Christian Lindners Finanzpolitik: In der Realpolitik angekommen
Corona-Milliarden fürs Klima nutzen: Was Christian Lindner (FDP) als Oppositionspolitiker ablehnte, setzt er als Finanzminister um.
Jetzt nutzt die neue Bundesregierung denselben Trick in deutlich größerem Ausmaß: Das Bundeskabinett verabschiedete am Montag einen Nachtragshaushalt, mit dem 60 Milliarden Euro nicht benötigter Coronahilfen in den inzwischen in Klima- und Transformationsfonds umbenannten Sondertopf verschoben werden; noch in dieser Woche soll der Bundestag diesen Nachtrag in erster Lesung beraten. Doch diesmal hat Christian Lindner keinerlei Einwände. Im Gegenteil: „Das ist ein Signal unserer Handlungsfähigkeit“, sagte er am Montag nach der Kabinettssitzung. „Und es ist Ausdruck unseres Gestaltungswillens.“
Gleiche Fakten, gleicher Mann, gegensätzliche Einschätzung: Was auf den ersten Blick verwundert, ist auf den zweiten leicht zu erklären: Im Jahr 2020 führte Lindner die zweitgrößte Oppositionsfraktion im Bundestag; 2021 ist er als Minister verantwortlich für die Finanzen der Bundesregierung. Und als solcher hat er ein Problem: Um die anspruchsvollen Klimaschutzziele zu erreichen, muss die Bundesregierung in den nächsten Jahren Hunderte Milliarden Euro zusätzlich investieren. Doch im Wahlkampf hat die FDP Steuererhöhungen ebenso ausgeschlossen wie ein Aufweichen der Schuldenbremse, die die Möglichkeit des Bundes, Kredite aufzunehmen, eng begrenzt.
Dass zusätzliche Ausgaben ohne neue Einnahmen oder mehr Schulden mit den einfachsten Regeln der Mathematik im Konflikt stehen, konnte dem Oppositionspolitiker Christian Lindner egal sein; der Finanzminister Lindner muss dagegen einen Haushalt vorlegen, bei dem die Zahlen am Ende zueinander passen. Darum haben sich mit dem Wechsel ins neue Amt nicht nur Tonfall und Rhetorik von Christian Lindner deutlich verändert. Wie schon in der Coronapolitik, wo viele Positionen der FDP ebenfalls im Widerspruch zur Realität standen und darum kurzfristig aufgegeben werden mussten, hat Lindner auch bei zentralen Positionen einen schnellen Wechsel vollzogen.
Elegante Lösung, die vielleicht nicht verfassungskonform ist
Technisch ist die Lösung einfach: Die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse erlaubt dem Bund im Normalfall, neue Schulden maximal in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzunehmen. Für das Jahr 2021 wären das ungefähr 12 Milliarden Euro. Doch im Fall außergewöhnlicher Krisen kann die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt werden. Wegen der finanziellen Folgen der Coronapandemie ist das in den Jahren 2020 bis 2022 der Fall; erst 2023 muss die Schuldenbremse wieder eingehalten werden. Doch weil sich die Wirtschaft schneller erholt hat als erwartet, werden die 240 Milliarden Euro, die der Bund in diesem Jahr aufnehmen darf, gar nicht in vollem Umfang benötigt.
Statt auf einen Teil der neuen Kredite zu verzichten, widmet die Regierung diese jetzt um und verschiebt 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds. Für die Ampelkoalitionäre ist das eine elegante Lösung, die formal an der Schuldenbremse festhält und trotzdem viel Geld für die Zeit zurücklegt, wenn diese wieder gilt.
Doch unproblematisch ist der Plan trotzdem nicht: Denn zum einen ist unklar, ob das Vorgehen, auf das sich die Ampelkoalition im Grundsatz schon in den Koalitionsverhandlungen verständigt hatte, verfassungskonform ist. In Hessen war die Einrichtung eines Corona-Sondervermögens vom Staatsgerichtshof kürzlich für unzulässig erklärt worden. Auch der Bundesrechnungshof hat rechtliche Zweifel am geplanten Vorgehen angemeldet. Der neue Regierungssprecher, Steffen Hebestreit, wies derartige Stimmen am Montag zurück, ohne aber im Detail auf die möglichen rechtlichen Probleme einzugehen. „Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien halten dieses Vorgehen für völlig verfassungskonform“, sagte er lediglich.
Um dem Eindruck einer Zweckentfremdung der Coronahilfegelder für den Klimaschutz entgegenzuwirken, betonte der neue Finanzminister am Montag, dass ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Ausgaben bestehe. „Wir sehen, dass es aufgrund der Pandemie eine geringere Investitionstätigkeit gibt“, sagte Lindner. Und darauf solle nun durch zusätzliche staatliche Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen reagiert werden, unter anderem in die Wasserstoffwirtschaft. Wann genau die jetzt geparkten Gelder ausgegeben werden sollen, blieb aber offen.
Zum anderen droht Gegenwind von der Opposition. Denn CDU und CSU wollen aus Lindners Sinneswandel politisches Kapital schlagen – und haben dazu ebenfalls eine Kehrtwende vollzogen, allerdings genau in die umgekehrte Richtung: „Der Plan von Christian Lindner, 60 Milliarden für die Finanzierung teurer Wahlversprechen abzuzweigen, ist skandalös und verfassungsrechtlich bedenklich“, schrieb CSU-Generalsekretär Markus Blume auf Twitter. Dass seine Partei genau dieses Vorgehen im Pandemiejahr 2020 noch mitgetragen, umgesetzt und verteidigt hat, hat Blume offenbar ebenso schnell vergessen wie Lindner seine bisherige Ablehnung eines solchen Vorgehens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe