besten abschnitt, verliert die einzige grüne Stadträtin Korinna Stephan wohl die Zuständigkeit für den Verkehr an die ChristdemokratInnen. Weil diese nach anderthalb Jahren das BürgermeisterInnenamt wieder besetzen dürfen – gerechnet wird damit, dass Emine Demirbüken ins Rathaus am Eichborndamm einzieht –, können sie auch die Ressortzuschnitte verändern.

Auch in Reinickendorf kämen viele Radinfrastruktur-Projekte noch auf die Straße, weil die Planungen schon fertig seien, sagt Stephan. „Die lassen sich gar nicht mehr stoppen, ohne finanzielle Risiken einzugehen. Es gibt gültige Finanzierungszusagen der Senatsverwaltung oder Verträge mit Baufirmen.“ Allerdings erwartet auch sie „dramatisch verschlechterte Rahmenbedingungen“ für die Bezirke, wenn Schwarz-Rot die Mobilitätswende auf den Prüfstand stellt. Nicht nur wegen der finanziellen Abhängigkeit: „Keine Verwaltung wird planen, solange Unsicherheit besteht, ob oder wie sich gesetzliche Rahmenbedingungen ändern. Das bedeutet Stillstand und Investitionsstau.“

In ihrem Bezirk schwant Stephan für die nahe Zukunft nichts Gutes: „Die CDU hatte vor meiner Amtszeit 26 Jahre Zeit, Ideen zu entwickeln und umzusetzen, aber in den 5 Jahren davor wurden insgesamt 2 Kilometer Radinfrastruktur geschafft.“ Dagegen stünden im laufenden Jahr 12 Kilometer auf der Umsetzungsliste – „sofern nichts davon gestoppt wird“. In diesem Sommer sollen beispielsweise Radspuren auf 3,5 Kilometern Länge der Heiligenseestraße durch den Tegeler Forst angelegt werden. Ein Projekt, das die bezirkliche CDU immer zu verhindern gewusst hatte, auf einer eigentlich idyllischen Straße, wo seit eh und je gerne gerast wird.

Trotzdem sagt Stephan, müsse man die Tatsache anerkennen, dass beim Thema Verkehrswende „ein tiefer Riss durch die Bevölkerung“ gehe. „Die menschengerechte Stadt grüner Lesart hat derzeit keine Mehrheit, und wir müssen uns diese Mehrheit erarbeiten, wenn die Mobilitätswende Erfolg haben soll.“ Wenn Schwarz-Rot tatsächlich wie angekündigt den Kampf gegen den Klimawandel angehe, könne dies „auch eine Chance“ sein, Gräben zu schließen, glaubt die Politikerin. Sie stehe in ihrem Bezirk der CDU, die bislang nicht mit Plänen oder auch nur Ideen für neue Verkehrskonzepte aufgefallen sei, „gern beratend zur Seite“.

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