China: Keine Almosen
Erst wollte Peking aus der Eurokrise Nutzen ziehen. Inzwischen haben die Chinesen die Zuversicht verloren
Felix Leeaus Peking
Die chinesische Außenpolitik kennt so etwas wie Wohltaten nicht. Bis vor nicht allzu langer Zeit hatte die Volksrepublik wegen der eigenen Armut im Land gar nichts an andere zu verteilen. Erst langsam begreifen die Parteikader in Peking: Ihr Land ist kein Entwicklungsland mehr, das um Almosen aus dem Ausland betteln muss, sondern die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Nun wird von China erwartet, anderen notleidenden Regionen aus der Patsche zu helfen. Doch ausgerechnet den Europäern? Den einstigen Kolonialherren vom immer noch reichsten Kontinent? Das leuchtet den meisten Chinesen weiterhin nicht ein.
Als die Finanzierungskrise in der Eurozone vor nunmehr sechs Jahren ihren Anfang nahm, dachte China noch: Das werden die Europäer schon selbst in den Griff bekommen. Immerhin gehören zur Eurozone wirtschaftliche Schwergewichte wie Deutschland, Frankreich oder Italien – Länder, vor denen die Chinesen einen Heidenrespekt haben und deren Waren sie für die Besten der Welt halten.
Zugleich ist China selbst ein halber Kontinent mit ebenfalls höchst unterschiedlichen Sprachen und Kulturkreisen. Auch in China haben sich in den vergangenen 20 Jahren einzelne Provinzen immer wieder kräftig überschuldet. Doch nie wäre es der Zentralregierung in Peking in den Sinn gekommen, diesen Provinzen nicht zu helfen. Aus chinesischer Sicht ist es daher unbegreiflich, warum die Europäer nicht an einem Strang ziehen.
Als Spanien, Portugal, Irland und Griechenland 2011 der Zahlungsausfall drohte, sagte China zu, diesen Krisenländern zu helfen. Das geschah keineswegs aus edlen Beweggründen. Mit ihren damals schon gewaltigen Währungsreserven, die die chinesische Zentralbank vor allem in US-Dollar hielten, wollten die Chinesen ohnehin ihren Devisenschatz breiter streuen. Da bot es sich an, zu lukrativen Zinssätzen bei den Europäern einzusteigen.
Der Geldmangel von Europas klammen Ländern nutzte China zugleich, um sich zum Beispiel Anteile des Hafen von Piräus zu sichern. Eine ebenfalls lukrative Investition, dachten sie, die sich schon bald ökonomisch rechnen würde. Piräus sollte für China ein wichtiger Stützpunkt werden zur Expansion nach Europa und in den gesamten Mittelmeerraum hinein. Zu diesem Zeitpunkt glaubte Peking allerdings noch, die Europäer würden die Krise rasch bewältigen.
Doch je länger sich die Dramen in Brüssel, Berlin und Athen hinzogen, desto geringer fiel Chinas Investitionsbereitschaft aus. Die Chinesen kauften denn auch sehr viel weniger Staatsanleihen der Krisenstaaten auf, als 2010 und 2011 noch zugesagt.
Europa: Was für ein Jahr: In Griechenland spielte ein monatelanger Krimi um die neue Linksregierung, Währungskrise und Verhandlungen mit der Troika. Paris musste zwei islamistische Terroranschläge erleben. Und vor allem beschäftigten uns Menschen, die von jenseits des Mittelmeers nach Europa kommen. Der Umgang mit dieser „Flüchtlingskrise“ entzweite auch die Mitglieder der EU.
Sichtweise: Wie schaute die Welt auf Europa in diesem Krisenjahr? Wir haben die taz-Auslandskorrespondenten in China, Russland, Südamerika, den USA und Westafrika gebeten, mit der Brille ihres Berichtsgebiets auf 2015 zurückzublicken. Welches Bild wurde dort von Europa gezeichnet? Welche Nachrichten spielten eine besondere Rolle, welche gar keine? Was bewegte die Menschen?
Den traurigen Höhepunkt der Eurokrise wurde aus chinesischer Sicht 2015 erreicht. Als die frisch gewählte Links-Regierung in Athen im Zuge des sich immer weiter zuspitzenden Streits mit den europäischen Geldgebern verkündete, die bereits erteilte Privatisierung der Hafenanlagen von Piräus zu stoppen, erkannten die Chinesen, wie brüchig auch europäische Zusagen sein können.
Beim Brüsselbesuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang Mitte des Jahres gab er sich noch diplomatisch. „Die Europäer können sich Chinas Unterstützung bei der Bewältigung der internationalen Finanzkrise und dem Schuldenproblem in Griechenland sicher sein“, versicherte er. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Interessiert sind Chinesen ausschließlich an Luxusimmobilien in Paris und London oder an profitablen deutschen Maschinenbauern, nicht aber an griechischen Olivenplantagen. Almosen hat Peking weiter keine zu vergeben.
Die Regierung hat vor zwei Monaten angekündigt, dass China in den kommenden zehn Jahren weltweit rund 1,2 Billionen Dollar anlegen wird. Ein genauer Blick auf die Pläne zeigt: Der Löwenanteil dieser globalen Investitionsoffensive wird an die USA gehen, an das rohstoffreiche Australien oder Länder in Zentralasien, die China zunehmend als sein Hinterland betrachtet. Europa wird in diesen Plänen nur am Rande erwähnt.
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