Chile vor dem Achtelfinale gegen Brasilien: Mit Plan C gegen Neymar
Angst vor dem favorisierten Heim-Team müssen die Chilenen nicht haben. Denn die Spielweise der Brasilianer könnte ihnen entgegenkommen.
„Der größte Sieg ist immer der nächste.“ Nur wenige Minuten nach dem historischen Triumph über Weltmeister Spanien hat Chiles Trainer Jorge Sampaoli diesen Satz formuliert. Und diese Ruhelosigkeit und Erfolgsbesessenheit, die in diesen Worten lag, wirkte wie eine nahtlose Fortsetzung dessen, was man zuvor auf dem Rasen gesehen hatte. Mit dem nächsten größten Sieg wurde es aber nichts gegen die Niederlande. Und im Nachhinein gesehen war das vermutlich das Beste, was den Chilenen passieren konnte. Denn nun treffen sie im Achtelfinale nicht auf Mexiko, sondern auf den Gastgeber und Favoriten Brasilien.
Das mag unlogisch erscheinen, ist es aber nicht. Bitter hatte sich nämlich Sampaoli beklagt, dass die Niederländer sich vornehmlich auf die Defensivarbeit beschränkten und den Chilenen den Ball überließen. Die Südamerikaner mussten die Spanier spielen. Aber der Ballbesitzfußball behagt ihnen überhaupt nicht. Um ihre Gefährlichkeit entwickeln zu können, muss der Gegner am Zug sein.
Im Moment der Balleroberung nutzten sie etwa gegen Spanien deren zwangsläufig entstandene kurzzeitige Unordnung schnell und effizient aus. Anders als das mexikanische Team wird es sich nun die Seleção angesichts der Erwartungshaltung der eigenen Fans nicht leisten können, so abwartend und dicht gestaffelt zu agieren wie die Niederlande.
Schon deren Trainer Louis van Gaal musste sich kritische Fragen gefallen lassen. Und er erwiderte, seine Offensivleute könnten doch nicht Isla und Mena über 90 Minuten hinterherrennen. So schirmte er die Vorstöße der chilenischen Flügelspieler mit einer Fünferkette ab.
Anfällig auf den Außen
Felipe Scolari dagegen dürfte aber kaum von seiner bisherigen taktischen Formation abrücken. Das könnte den Chilenen durchaus entgegenkommen. Gerade auf ihren beiden Außenseiten ist die Seleção anfällig, weil die beiden Verteidiger Marcelo und Dani Alves oft weit nach vorne mit aufrücken und in ihrem Rücken große Freiräume hinterlassen. Insbesondere Alves erweist sich bei diesem Turnier in der Defensivarbeit als wenig verlässlich.
Bislang konnte die brasilianische Mannschaft dies vor allem dank der Geniestreiche von Neymar kompensieren. Bedenkt man, wie schlecht die chilenische Abwehr zuweilen Standardsituationen verteidigt, so könnte dem Meister des ruhenden Balles auch diesmal wieder eine tragende Rolle zukommen – ob vorbereitend oder vollstreckend.
Beim südamerikanischen Duell in Belo Horizonte stehen sich nun das erfolgversprechendere Konzept dieser WM – Chiles Plan C – und die erfolgversprechenderen Individualisten gegenüber. „Was ist denn Ihre Definition von Angriffsfußball?“, hatte van Gaal zuletzt einen Journalisten angepflaumt, der Hollands Stil kritisierte. „Ich wähle das System, mit dem ich gewinnen kann.“ Seine Ideen ähneln denen des chilenischen Kollegen. Brasiliens Erfolge dagegen sind mehr Neymar als einem übergeordneten Plan zuzuschreiben. Eine Abhängigkeit, die von den Brasilien-Fans kritisch beäugt wird.
Kommen nun Impulse von außen? Fernandinho, so wird spekuliert, könnte den bisher enttäuschenden Paulinho im defensiven Mittelfeld ersetzen, so wie er es im Spiel gegen Kamerun nach der Halbzeitpause recht überzeugend getan hat.
Chile zehrt noch von seinem Spanien-Erlebnis. „Wir haben ein hohes Maß an Reife erreicht“, stellte jüngst Coach Sampaoli mit Stolz fest. Er ist ein großer Bewunderer seines Vorgängers Marcelo Bielsa, dessen Erbe er stilgetreu fortgeführt hat. Unter Bielsa hat Chile vor vier Jahren in Südafrika auch an einem 28. Juni im WM-Achtelfinale gegen Brasilien gespielt. Eine außergewöhnliche Parallele, die natürlich zu Vergleichen einlädt. Damals konnte das Team in der Anfangsphase mit seiner Giftigkeit beeindrucken und verlor dann doch deutlich 0:3. Können sie dieses Mal (länger) mithalten?
(Brasilien - Chile, 18 Uhr, ARD)
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