Chinas spektakulärster Prozess: Bo Xilai will es einfach nicht lassen
Der zu einer lebenslangen Haft verurteilte einstige chinesische Spitzenpolitiker Bo Xilai will sich gegen sein Urteil zu Wehr setzen. Er geht in Berufung.
PEKING taz | Überraschend kommt seine Berufung nicht. Augenzeugen berichten, Bo Xilai habe direkt nach der Urteilsverkündung im September „unfair“ und „ungerecht“ gebrüllt bevor er abgeführt wurde. Das Volksgericht in der ostchinesischen Stadt Jinan, an dem der Prozess des in Ungnade gefallenen einstigen Spitzenpolitikers im August und September dieses Jahres stattfand, hatte per Kurznachrichtendienst sehr viel über den Prozessverlauf berichtet, aber nicht über diesen lautstarken Abgang. Offensichtlich befürchtete das Gericht, es könnte doch allzu viele Beileidsbekundungen geben.
Nun hat Bo Berufung eingelegt und eine Revision des Urteils verlangt. Kommt es nun zu einer Neuauflage von Chinas spektakulärstem Prozesses seit 30 Jahren?
Ungewöhnlich ist es schon, dass ein chinesisches Gericht überhaupt eine Berufung gegen das Urteil zulässt. Denn China hat trotz anderslautender offizieller Bekundungen nach wie vor kein unabhängiges Justizsystem. Bei Prozessen dieses Kalibers, gehen unabhängige Rechtsexperten davon aus, dass Urteil und Verlauf normalerweise von vornherein feststehen und von oben vorgegeben werden. Nun heißt es aber auf der offiziellen Webseite des Gerichts: „Der Widerspruch gegen das Urteil ist eingegangen und wird bewertet.“
Vor einem Monat wurde Bo wegen Korruption, Machtmissbrauch und Bestechung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Richter sahen es unter anderem als erwiesen an, dass der 64-Jährige den Mord gegen einen britischen Geschäftsmann, den seine Frau begangen hatte, bewusst zu vertuschen versuchte. Den Skandal enthüllt hatte Anfang 2012 Bos ehemaliger Polizeichef in der Millionenmetropole Chongqing, in der Bo zu der Zeit Parteichef war.
Ungewohnter Prozessverlauf
Er wurde zu der Zeit als aussichtsreicher Kandidat für höchste Parteiämter in Peking gehandelt. Seine Frau ist bereits vergangenes Jahr zu einer Todesstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Auch sie sitzt für den Rest ihres Lebens im Gefängnis.
Genau den Eindruck der von oben herab gesteuerten Justiz will Chinas Führung im Fall von Bo aber widerlegen. Und tatsächlich unterscheidet sich der Prozessverlauf gegen ihn sehr deutlich von denen vergangener Prozesse gegen Spitzenpolitiker, die zumeist den Charakter von Schauprozessen hatten und der allgemeinen Abschreckung dienen sollten.
Bo Xilai hingegen durfte sich während seiner Verhandlungstage vor Gericht ausführlich und in aller Schärfe verteidigen und sogar vermeintliche Autoritäten infrage stellen. Selten wurde auch in den chinesischen Staatsmedien so ausführlich über ein Prozess berichtet und die Gerichtsprotokolle so zügig ins Netz gestellt wie bei Bo.
Rechtsexperten geben der Revision allerdings geringe Chancen. Das zeigt sich schon daran, dass das Gericht am Mittwoch keine Angaben machte, wann über die Berufung entschieden wird. Die in Hongkong erscheinende South China Morning Post hat aus dem Umkreis der Familie Bo Xilais erfahren, dass ihr bereits mitgeteilt worden sei: Eine lautstarke Verteidigung Bos werde es nicht noch einmal geben.
Wahrscheinlich sei, so heißt es, dass die Berufung zeitlich möglichst weit nach hinten gerschoben und dann irgendwann in einer kurzen Mitteilung doch noch abgewiesen werde. Eine offizielle Stellungnahme des zuständigen Gerichts gibt es aber nicht.
Zwar muss das Gericht nach chinesischem Recht eine solche Berufung eigentlich innerhalb von zwei Monaten behandeln. In besonderen Fälle kann dieser Zeitraum aber ausgedehnt werden. Und der Fall Bo zählt sicherlich zu einen dieser „besonderen“ Fälle.
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