China nach der Coronapandemie: Die Tagelöhner von Wuhan
Die Pandemie begann in Wuhan. Der Lockdown dort traf die Arbeitsmigrant:innen am härtesten. Ein Jahr später überwiegt die Zuversicht.
Auch Li Wei ist an diesem feuchtkalten Januarmorgen zum größten Tagelöhnermarkt Wuhans gezogen. Seit mehreren Jahren kommt er hierher. Gegen eine kleine Gebühr, so erzählt er, fahren ihn die Mittelsmänner zu den umliegenden Baustellen, wo er dann bis um fünf Uhr nachmittags schuftet.
„Ich ziehe die harte Arbeit trotz allem vor, weil ich täglich bezahlt werde und eigentlich immer Arbeit finde“, sagt Li, der umgerechnet bis zu 25 Euro pro Tag verdient. Bei längerfristigen Jobs hingegen laufe man oft Gefahr, von gierigen Chefs um seinen Lohn geprellt zu werden.
Vor einem Jahr zählte Wuhan noch zum Epizentrum der Coronapandemie. Der weltweit erste Covid-19-Ausbruch veranlasste die Lokalregierung Ende Januar zu einem drastischen Schritt: Sie versetzte die Stadt in einen kompletten Lockdown. Es fuhren weder U-Bahnen noch Busse, auch die Autobahnverbindungen wurden vollständig gekappt. Die Bewohner der Millionenstadt waren 76 Tage lang in ihren Wohnungen eingesperrt.
„Wenn man hart arbeitet, findet man zumindest was“
Für Lehrer oder Beamte war die Ausnahmesituation zumindest wirtschaftlich nicht existenzbedrohend, schließlich bekamen sie ihr Gehalt weiter ausgezahlt. Auch viele Angestellte konnten im Homeoffice weiterarbeiten, einige Jungunternehmer zudem im Internet neue Einkommensquellen erschließen. Doch für die im Niedriglohnsektor Arbeitenden, also für Leute wie Li Wei, bedeutete der Lockdown mehrere Monate Lohnausfall.
Ein Jahr später ist auf Wuhans Tagelöhnermarkt nur noch wenig von Krisenstimmung zu spüren, auch wenn es im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie etwas weniger Arbeit gibt. „Wenn man hart arbeitet, findet man zumindest was“, sagt einer der Männer hier, der wie fast alle aus einem der umliegenden Dörfer stammt und vorübergehend in einem ärmlichen Wohnheim lebt. Der Altersdurchschnitt der Tagelöhner liegt bei 50 Jahren, die Jüngeren ziehen zum Geldverdienen lieber in die Fabriken. Oft sind sie auch besser ausgebildet und arbeiten in Büros.
Unter der Schnellstraßenbrücke hat sich in all den Jahren ein eigener Wirtschaftskreislauf herausgebildet: Eine Frau frittiert auf ihrer Garküche Pfannkuchen. Ein Verkäufer bietet am Bürgersteig auf einer Plastikplane Ladekabel und Arbeitskleidung an. Und ums Eck warten Taxifahrer darauf, von den Mittelsmännern als zusätzliche Fahrdienste zu den Baustellen angeheuert zu werden.
Allmählich dämmert es, die meisten Arbeiter sind bereits zu ihren Baustellen aufgebrochen. Ein 57-jähriger Mann wartet noch auf das richtige Angebot, er ist aber zuversichtlich. Auf die Frage, wie lange er noch auf dem Bau zu arbeiten beabsichtige, sagt er: „Ich habe keine Sozialversicherung und habe ein Kind zu versorgen. Solange ich arbeiten kann, werde ich es auch tun“.
Alle paar Wochen ein neuer Wolkenkratzer
Dass in Wuhan allerorts günstige Arbeitskräfte gebraucht werden, ist auf den ersten Blick ersichtlich: Die Stadt, die sich auf einer Fläche, doppelt so groß wie Berlin, erstreckt, ist ein von Baustellen und Kränen durchzogenes Häusermeer.
In nur wenigen Monaten werden ganze Barackensiedlungen abgerissen und durch moderne Apartmentsiedlungen ersetzt. In der Innenstadt am Jangtse reiht sich alle paar Wochen ein neuer Wolkenkratzer in die hochmoderne Skyline ein, die nachts in Neonfarben leuchtet.
Rund 300 Millionen sogenannte Arbeitsmigranten gibt es in China. Sie ziehen aus ländlichen Provinzen in die Städte, um Geld zu verdienen. Ein Sechstel von ihnen arbeitet im Bausektor. „Infolge des demografischen Wandels wird in den kommenden Jahren die Zahl der Arbeitsmigranten aber geringer“, sagt Robin Xu, ein Infrastruktur-Experte, „auch im Bausektor.“ Immer weniger Leute wollten die harte körperliche Arbeit auf sich nehmen.
Die Arbeiter und Arbeiterinnen, die das Land mit aufgebaut haben, werden älter. Während der Wirtschaftskrise 2008 kurbelte der chinesische Staat die Wirtschaft an, indem er Autobahnen und Schienennetze baute – mithilfe der Arbeitsmigraten. In der Coronakrise spielen sie bei der wirtschaftlichen Erholung nicht mehr eine so wichtige Rolle.
Keine reine Erfolgsgeschichte
Während des Lockdowns Anfang 2020 ist Chinas Wirtschaft um historisch einmalige 6,8 Prozent eingebrochen, in Wuhan sank die Wirtschaftsleistung im selben Zeitraum gar um 40 Prozent. Doch da die Zahl der Infektionen bereits im späten Frühjahr auf nahezu null gedrückt werden konnte, erholte sich die Volkswirtschaft mit beeindruckender Geschwindigkeit. So ist Chinas Bruttoinlandsprodukt im Krisenjahr um satte 2,3 Prozent gestiegen. Als weltweit einziges großes Land 19hat China mit einem Plus abgeschnitten.
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Doch die Pandemiebekämpfungsstrategie des Landes ist keine reine Erfolgsgeschichte. Wie auch im Rest der Welt hat sich in China durch die Pandemie die soziale Ungleichheit noch verschärft. Vor allem aber hat der Konsum nur sehr verspätet wieder angezogen, was viele Kleinhändler nach wie vor zu spüren bekommen.
So auch die Geschäftsleute in der Hanzheng-Straße, die in einem Textilviertel liegt. Hier decken sich die weniger reichen Stadtbewohner Wuhans mit Kleidung ein. Hunderte Geschäfte reihen sich aneinander, in kleinen Eckläden kann man sich Anzüge maßschneidern lassen, Reizunterwäsche und Pyjamas kaufen. Auf den Bürgersteigen haben einige Händler Kleiderstangen mit Daunenjacken aufgestellt.
Die Straße und das Einkaufszentrum
Eine Verkäuferin, die jeden Abend bis neun Uhr auf Laufkundschaft wartet, sagt: „Früher waren die Straßen deutlich voller. Dass so wenige Kunden kommen, hat auch damit zu tun, dass die Regierung die Leute dazu aufgerufen hat, weiterhin zu Hause zu bleiben, wenn sie nicht unbedingt rausmüssen.“ Obwohl sie ihre Preise gesenkt habe, werde sie ihre Ware kaum los.
Im gegenüber liegenden Hanzheng-Markt, einem neunstöckigen Einkaufszentrum mit angeschlossenem „Food Court“, zeigen sich die Ladenbesitzer zumindest leicht optimistisch. „Mit letztem Jahr ist die Situation nicht zu vergleichen, aber es wird Schritt für Schritt besser“, sagt eine Verkäuferin von Herrenmode.
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