Chaos bei der Deutschen Bahn: Stehengelassen
Bauarbeiten verkauft die Bahn Reisenden auf dem Weg von Hannover nach Bremen als Bombenentschärfung. Zur Rettung kommt Ersatz in Form eines Busses.
N och blöder als Bahn-Bashing finde ich nur Medien-Bashing – aus Gründen. Wer findet, Reisen habe problemlos abzulaufen, soll sich auf Ausflüge in virtuellen Welten beschränken, weil in der Realität auf dem Weg von A nach B Unvorhersehbares passieren kann, erst recht, wenn Maschinen und andere Menschen im Spiel sind.
So kann ich mir noch jeden Umstand, in den mich die Deutsche Bahn wirft, als Herausforderung verklären und sei es nur, mich in Geduld zu üben. Und die meisten Abenteuer sind ja gut ausgegangen: Ich kam immer am Ziel an, wenn auch mal erst am nächsten Tag oder mit zerrütteten Nerven, weil ich nicht alleine reiste, sondern mit zwei Kindern und/oder Fahrrädern.
Ich habe Verständnis für alles: menschliches Versagen (Hartmut Mehdorn beauftragen, die Bahn börsenfit zu machen), Unwetter (Schnee, Hitze). Und was bitte kann der Bahn-Vorstand dafür, dass Frauen aufgehört haben, haufenweise Personal zu produzieren?!
Mit dieser Einstellung – die zwischen Pseudogelassenheit und Bräsigkeit oszilliert – saß ich am Sonntagmorgen im Regionalexpress von Hannover nach Bremen, als um 9.18 Uhr und damit zwei Minuten vor Abfahrt die Durchsage kam: „Dieser Zug fährt aufgrund einer Bombenentschärfung nur bis Achim.“ In der Bahn-App stand nichts dazu, was sich irgendwann im Laufe des Tages geändert haben soll.
Es fuhr ein Bus, genau einer
Von klarer Kommunikation habe allerdings keine Rede sein können, erzählt mir eine Mitreisende, die am Nachmittag versuchte, von Bremen wieder zurück nach Wunstorf bei Hannover zu kommen. „Die Informationen wechselten und waren widersprüchlich.“ Später stellte sich auch heraus, dass es keine Bombe gegeben hatte, sondern eine kurzfristig geplante „Kampfmittelsuche“ im Rahmen von Bauarbeiten.
Anstatt umgehend aus dem Zug zu hechten, blieb ich am Morgen auf meinem Platz sitzen (bräsig) und dachte „na, es wird wohl Schienenersatzverkehr geben“ (pseudogelassen). Ich sollte recht behalten: Es fuhr ein Bus. Aber eben auch nur einer. Für hunderte Fahrgäste aus einem gut besetzten Regionalexpress mit mehreren Doppelstockwagen.
Der Bus fasste rund 85 Personen auf Sitz- und Stehplätzen. In ihn quetschten sich so viele Menschen, dass sie nicht standen, sondern eher vertikal nebeneinander lagen. Manche pressten die Hände an die Scheiben, vielleicht um zu verhindern, dass andere Fahrgäste sie erdrückten. Die Fahrt mit dem Auto von Achim nach Bremen über die Autobahn dauert etwa 20 Minuten. Ich weiß nicht, ob sich der Busfahrer getraut hat, den Zwischenhalt in Mahndorf anzusteuern.
Zurück am Achimer Bahnhof blieben etwa 100 Personen, denen zu dämmern begann, dass zwar kein weiterer Bus kommen würde, dafür aber der nächste Zug, der weitere Fahrgäste ausspucken würde. Einige traten daraufhin den Rückzug an, andere wie ich begannen Taxis herbei zu telefonieren. Ein junger Mann neben mir rief den Kundenservice der Bahn an und erfuhr, er müsse auf einen Bus warten.
Taxikosten werden nicht übernommen
Das hätte auch ich tun sollen, die Taxikosten würden nicht übernommen, erklärte mir am Dienstag eine Sprecherin der Bahn, die sich für alle Unannehmlichkeiten entschuldigte. Es habe eine Kommunikationslücke gegeben, die nun „intern aufgearbeitet“ werde. Außerdem habe die Bahn „eine ausreichende Anzahl an Bussen als Ersatzverkehr bestellt“. Was die Bahn für ausreichend hält, wisse sie nicht, auch nicht, ob das Busunternehmen diese bereit gestellt habe. Das Unternehmen sagt, es seien zwei Busse im Einsatz gewesen.
Meine Mitreisende nahm auf Raten eines Schaffners auf dem Rückweg einen IC, der über Rotenburg nach Verden umgeleitet wurde. In Rotenburg seien sie und weitere Fahrgäste mit dem selben Ziel aus dem Zug geworfen worden, weil sie ihren Nahverkehrs-Fahrschein nicht upgraden konnte, erzählt sie; die App sei jedes Mal abgestürzt. Einfach mitnehmen wollten die Schaffner:innen sie nicht, ihnen hätte dafür das „Okay“ von oben gefehlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr