China und der Gazakrieg: Neutralität mit Schlagseite
Spitzendiplomaten der Palästinenser und muslimischer Staaten treffen sich in China. Die Parallelen zur Russland-Politik Pekings sind bemerkenswert.
Noch bis Dienstag werden die Gespräche andauern, doch schon jetzt scheint die Stoßrichtung klar. „Wir sind bereit, mit unseren Brüdern und Schwestern aus den arabischen und islamischen Ländern zusammenzuarbeiten“, sagte Wang Yi am Montag im Staatsgästehaus Diaoyutai. Er nannte die Ziele, auf die man gemeinsam hinarbeiten möchte: einen umgehenden Waffenstillstand, humanitäre Hilfslieferungen und die rasche Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung.
Aus israelischer Sicht dürfte allerdings mindestens ebenso entscheidend sein, was Chinas Außenminister nicht nannte: Keine Silbe verlor der 70-Jährige über die israelischen Geiseln, ebenso wenig erwähnte er das Recht des Landes auf Selbstverteidigung. „Wir erwarten, dass eine klare Aussage zur bedingungslosen Freilassung der 240 Geiseln veröffentlicht wird, die in Gaza von der Terrororganisation Hamas festgehalten werden, anstatt einer Forderung nach einer Feuerpause“, sagte Israels Botschafterin in China Irit Ben-Abba nur wenige Stunden zuvor. Doch derzeit, so scheint es, spielt die Diplomatin aus chinesischer Sicht ohnehin nur eine untergeordnete Rolle.
Um Chinas Vorgehensweise in dem Konflikt besser zu verstehen, hilft ein Blick zurück, zum Februar des letzten Jahres: Es scheint nämlich, als würde die chinesische Regierung die exakt selbe Anleitung, die sie bereits beim Krieg gegen die Ukraine befolgte, erneut einhalten – eine Strategie, die Experten damals „prorussische Neutralität“ tauften. Diesmal ist es eben eine Neutralität mit propalästinensischer Schlagseite.
Antisemitismus in Chinas Parteizeitung
Die Parallelen beginnen bereits bei der Berichterstattung, die – aufgrund der staatlich kontrollierten Medien und flächendeckender Zensur – von der Parteiführung kuratiert wird. So wird der Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober systematisch ignoriert, das Leiden der israelischen Geiseln findet keinen Platz im öffentlichen Diskurs. Genau wie auch das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung von der chinesischen Bevölkerung ferngehalten wurde.
Gleichzeitig lassen die Zensurbehörden dem Antisemitismus weitgehend freien Lauf, was sich vor allem in den hasserfüllten Kommentarspalten zeigt. Selbst in den Parteizeitungen schimmert der immer wieder durch – etwa, wenn die nationalistische Zeitung Global Times in einer Karikatur Juden als rote Teufel mit Hörnern im Gesicht darstellt.
Die propalästinensische Neigung reflektiert nicht zuletzt das offizielle Narrativ der Regierung: Schließlich hat das Pekinger Außenministerium die Taten der Hamas bislang in keiner einzigen Stellungnahme explizit verurteilt. Um das Kalkül dahinter zu verstehen, hilft auch hier die Analogie zum Ukraine-Krieg: China verfolgt vor allem langfristige, strategische Interessen. Und auch wenn Israel in den letzten Jahren zum zunehmend wichtigen Wirtschaftspartner avancierte, ist die Region für Peking vor allem als Energielieferant wichtig. Dementsprechend möchte die Volksrepublik Saudi-Arabien, aber auch Iran nicht vor den Kopf stoßen. Mit Teheran unterhält man sogar enge militärische Beziehungen.
Zudem benötigt Peking die Unterstützung des arabischen Blocks, wenn es um die eigene politische Agenda beim UN-Sicherheitsrat geht. Es ist schließlich eines der zentralen Anliegen der chinesischen Regierung, dass die muslimischen Länder die Repression der Uiguren nicht offen kritisieren. In der Tat gibt es – mit vereinzelten Ausnahmen wie der Türkei – praktisch keine Kritik an den Umerziehungslagern im nordwestchinesischen Xinjiang, wo muslimische Minderheiten brutal unterdrückt werden.
China will die Dominanz des Westens durchbrechen
Vor allem aber geht es der Volksrepublik langfristig darum, eine alternative Weltordnung zu etablieren, um die Dominanz des Westens unter Führung der USA zu durchbrechen. Dafür möchte man den globalen Süden hinter sich wissen. Israel ist in diesem Konflikt aus chinesischer Warte vor allem ein Verbündeter Washingtons – und damit auf der „falschen“ Seite.
Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass China trotz der propalästinensischen Schlagseite nicht dennoch einen diplomatischen Beitrag zum Frieden liefern kann. Es steht schließlich außer Frage, dass der Krieg in Gaza nicht im Interesse Pekings ist, und eine Ausweitung des Konflikts schon gar nicht. Von daher blickt die israelische Seite auf Pekings diplomatische Bemühungen im Nahen Osten ähnlich, wie schon Kyjiw auf die chinesischen Friedensinitiativen geblickt hat: skeptisch, aber nicht ablehnend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind