„Charlie Hebdo“ und Mohammed: Mörderisches Mem
„Mohammed-Karikaturen“ sind beleidigend, sagen Muslime, man muss sie aushalten, sagen Satirefans. Dabei zeigen sie meist gar nicht den Propheten.
Mohammed abbilden ist gefährlich? Man könnte meinen, dass die Karikaturisten von Charlie Hebdo vor dem Anschlag im vergangenen Jahr nicht im Traum daran geglaubt haben. Mohammed hat bei Charlie Hebdo alles mögliche durchgemacht: Er wurde als Schweinekopfficker dargestellt, er wurde selbst enthauptet, er spielte Pornostar und fragte kokett: „Und mein Arsch, gefällt dir mein Arsch?”
In der Diskussion um „Mohammed Karikaturen“ geht es immer wieder darum, ob Satire auf Muslime als Minderheit und ihren Glauben Rücksicht nehmen muss oder ob Muslime die Satire aushalten müssen. Dahinter steht der Konsens, dass was als „Mohammed-Karikatur“ betitelt wird, für Muslime zwangsläufig beleidigend sein muss, und dieser wird von beiden Seiten geteilt: von Muslimen und von den Karikaturisten.
Nur: ist das wirklich so? Das Konzept der „Mohammed-Karikatur“ basiert auf einem billigen Kommunikationstrick und wurde durch eine böswillige Täuschung zu einem weltbekannten Mem. Seitdem ist „Mohammed-Karikatur“ zu einem Begriff geworden, der überall auf der Welt verstanden wird und immer dieselbe Diskussion auslöst: Muslime sind empört und von ihnen wird gefordert, die Kritik auszuhalten. Dabei enthalten die Bilder oft weder Kritik an Muslimen noch zeigen sie ihren Propheten.
Das Mem entstand 2006 als die dänische Jyllands Posten zwölf Karikaturen veröffentlichte, die den Propheten Mohammed zeigen sollten. Tatsächlich sind sie aber in ihren Aussagen ambivalent: Einige sind einfach nur bärtige Turbanträger. Einige nehmen sich sogar selbst aufs Korn, wie die Darstellung des Schülers „Mohammed”, der auf eine Tafel schreibt, „Die Journalisten von Jyllands Posten sind reaktionäre Provokateure” oder beschäftigen sich mit antimuslimischem Rassismus, etwa in der Karikatur einer polizeilichen Gegenüberstellung, wo ein blonder Mann zu den vielen unterschiedlichen Turbanträgern sagt: „Ich erkenne ihn nicht”.
Selbst die kontroverseste Karikatur, die von „Mohammed”, dessen Turban eine Bombe ist, kann wohlwollend als Kritik an Islamisten gedeutet werden, muss aber nicht. Doch damals interessierten sich nur wenige Muslime für die Karikaturen und vieles spricht dafür, dass es das Mem „Mohammed-Karikatur“ nicht gegeben hätte, wenn Fundamentalisten nicht bewusst Öl ins Feuer gegossen hätten.
In Kopenhagen gab es zwei Wochen später eine Demonstration aus Protest, doch richtig groß wurde die Aufregung erst, als dänische Islamisten auf einem internationalen Treffen ein Dossier verbreiteten, das neben den zwölf Karikaturen auch noch ein Foto eines Mannes mit Schweinegesicht zeigte, mit der falschen Behauptung dieser stelle den Propheten dar, und eine Montage eines Hundes, der einen betenden Muslim besteigt. Erst danach begannen die Großproteste in Ländern, wo Muslime eine Mehrheit der Bevölkerung stellen.
Grundschulstreit mit Toten
Es gibt aber nichts, das einen Bartträger mit Turban automatisch zu Mohammed dem Propheten macht – anders als etwa Jesus, der am Kreuz nicht noch ein Hinweisschild „Das hier ist Jesus” braucht. Nur die Behauptung des Karikaturisten macht die Zeichnung zur Beleidigung, und die muss erst einmal akzeptiert werden. Gerade Charlie Hebdo legte dies schon 2006 offen: Als Alternativtitel zum Mohammed der sich die Augen zuhält und stöhnt „Es ist schwer, von Arschlöchern geliebt zu werden”, wurde damals ein Turbanträger in Form einer Pfeife diskutiert – mit der Aufschrift „Dies ist keine Karikatur des Propheten”.
Es ist einer der ältesten Tricks vom Pausenhof: Man zeigt einem Jungen eine nackte Frau im Pornoheft und sagt „Das ist deine Mutter!”. Es ist offensichtlich, dass dem nicht so ist – Streit gibt es aber trotzdem. Und so wurde die „Mohammed-Karikatur“ zu einem Mem mit mörderischen Konsequenzen: Karikaturisten nutzen eine infantile Beleidigungstechnik, Millionen Muslime fallen darauf herein und Terroristen nutzen es als Rechtfertigung für Mord. Es wäre Grundschule pur, wären da nicht die Toten.
Die Verbissenheit mit der sowohl Muslime, aber auch Verteidiger der Meinungsfreiheit akzeptieren, dass „Mohammed-Karikaturen“ grundsätzliche beleidigend sind, die geahndet oder ausgehalten werden muss, verstellt den Blick darauf, dass viele der Zeichnungen sogar Solidarität mit Muslimen zeigen.
Zum Beispiel bei Charlie Hebdo: Sowohl das Schweinekopfficker- als auch das Arschpornostar-Motiv machten sich über den Macher des islamophoben Films „Unschuld der Muslime” lustig, nicht über Muslime oder Mohammed selbst. Der ebenfalls gut bekannte Titel des „Charia Hebdo”-Heftes mit der Sprechblase „100 Peitschenhiebe, wenn ihr nicht vor Lachen sterbt” macht sich über ein archaisches Strafrecht lustig, unter dem nur noch die wenigsten Muslime tatsächlich leben. Und auch bei der Enthauptung Mohammeds geht es darum, dass Islamisten den Propheten wohl als Ungläubigen hinrichten würden, sollte er zurückkehren – was ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass Charlie Hebdo durchaus zwischen Islamisten und Muslimen unterscheiden konnten.
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