Chinesische Sportlerin unter Druck: Inszenierte Wahrheit

Tennisspielerin Peng Shuai nimmt in einem Interview die Missbrauchsvorwürfe gegen einen Parteibonzen zurück. Scoop oder Propagandacoup?

Die rot gekleidete Tennisspielerin Peng Shuai auf einem Aussichtsbalkon in Schanghai in Begleitung von Yao Ming

Zufällige Begegnung? Peng Shuai (Mitte) mit Basketball-Legende Yao Ming in Schanghai Foto: reuters

PEKING taz | Oberflächlich betrachtet ist es ein Scoop: Am Sonntag tauchte die Tennisspielerin Peng Shuai bei einer Ski-Langlauf-Veranstaltung in Schanghai auf. Und während sie sich gerade auf einer Balustrade im abgesperrten VIP-Bereich mit dem einstigen NBA-Spieler Yao Ming unterhält, schleicht sich eine Reporterin aus Singapur an die derzeit meistgesuchte Chinesin heran. Erstaunlicherweise wird sie von Pengs Entourage keineswegs abgewiesen. Im Gegenteil: Die 35-Jährige stimmt freundlich lächelnd zu, ein kurzes Video-Interview zu geben.

Die Aussagen, die sie in dem 5-Minuten-Clip tätigt, sind längst rund um die Welt gegangen: „Ich muss einen Punkt betonen, der äußerst wichtig ist: Ich habe niemals gesagt oder geschrieben, dass mich jemand sexuell angegriffen hat. Das muss ich mit Nachdruck feststellen“, sagt die Athletin. Was für eine dramatische Plot-Wende: Peng Shuai, die vor knapp 50 Tagen auf ihrem Weibo-Account schilderte, dass sie vom ehemaligen Vize-Premier Zhang Gaoli vergewaltigt wurde, streitet nun alles ab. Pekings Propagandaapparat zeigt sich zufrieden: „Die Außenwelt sollte die Einstellung von Peng Shuai respektieren“, schrieb der ehemalige Chefredakteur der Parteizeitung Global Times, Hu Xijin, auf Twitter.

Der unter hohem Zeitdruck stehende Agenturjournalismus gerät bei der Causa Peng Shuai an seine Grenzen. Tatsächlich reicht es nicht bloß zu schreiben, was ist. Ohne den Kontext wird man schnell zum Gehilfen der chinesischen Propaganda. Wer das Interview-Video sorgfältig betrachtet, kommt nicht umhin festzustellen, dass es sich um eine inszenierte Situation handelt.

Dass die meistgesuchte Chinesin, die seit 48 Tagen von keinem einzigen westlichen Korrespondenten kontaktiert werden konnte, ausgerechnet auf eine Peking-freundliche Reporterin aus Singapur in einem hochabgesperrten Sicherheitsbereich trifft, ist wohl ein Zufall zu viel. Und dann sagt sie auch noch spontan einem Interview zu.

Natürlich kann niemand mit Sicherheit sagen, ob Peng Shuai ihre Aussagen aufrichtig meint oder nur aus Druck getätigt hat. Es ist ja durchaus möglich, dass sie ihre Anschuldigungen gegen den einstigen Vize-Premier bereut. Schließlich lassen ihre sonstigen Postings darauf schließen, dass sie eine stramme Patriotin ist. Doch sicher sein kann man sich nicht in einem System, in dem normale Bürger wegen zaghafter Kritik an der Zentralregierung bereits weggesperrt werden.

Unsichtbare Mauer

Wer in China als Korrespondent arbeitet, ist im Wochen-Takt mit dieser unsichtbaren Mauer konfrontiert, die jeden inhaltlichen Austausch zu sensiblen Themen unmöglich macht: Da ist etwa die kritische Frauenrechtlerin, die nach langer Überzeugungsarbeit endlich einem Interview zustimmt, um am vereinbarten Tag ihre Meinung unwiderruflich zu ändern. Oder der NGO-Mitarbeiter, der zwar als Peking-Kritiker gilt, doch sobald das Aufnahmegerät läuft, behauptet, Staatschef Xi Jinping habe mit seinen „Regulierungen“ die Zivilgesellschaft gestärkt. Es ist nicht so, dass die Wahrheit immer weiter verschwimmt. Vielmehr lässt sie sich bei fast sämtlichen „sensiblen“ Themen im öffentlichen Raum schlicht nicht mehr aussprechen.

Da ist es umso erstaunlicher, dass der Damentennis-Verband WTA in der Angelegenheit bislang stets konsistent und unmissverständlich kommuniziert hat. „Wir bleiben bei unserer Forderung nach einer vollständigen, fairen und transparenten Untersuchung auf Peng Shuais Vorwurf des sexuellen Übergriffs“, teilte die Organisation per E-Mail mit.

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