Christliche Aktivistin Birgit Kelle: Militante Feministin Gottes
Als „moderne Feministin“ präsentiert sich Birgit Kelle in den Talkshows. Doch zudem unterstützt sie die erzkonservativen Legionäre Christi.
Stuttgart Ende Juni, Birgit Kelles Blick streift über den Platz, der sich allmählich mit Menschen füllt. Rosa und blaue Luftballons und Pappschilder mit den Aufschriften „Demo für alle“, „Schützt unsere Kinder!“ und „Gender-Ideologie stoppen“ werden verteilt. In ihrer Rede wird Birgit Kelle vor dem Bildungsplan 2015 warnen: Es sei das Ende der Meinungsvielfalt, wenn an den Schulen sexuelle Vielfalt gelehrt werde. Erziehungsrecht sei Elternrecht.
Die politische Aktivistin Birgit Kelle stellt sich als moderne Feministin dar. In den Medien wird ihr Buch „Dann mach doch die Bluse zu“ als unterhaltsam und provozierend bzw. als „belebend“ bezeichnet. Das Buch beginnt mit ihrer eigenen Geschichte, ihrer Erfahrung, als Mutter diskriminiert zu werden, weil man heute nicht mehr „nur“ Mutter und Hausfrau sein dürfe und sich dafür rechtfertigen müsse.
Der Feminismus sei aus dem Ruder gelaufen, er diskriminiere inzwischen die Mehrheit der schweigenden Frauen. Birgit Kelle hat daher beschlossen, den Feminismus zu erneuern. So erklärt sie ihre politische Sozialisation zumindest in ihrem Buch, nachzulesen in einem Vorabdruck der Welt.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. An anderer Stelle berichtet sie von der erschütternden Wirkung einer Andacht von Kardinal Ratzinger, die sie so sehr begeisterte, dass sie schließlich zum Katholizismus konvertierte. Und während Ratzinger Papst Benedikt XVI. wurde und den „Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung“ schuf, weil sich in Europa die Sinne für Gott verfinsterten, begab sich Birgit Kelle auf eine eigene Mission.
Aktuell organisiert sie zusammen mit der Zivilen Koalition der AfDlerin Beatrix von Storch die Demonstrationen gegen den Bildungsplan 2015 der rot-grünen Landesregierung in Baden-Württemberg. Vorbild sind die großen homophoben Demonstrationen in Frankreich vom letzten Jahr, von denen auch das Motto „Demo für alle“ übernommen wurde. Birgit Kelle ist „Board-Mitglied“ des europäischen Dachverbandes New Women for Europe, die nach eigenen Angaben einhundert Frauengruppen und über eine halbe Million Frauen vertreten. Auf der Website dieses Dachverbandes mit Beobachterstatus bei der EU jedoch ist kein Name, keine Organisation, keine Gründungsgeschichte genannt.
Vorträge beim Regnum Christi
Die „Götsch Direkt GmbH“ von Frau Kelle war eine Zeit lang mit der Adresse Kiesheckerweg 240 in Düsseldorf versehen. Dort residiert auch die erzkonservative Bruderschaft der Legionäre Christi. Bei dem – ebenfalls christlich engagierten – Unternehmer, der ihnen die Räume vermietete, arbeitet eine Sekretärin, die zugleich bei Kelles Verein „Frau200plus“ aktiv ist.
Das alles scheint kein Zufall zu sein: Birgit Kelle trat als Rednerin bei einer Reihe von Veranstaltungen auf, die Regnum Christi, eine Unterorganisation der Legionäre, mit ihr organisierte. Zum Katholikentag in Regensburg bekundeten Klaus und Birgit Kelle einmütig, dass sie sich mehr für Regnum Christi begeistern könnten als für meditatives Bogenschießen. Und Klaus Kelle drückte bei Facebook seinen Gefallen aus, als in Rom 49 Legionäre zu Priestern geweiht wurden.
Der Orden Legionäre Christi war beim Vatikan eine Zeit lang in Ungnade gefallen, als die sexualisierte Gewalt in den Knabenseminaren bekannt wurde, die vom Gründer der Legionäre Christi ausging. Dieser wurde nun als „Psychopath“ gebrandmarkt und die Legionäre dürfen ihn nicht mehr verehren. Im Rahmen der geforderten Neuevangelisierung Europas braucht man allerdings die Legionäre Christi und ihre spezielle Pädagogik, die auf Heiligenverehrung und Beichte zu basieren scheint.
Kritiker gelten als "Verräter"
Man verpflichtet sich in dieser militärisch organisierten Gemeinschaft, Kirche und Papst zu dienen und sich jeder Kritik an beidem zu enthalten. Wer Kirche oder Gemeinschaft kritisiert, gilt als „Verräter“. Unter anderem bilden die Legionäre auch Exorzisten aus.
Es wird deutlich, warum Birgit Kelle sich gegen den Bildungsplan 2015 der rot-grünen Landesregierung ereifert. Die päpstlich verordnete Neuevangelisierung ist nicht neu und belebend. Birgit Kelles Antifeminismus ist alt und erstickend wie der missionarische Eifer der Legionäre Christi.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!