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Christine Drews' Roman „Großraumdisco“Saufen zwischen den Milieus

Christine Drews hat einen Coming-of-Age-Roman namens „Großraumdisco“ geschrieben. Den Charme dieser Institutionen des platten Landes hat sie erkannt.

So sah das aus: Hier in Thüringens größter Großraumdisco MAD in Eisenach, 2008 Foto: dpa

S eit Oktober 2021 gibt es diese Rubrik nun bereits – und erstaunlicherweise hat bislang noch nie ein*e Au­to­r*in an dieser Stelle gefragt, wie es eigentlich zum Titel „Großraumdisco“ kam. Dabei ist die Großraumdisco nicht nur ein aussterbendes, sondern auch ein betrachtenswertes Phänomen. Das weiß auch die Kölner Erfolgsautorin zahlreicher Kriminal- und Familienromane Christine Drews. Ihr gerade erschienener Roman trägt den Titel „Großraumdiso“.

Um es gleich vorwegzunehmen: Der Roman ist eigentlich ein Etikettenschwindel, denn leider geht es nur sehr am Rand um eine Großraumdisco irgendwo bei Bremen. Dort, erzählt eine Heldin in den Fünfzigern namens Anni, traf sie sich irgendwann in den Achtzigern regelmäßig mit der Dorfjugend aus dem ganzen Landkreis.

Im Kern ist „Großraumdisco“ aber die Coming-of-Age-Geschichte einer Bauerntochter, die den Unfalltod ihrer kleinen Schwester nicht auf die Reihe bekommt, eine Zwangsstörung entwickelt, dafür von ihren Mit­schü­le­r*in­nen verspottet wird und deshalb „das Weite“ sucht.

Erzählt wird vom ersten Studienjahr in Bremen, vom ersten Job, der ersten Liebe, vom Erwachsenwerden halt, wie es viele kennen – inklusive größer werdender Kluft zwischen der alten Welt Dorf und der neuen Welt Stadt.

Wo der Curaçao in Strömen floss

wochentaz

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Und hier wären wir wieder bei der Großraumdisco angelangt. Denn eine Großraumdisco wie das fiktive Cincinnati, wo, wie Anni berichtet, der Curaçao in Strömen floss, wo schlechte Musik lief und trotzdem alle mitgrölten – die wird sie in Bremen nicht mehr finden. Gut, sie wird weiter tanzen gehen, aber so enthemmt wie hier wird es dort nie mehr sein. Der Grund sickert erst langsam durch. Und dazu muss weiter ausgeholt werden.

Großraumdiscos waren Institutionen, die nicht umsonst über mehrere Floors und Bars oder gar Cafés verfügten – und manchmal sogar eigene Räume zum Chillen, Rauschausschlafen, Knutschen, Fummeln und mehr. Besonders im ländlichen Raum, wo die Freizeiteinrichtungen dünn gesät sind, mussten diese Schuppen schlicht und ergreifend für alle funk­tio­nieren.

Darum konnte es vorkommen, dass es eine Schlagerparty, eine Heavy-Metal-Veranstaltung oder – ganz schlimm – eine Lady’s Night am selben Abend gab. In der Großraumdisco traf sich Gott und die Welt – und das galt sowohl für jene auf dem Land als auch für die in der Stadt. Oder in den Worten von Christine Drews: Hier tanzten die „Kinder der Hühnerbarone“, die „von ihren Eltern mit einem VW-Golf ausgestattet“ wurden, mit jenen, die um ihr Studium kämpfen mussten.

Doch diese Zeiten sind vorbei, Großraumdiscos sterben aus. Es gibt immer mehr Jugendszenen, die immer kleinteiliger werden. Die Leute wollen kein Massenbespaßungsprogramm mehr, sondern lieber, wenn überhaupt, ihren ganz speziellen und individuellen Techno-Bunker oder Hip­Hop-­Club, ihren quee­ren oder linken Schutzraum. Da bleibt man unter sich.

Sinkende Gästezahlen und Marktbereinigung

Andere halten es noch radikaler und suchen sich ihre Gleichgesinnten gleich virtuell. Hinzu kommt der demografische Wandel, dass es also immer weniger junge Leute gibt. Schon vor Corona warnte der Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe vor „sinkenden Gästezahlen“ und „Marktbereinigung, und dann kamen die Lockdowns und die ­Hygieneauflagen.

So klischeehaft das Buch von Christine Drews an manchen Stellen ist, so kommt es doch angemessen wehmütig rüber, wenn es vom Untergang der chaotischen Welt der Großraumdiscos und der sozialen Durchlässigkeit auf dem Land berichtet, die, und das ist die andere Seite, manchmal nicht nur herzlich war, sondern auch ganz schön hart – und das nicht nur, weil viele am Ende der Nacht ihr Auto an den Baum setzten, sondern auch, weil man Nerven wie Drahtseile brauchte, wenn man anders war als die anderen.

Erzählerin Anni traut sich jedenfalls erst nach 35 Jahren zum Abi-Treffen in die Event- und Mehrzweckhalle, die das Cincinnati jetzt ist. Und da entdeckt sie, dass sie damals irgendwie auch etwas verloren hat.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1971, schrieb 1995 ihren ersten Kulturtext für die taz und arbeitet seit 2001 immer wieder als Redakteurin für die taz. Sie machte einen Dokumentarfilm („Beijing Bubbles“) und schrieb zwei Bücher über China („Peking" und "Chinageschichten“).
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