Chaos um die A100: Verkehr, Lügen und Simulationen
Hat die Verkehrssenatorin gelogen? Oder doch nur die Wahrheit veschleiert? Das Verkehrschaos in Treptow zieht weitere politische Kreise.
Hat Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) „Berlin ins Chaos gestürzt“, und zwar sehenden Auges? Der Vorwurf, den die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Antje Kapek erhebt, wiegt schwer. Was ist dran an der für Außenstehende reichlich verworrenen Geschichte um das Verkehrschaos von Treptow, die der RBB nun sogar zum „Polit-Krimi des Jahres“ gekürt hat?
Es geht um das unübersichtliche Geschehen rund um die Treptower Elsenstraße – zwischen der seit Jahren nur behelfsmäßig befahrbaren Elsenbrücke und der Ende August in Betrieb gegangenen Anschlussstelle der Stadtautobahn A 100. Letztere führt dem Staupropfen rund um die Brücke weiteren Verkehr zu. Zumindest zeitweilig ging deshalb in den vergangenen Monaten nicht mehr viel, selbst die BVG musste mehrfach ihre Buslinien einstellen, die den Knotenpunkt passieren.
Auf der politischen Bühne hatten Grüne und Linke immer wieder vor diesem Szenario gewarnt. Nach seinem Eintreten sagte die Senatorin im Verkehrsausschuss sinngemäß, man habe die A-100-Eröffnung vor dem Hintergrund der Brückenproblematik ja planerisch simuliert und für gangbar befunden – nur leider hielten sich die AutofahrerInnen im echten Leben nicht an diese Ergebnisse. Als Bonde auf Nachfrage die erwähnte Simulation nicht vorlegen wollte, schossen sich die Grünen, durchaus nachvollziehbar, darauf ein.
Gutachten
Am Freitag kulminierte das wochenlange Gezerre scheinbar in einer Bloßstellung Bondes als Lügnerin: Presseberichten zufolge sollte die Autobahn GmbH des Bundes, Bauherrin und Betreiberin der A 100, die Existenz einer solchen Simulation – auch: „Modellierung“ – klar verneint haben. Kurz darauf entlastete die Autobahn GmbH Bonde jedoch mit der Veröffentlichung eines solchen Dokuments, das Ende 2024 erstellt wurde. Aus Sicht der Grünen macht dies das Ganze aber nicht besser.
War doch alles abzusehen
Denn aus der bislang zurückgehaltenen Studie geht offensichtlich hervor, dass die PlanerInnen beim Durchspielen verschiedener Szenarien die spätere Realität eigentlich ganz gut abgebildet hatten: Solange es auf der Elsenbrücke pro Richtung nur eine Fahrspur gebe, sei mit langen Wartezeiten für die Verkehrsteilnehmer zu rechnen, steht da. Wörtlich heißt es unter anderem: „Auf dem betrachteten Fahrstreifen wird die Kapazität im Kfz-Verkehr überschritten. Der Rückstau wächst stetig.“
Aus Antje Kapeks Sicht war also ein „Zusammenbruch der Verkehrsströme“ abzusehen, das wurde aber schlichtweg ignoriert. Insofern bleibe die ursprüngliche Aussage der Senatorin im Ausschuss immerhin „unglaubwürdig“, denn anders als von Bonde behauptet, verhalte sich der Verkehr ja genau wie prognostiziert. Die CDU, so Kapek, habe „die Ergebnisse der Simulation versucht geheimzuhalten, damit nicht bekannt wird, dass bereits vorab vor dem Chaos gewarnt wurde“.
Die grünen Verkehrsstadträtinnen der beiden betroffenen Bezirke Treptow-Köpenick und Friedrichshain-Kreuzberg schlagen in dieselbe Kerbe: „Das Verkehrschaos rund um die Anschlussstelle der A 100 in Treptow und Friedrichshain war vorhersehbar“, so Claudia Leistner und Annika Gerold, „und es ist das Ergebnis politischer Fehlentscheidungen dieses Senats“. Die Autobahn hätte nie eröffnet werden dürfen, bevor die Elsenbrücke wieder ihre volle Leistungsfähigkeit erreicht.
Noch im vergangenen Juli habe das Fernstraßenbundesamt den beiden auf Anfrage zugesichert, dass ein möglichst störungsfreier Verkehrsfluss gewährleistet und die entsprechenden Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses für die A-100-Verlängerung durch die Autobahn GmbH und das Land Berlin vollständig umgesetzt würden. „Wir wissen nun, dass zu diesem Zeitpunkt dem Senat und der Autobahn GmbH bereits lange bekannt war, dass genau dies nicht zutreffen wird“, so Leistner und Gerold.
„Volle Transparenz“ gefordert
Die Grünen auf Landes- und Bezirksebene fordern jetzt „volle Transparenz“. Wie der „Krimi“ endet, hängt wohl vom Beharrungsvermögen der Verkehrssenatorin ab – das bis jetzt keinen Anlass zum Zweifeln gab –, aber auch von der Frage, ob die CDU sich im Vorwahlkampf wirklich über eine neue Personalie Gedanken machen will.
Und davon, wie chaotisch das Chaos bleibt, wenn sich demnächst die Kapazität der Elsenbrücke verdoppelt. Laut Senatsverkehrsverwaltung soll der westliche Teil des Ersatzneubaus ab Ende Januar befahrbar sein, ab dann stehen pro Richtung zwei Fahrspuren für Kfz zur Verfügung.
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