Chefankläger nach Deutschland geflohen: Erdoğans gefallener Liebling
Der türkische Präsident lässt Staatsanwalt Zekeriya Öz per Haftbefehl suchen. Das könnte zu diplomatischen Verwicklungen mit Deutschland führen.
Bereits am Freitag hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärt, er erwarte, dass Deutschland Öz ausliefern werde, sobald die türkischen Behörden über Interpol einen internationalen Haftbefehl erwirkt haben.
Ansonsten werde er dafür sorgen, dass aus der Türkei nie wieder jemand nach Deutschland ausgeliefert wird. Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte am Sonntag, es wisse nicht, ob Öz in Deutschland sei. Ohnehin aber ist in diesem Fall das Innenministerium zuständig.
Abtauchen wird Öz auf die Dauer nicht helfen. Der Mann ist für Erdogan einer der größten innenpolitischen Feinde. Der wird alles daransetzen, seiner habhaft zu werden. Denn Staatsanwalt Öz war der leitende Ermittler im Korruptionsverfahren gegen verschiedene Regierungsmitglieder und Freunde des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen türkischen Präsidenten Erdogan. Sogar Bilal Erdogan, der älteste Sohn des Präsidenten, geriet ins Fadenkreuz der Ermittler.
Als Öz und sein Team im Dezember 2013 mehr als 70 Verdächtige festnehmen ließen, war Erdogans Regierung am Rand des Zusammenbruchs. Doch letztlich setzte sich der damalige Ministerpräsident durch. Er bezeichnete die Ermittlungen als Putschversuch, ließ die Ermittlungsgruppe auflösen und Hunderte Staatsanwälte und Polizisten versetzen oder gleich feuern.
Chefermittler Öz wurde in die Provinz verbannt, später aus dem Justizdienst entfernt und dann mit einer Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Zwecke des Sturzes der Regierung konfrontiert.
Bevor der Haftbefehl gegen ihn erging, gaben ihm offenbar alte Kameraden noch rechtzeitig einen Tipp, sodass er sich Anfang vergangener Woche zunächst nach Georgien, von dort weiter nach Armenien und dann nach Deutschland absetzen konnte. Doch der nunmehr so bedrängte Öz ist durchaus nicht nur ein bedauerliches Opfer von Erdogans Verfolgungswut. Es ist erst sieben Jahre her, da war Öz noch der Starankläger der Regierung und Erdogans Liebling. Damals war Öz leitender Sonderermittler im Ergenekon-Verfahren.
Putschabsichten nicht nachgewiesen
Unter dem Begriff wurde ein Massenprozess gegen führende Militärs, Bürokraten, Geschäftsleute und Publizisten geführt, deren gemeinsames Merkmal es war, dass sie zu den Stützen des säkularen-kemalistischen Staates gehörten, die damaligen innenpolitischen Erzfeinde Erdogans und der islamischen AKP. Mit einem Rundumschlag entledigte sich Erdogan damals nicht nur einflussreicher Generäle, denen er Putschabsichten unterstellte, sondern ebenso vieler Kritiker, die mit einem möglichen Putsch nichts zu tun hatten. Die Putschabsichten konnten niemals nachgewiesen werden.
Alle Angeklagten wurden zwar verurteilt, ihre Urteile aber später vom höchsten Gericht wieder aufgehoben. Doch nicht deshalb fiel Öz bei Erdogan in Ungnade. Der Jurist ist Mitglied oder doch Sympathisant der islamischen Gülen-Sekte, die zehn Jahre lang mit Erdogan aufs Engste zusammenarbeitete, sich dann aber mit der Regierung heillos zerstritt.
Obwohl die Indizien in den Korruptionsverfahren, die Öz damals gegen Erdogans „Hofstaat“ einleiten ließ, erdrückend waren, argwöhnte Erdogan doch nicht zu Unrecht, dass nicht nur Öz, sondern viele andere Ermittler aus seinem Team ebenfalls zur Gülen-Bewegung gehörten.
Ein mögliches Auslieferungsverfahren von Öz an die Türkei wäre jedenfalls hochgradig vermintes Gelände. Das Beste, was der Bundesregierung passieren könnte, wäre deshalb, wenn Öz sich doch noch ein anderes europäisches Exilland aussucht.
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