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Carla Kaspari„Missstände anzuprangern, finde ich langweilig“

Carla Kaspari erschafft in ihrem Roman ein Europa der Zukunft. Warum es dort nicht nur dystopisch zugeht und was Aktivismus von Hoffnung unterscheidet.

Carla Kaspari entwickelt in ihrem Buch eine kleine Utopie, statt sich Horror­szenarien auszumalen Foto: Frederike Wetzels

taz: Frau Kaspari, Sie haben ein Buch geschrieben, das im Jahr 2130 in Europa spielt. Beschreiben Sie mal in wenigen Worten die Lebensumstände, die dann herrschen.

Carla Kaspari: In meinem Roman ist es für die meisten Menschen sehr schwierig geworden, ein gutes Leben zu führen. Wegen gefährlicher UV-Strahlung, Stark­regen, Dürre und hoher Staubbelastung der Luft wird die Bevölkerung dazu angehalten, das Haus nur während bestimmter Monate, den „Outdoor-Saisons“, zu verlassen. Im Sommer ist das gar nicht mehr möglich.

Bild: Frederike Wetzels
Carla Kaspari

1991 geboren, ist Schriftstellerin und Podcasterin. 2022 veröffentlichte sie ihren Debüt­roman „Freizeit“. Im April erschien ihr neuestes Buch: „Das Ende ist beruhigend“. Darin zeichnet sie das düstere Bild einer Welt nach der Klima­katastrophe im Jahr 2130.

taz: Eine Dystopie.

Kaspari: Eigentlich habe ich die Prognosen, die man sich heute anschauen kann, nur auf die Spitze getrieben – und natürlich an manchen Stellen ein bisschen fantasiert in einem Rahmen, der möglich ist. Im Nachhinein haben das viele Leute als eine Dystopie dargestellt, und das ist vielleicht auch so, formal gesehen. Aber für mich hat sich das beim Schreiben gar nicht dystopisch angefühlt, sondern fast realistisch.

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taz: Ist es leichter, eine Dystopie zu erschaffen als eine Utopie?

Kaspari: Schwarzmalerei ist auf jeden Fall sehr, sehr einfach. Ich spiele damit, thematisiere in dem Buch eine fatalistische Grundhaltung, die ich aktuell beobachte. Ich wollte einen Sweetspot finden zwischen dem, was wirklich passieren könnte, und dem, was Schwarzmalerei ist. Aber es war nicht meine Intention, zu sagen: Ich entwerfe eine krasse Dystopie, in der alles schlecht ist, weil das schließlich das ist, was uns in hundert Jahren erwartet. Mit dieser düsteren Außenwelt wollte ich eher eine Folie schaffen, um über Verhaltensweisen zu schreiben, die wir uns im Umgang mit Krisen angeeignet haben. In meinem Buch gibt es Kreativen-Dörfer …

taz: … in denen oberflächlich betrachtet ein gutes Leben unter einer belüfteten Kuppel möglich ist.

Kaspari: Ja. Die Dörfer sind klimatisiert, die Luftqualität wird kontrolliert, es existieren sogar noch Jahreszeiten wie wir sie heute kennen. Spes I, so heißt das Dorf, in dem große Teile des Romans spielen, ist zumindest auf den ersten Blick eine Utopie in der Dystopie.

Eigentlich habe ich die Prognosen, die man sich heute anschauen kann, nur auf die Spitze getrieben

taz: Sie entwerfen ein Horrorszenario, die realen Klimaprognosen für das Ende des Jahrhunderts sind schon apokalyptisch genug. Wieso gehen Sie darüber hinaus?

Kaspari: Ich wollte kein klassisches Climate-Fiction-Buch schreiben, das sich ganz eng an eine physikalische Realität hält. Missstände anzuprangern, finde ich langweilig. Als ich das Buch geschrieben habe, hatte ich außerdem das Gefühl, dass sich alles, was heute passiert, morgen ändern kann. Deswegen ist vieles mit Absicht überhöht, es gibt fantastische Momente. Ich glaube nicht, dass es irgendwann Staub regnen wird. Ich denke auch, dass es für klassische Apokalypsen viel zu spät ist. Apokalypse ist ein schleichender Prozess, der – pessimistisch gesprochen – vielleicht längst passiert.

taz: Hoffnung spielt in Ihrem Buch eine zentrale Rolle. Sie haben mal gesagt, Hoffnung wäre das Gegenteil von Aktivismus. Wie ist das gemeint?

Kaspari: Der Begriff Hoffnung ist mir in den letzten Jahren überproportional oft begegnet. Deswegen habe ich überlegt, was das eigentlich genau bedeutet. Ich weiß es bis heute nicht so richtig, ist es etwas Religiöses, vielleicht eine Form des Optimismus? Auf jeden Fall ist Hoffnung passiv.

taz: Inwiefern?

Kaspari: Es ist nichts, für das man etwas tun muss. Es bedeutet, dass man etwas auf sich zukommen lässt, wenn alles andere schon vergebens versucht wurde. Der Aktivismus steht dazu absolut in Opposition.

taz: Das heißt, Aktivismus braucht keine Hoffnung?

Kaspari: Natürlich braucht Aktivismus Hoffnung. Aber Hoffnung braucht keinen Aktivismus. Hoffnung ist immer eine Projektion und entsteht oft aus Machtlosigkeit. Sie kommt oder kommt nicht, sie stirbt zuletzt, sie ist gewissermaßen ein Selbstläufer. Sich nicht auf die Hoffnung zu verlassen, sondern etwas zu tun, das ist viel anstrengender.

taz: In Ihrem Buch wird Hoffnung synthetisch hergestellt und als Droge per Vape konsumiert. Wird Hoffnung in der Gegenwart überthematisiert?

Kaspari: Aktuell begegnet einem Hoffnung überall, in Medien, Kunst, Kultur, auch in der Politik. Der Spiegel hat in einer Titelgeschichte hundert Hoff­nungs­trä­ge­r:in­nen ausgerufen, die Linke hat eine Erklärung veröffentlicht, in der gefordert wird, die Hoffnung zu organisieren. Und das sind nur zwei Beispiele, die mir spontan einfallen. Ich glaube, wenn so viel nach Hoffnung gesucht wird, dann spricht das dafür, dass es ziemlich düstere Zeiten sind. Im Jahr 2130 in meinem Roman ist Hoffnung sogar so rar geworden, dass sie synthetisiert wird.

taz: Einige Climate-Fiction-Autor*innen sagen von sich, sie möchten mit den Romanen etwas bewirken. Passt ein moralischer Anspruch in die Literatur?

Kaspari: Das kommt auf den Text an. Man kann Geschichten mit Moral nicht pauschal ihre Daseinsberechtigung absprechen. Ob Literatur interessanter wird, wenn sie eine konkrete politische Agenda hat oder ob ein Roman die Klimakatastrophe aufhalten kann, das sind andere Fragen. Klimathemen haben es ja schon abseits von Kunst und Literatur sehr schwer.

wochentaz

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taz: Was kann ein Roman über die Klimakatastrophe erreichen, was eine wissenschaftliche Studie nicht kann?

Kaspari: Ein Roman kann verschiedene Positionen abbilden, überspitzen, untertreiben oder lustig sein und dadurch einen interessanteren, subtileren, leichteren Zugang schaffen. Die Klimakrise findet medial viel zu wenig statt, weil sie in der Aufmerksamkeitsökonomie keine Chance hat – und das trotz zunehmender Bedrohung und konkreten Auswirkungen für die Menschheit. Manchmal habe ich den Eindruck, viele haben sich längst damit abgefunden.

taz: Es geht um die Lebensgrundlagen der Menschheit und das Publikum ist gelangweilt. Was nun?

Kaspari: Meiner Meinung nach hilft nur eine drastischere Klima­politik. Und für die Einzelne: ins Handeln kommen, statt nur zu hoffen, dass es besser wird.

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1 Kommentar

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  • Ah, alleine das Wort outdoor-saisons hat bei mir schon...gefruchtet.