Chinas Militärmanöver um Taiwan: Simulation einer Inselblockade
Peking probt mit Militärmanövern, wie es den Inselstaat isolieren könnte. In Taipeh reagiert man bislang souverän.
Während Nancy Pelosi bereits längst in Südkorea weilt, müssen die über 23 Millionen Taiwaner nun mit den Konsequenzen des Besuchs der US-Politikerin zurechtkommen. Die Maßnahmen stellen eine bisher nie dagewesene Provokation dar – nicht zuletzt, weil sie de facto eine Inselblockade in Echtzeit simulieren.
Militärexperten halten das Szenario einer wirtschaftlichen Isolation Taiwans durch China für wahrscheinlicher als einen offenen Eroberungskrieg. Im chinesischen Staatsfernsehen bezeichnete Generalmajor Meng Xiangqing die Manöver als bisher engste „Einkreisung der Insel“: „Das schafft sehr gute Voraussetzungen, um die strategische Lage zugunsten einer Wiedervereinigung zu gestalten.“
Doch wie Mick Ryan, ein pensionierter Armeegeneral aus Australien kommentiert, könnten die Manöver für Peking unerwünschte Nebeneffekte haben. Denn sie werden unweigerlich „wertvolle Einblicke in das militärische Denken und die Fähigkeiten Chinas geben“ – und damit etwa der internationalen Staatengemeinschaft auch potenzielle Schwachstellen der Chinesen offenbaren. Jenes Wissen sei für den Westen von unschätzbaren Wert und helfe bei der künftigen strategischen Ausrichtung in dem Konflikt.
Taipeh bleibt gelassen
Im Verteidigungsministerium in Taipeh gab man sich am Donnerstag betont souverän. „Wir streben keine Eskalation an, aber wir scheuen auch nicht zurück, wenn es um unsere Sicherheit und Souveränität geht“, hieß es. Chinas Militärmanöver wurden als „irrationale Handlungen“ bezeichnet, die „den regionalen Frieden gefährden“.
Bei den internationalen Reaktionen war vor allem die Vorsicht zu spüren, die Spannungen nicht weiter anzufachen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) rief während ihres Besuchs in Kanada zur Deeskalation auf: Pelosis Besuch dürfe „nicht als Vorwand für militärische Drohgebärden genutzt werden“.
Der Taiwankonflikt im Indopazifik gilt als möglicher Ausgangspunkt einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Peking und Washington. US-Präsident Joe Biden verfolgt wie auch seine Vorgängerregierungen eine Strategie der „Ambiguität“. Man will es offenlassen, inwieweit man selbst eingreifen würde, wenn China den Inselstaat angriffe.
Für Xi Jinping ist die Angelegenheit eine höchstpersönliche und auch emotionale. Sein Vater Xi Zhongxun, hochrangiger Parteikader, stand jahrelang in geheimen Austausch mit Vertretern aus Taipeh, um auf eine Wiedervereinigung hinzuarbeiten. Dass er diese zu seinen Lebzeiten nicht mehr erreichte, kränkte ihn zutiefst. Sein Sohn Xi Jinping hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, die Vision eines geeinten Mutterlands zu vollenden.
Unerwünschte Vereinigung
Offiziell verfolgt Chinas Staatsführung weiterhin die Strategie, dass man die Herzen der Taiwaner für eine friedliche Wiedervereinigung erobern wolle. Dass dies längst nicht mehr realistisch scheint, ist mehr als offensichtlich. Denn die Kommunistische Partei zieht sich seit Jahren zunehmend den Zorn der Inselbewohner zu.
Erst am Mittwochabend lieferte Lu Shaye, Chinas Botschafter in Paris, einen erneuten Vorwand dafür. Während einer Talkshow im französischen Fernsehen gab er ungemein tiefe Einblicke in die Sichtweise des chinesischen Staatsapparats: „Vor zehn, zwanzig Jahren war die Mehrheit in Taiwan für eine Wiedervereinigung“, sagte Lu. Dass sich die Inselbevölkerung mittlerweile dagegenstelle, liege nur an der „antichinesischen Propaganda“ der derzeitigen Regierungspartei. Das zynische Fazit des Diplomaten: „Nach der Wiedervereinigung mit Taiwan werden wir eine Umerziehung durchführen müssen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin