Cat Power covert Bob Dylan: Just like a woman

US-Sängerin Cat Power widmet sich mit ihrem neuen Album dem legendären Londoner Bob-Dylan-Konzert von 1966 – und spielt es Song für Song nach.

Die Sängerin Cat Power

Chan Marshall alias Cat Power Foto: Mario Sorrenti

Wenn man Dinge noch mal neu aufnimmt, entstehen zwangsläufig Verschiebungen. Das ist dann auch banalerweise einer der, wenn nicht der eigentliche Reiz von Coverversionen bereits veröffentlichter Songs: Man hört an ihnen Vertrautes, das ist ja oft schön, aber dieses Vertraute erscheint noch einmal anders und im besten Fall neu. Was variiert wird, fällt auf. Auch minimale Abweichungen stechen bei Songs, die man in- und auswendig kennt, sehr ins Auge oder eben ins Ohr.

Cat Power: „Cat Power Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert“ (Domino/­Goodtogo)

US-Künstlerin Chan Marshall hat unter dem Namen Cat Power seit 2000 bereits drei Alben mit Coverversionen kanonischer wie auch randständiger Stücke veröffentlicht. Am Anfang waren diese Unternehmungen immer wieder mal dekonstruktiv gebaut. Wenn man beispielsweise „Satisfaction“ von den Rolling Stones auf eine Akustikgitarre reduziert und jede Virilität mitsamt dem Refrain („I can’t get no …“) durchstreicht, wird aus Mick Jaggers männlichem Brunftschrei ein eher depressives Klagelied. Ob der Song damit zur Kenntlichkeit entstellt wurde, es könnte zumindest sein. Sehr gelungen klang diese Interpretation so oder so.

In anderen Fällen hat die 51-jährige Marshall Lieder von einem Genre in ein anderes, also in ihre Singer-Songwriter-Zeugenschaft, überführt. Frank ­Oceans „Bad Religion“, ursprünglich eine fette Neosoul-R&B-Ballade, wurde auf Cat­powers Album „Covers“ 2022 zu einem weltabgewandten Stück Indiepop umgedeutet, mit neuen Melodien und neuem Arrangement und behutsam geändertem Songtext: „Praise the Lord / Hallelujah, little girl“ statt „Allahu akbar“. Und eine Ergänzung, die es im Original nicht gibt: „All just stuck in the mud / Praying to the invisible above“.

Durch Verschiebungen und Ergänzungen entstehen nicht nur neue Formen von Schönheit, sondern auch andere Reibungen und Bedeutungen. Und der Raum, in dem Letztere sich entfalten, weitet sich aus – siehe „Satisfaction“ – je kanonischer und semantisch aufgeladener die Musik ist, die da neu- und nachgebaut wird.

Der Rimbaud lesende Rockstarliterat

Mit dem Doppelalbum „Cat Power Sings Dylan“ zieht Chan Marshall nun ein von Mythen sehr umranktes Ereignis, Bob Dylans Royal-Albert-Hall-Konzert von 1966, in den eigenen Kosmos hinein. Die Legende will, dass Dylan sich an jenem Abend des 17. Mai 1966 unter Protest seines Publikums vollends vom Folksänger in einen Rimbaud lesenden Rockstar­literaten und also in ein Künstlergenie verwandelt hat.

Dylan-Fans sollen auf der gesamten Tour gemurrt haben, wenn der Folkie nach der ersten Hälfte des Abends von der Akustikgitarre zur Elektrischen griff, ins Bandformat wechselte und seine frühen Songs mit hörbarem Spaß an der Sache zerlegte. „One Too Many Mornings“ etwa, vom 1964 erschienenen The-Times-They-Are-a-Changin’-Album, das von einem sanften Folk-Stück in ein schleppendes Rockding verwandelt wurde.

Zur Legendenbildung beigetragen hat das auf dem Mitschnitt des Royal-Albert-Hall-Konzerts dokumentierte Gezanke: Die Menge buht, die Band stachelt das hörbar an („Play ­fucking loud“). Am Ende brüllt ein Idiot aus dem Publik „Judas!“ Richtung Bühne, und Dylan kontert sehr erfreut über die Steilvorlage mit „I don’t believe you. You’re a liar“.

Eigentlich alles an sich nicht sonderlich aufregend. Ein Sänger experimentiert künstlerisch und kommerziell sehr ertragreich mit neuen Formaten, und einige alte Fans finden das erst mal noch doof. Die Rock-Geschichtsschreibung jazzt derartige Vorgänge gerne retrospektiv zu irgendwie magischen Momenten hoch, in denen sich ganze Epochen irgendwie verdichten sollen.

330 Kilometer nördlich von London

Auf „Sings Bob Dylan“ spielt Chan Marshall das sogenannte „Royal Albert Hall Concert“ Stück für Stück nach. Eigentlich fand der Abend in der Free Trade Hall in Manchester statt, circa 330 Kilometer nördlich von London. Die falsche Ortsangabe geht auf einen Bootleg-Titel zurück, offiziell erschienen ist der Mitschnitt des „Royal Albert Hall Concert“ erst 1998.

Cat Power trat dann allerdings wirklich in der Royal Albert Hall in London auf. Eine Arbeit am Mythos, aber auf eine angenehm unaufgeregte Art. Man hätte bei dieser Wahlverwandtschaft mit Überraschungen rechnen können. Eine der künstlerischen Verbindungen zwischen Bob Dylan und Chan Marshall besteht schließlich im fröhlichen Umschreiben und Neuarrangieren von bestehendem Material.

Im Fall von Dylan seit über 60 Jahren immer wieder aufs Neue das eigene, aber auch Songs aus dem Great American Songbook natürlich. Im Falle von Cat Power die Songs von anderen und in diesem Fall eben die von Bob Dylan. Die eigentliche Überraschung auf diesem Cat-Power-Album ist, dass es nicht wirklich eine gibt. Die Tonalität ist natürliche eine andere – Frauenstimme, Männerstimme, und so komisch wie Dylan singt sonst eh niemand. Die Schönheit des Ansatzes liegt in der Differenz der Stimmen.

Frauenstimme, Männerstimme, so komisch wie Dylan singt eh niemand

Ohne Dylans damals noch nasal akzentuiertes Krächzorgan und mit Marshalls inzwischen sehr warmer Tonalität stattdessen wirken die Songs nun sehr umarmend und gar nicht mehr spröde. Dylans damalige Performance betonte in fast allem die Distanz zu denen, die ihm zuhörten. Chan Marshall hingegen singt zugewandt wie jemand, der die Distanzen auflösen will.

Wenn man genau hinhört, gibt es dann doch Abweichungen. Die Schrumm-schrumm-Gitarre in „Mr. Tambourine Man“ ist durch Fingerpicking und von einem sehr verhaltenen Keyboard ersetzt worden. Und die Unterschiedlichkeit der Stimmen schlägt dann auch bis in die Semantik der Songtexte durch.

Kein Protestbewegungsdienstleister

„Just Like a Woman“ klingt nicht mehr wie eine formvollendet passiv-aggressive Pimmelei („She takes just like a woman / Yes, she does, she makes­ love just like a woman / Yes, she does, and she aches just like a woman / But she breaks just like a little girl“). Sie klingt wie das Porträt eines widersprüchlichen Menschen.

Die von Dylans Versuch, eben kein Entertainer und Protestbewegungs-Dienstleister zu werden, befeuerte Publikumsverachtung ist denn auch verschwunden. Am Ende kräht auch bei Marshall einer zitierend „Judas“ in den Raum, was noch einmal besonders idiotisch anmutet, weil es beim Reenactment, das am 5. November 2022 live aufgenommen wurde, ein Stück zu früh kommt, vor „Ballad of a Thin Man“ und nicht vor „Like a Rolling Stone“.

Was Chan Marshall dann nicht mit dem entsprechenden Zitat beantwortet, sondern nur noch mit einem forciert-erschöpften „Jesus …“. Ein sehr schönes Album.

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