„Cap Arcona“-Katastrophe vor 75 Jahren: Schuld ohne Sühne

Vor 75 Jahren sank die „Cap Arcona“ mit 4.600 KZ-Häftlingen. Die Erinnerung daran ist wach, doch das offizielle Gedenken tut sich schwer.

Ein Schild steht an einem Strand. Auf dem Schild steht: Cap-Arcona-Ehrenfriedhof

Am Strand von Neustadt in Schleswig-Holstein: Ein Schild weist zum Cap-Arcona-Ehrenfriedhof Foto: Carsten Rehder/dpa

Hamburg taz | Es ist das wohl stärkste Trauma rund um die Lübecker Bucht: die Bombardierung der „Cap Arcona“, die noch fünf Jahre gekippt vor Neustadt lag, bis man sie 1950 auseinanderschweißte. Das allerdings, ohne die Toten zu bergen. Was die Schweißer unter Wasser vorfanden, ist nicht überliefert.

Sicher ist, dass noch lange tote Körper gefunden wurden – sogar an Dänemarks Küsten. Denn jene Anwohner, die 1945 die Toten mit Traktoren von den Stränden holten, um sie würdig zu bestatten, fanden längst nicht alle. Auch die Namen der Opfer kennt man nicht, denn die Nazis „haben keine Passagierlisten geführt“, sagt Reimer Möller, Archivar der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Aus dem KZ Neuengamme stammten die meisten der Opfer. Und weil man die Namen eben nicht kennt, sind auch die vielen großen und kleinen „Ehrenfriedhöfe“, die man 1945 an der Lübecker Bucht einrichtete – etwa in Neustadt und in Grevesmühlen in der Ex-DDR – anonym.

Der „Ehrenfriedhof“ in Haffkrug, ungemütlich gelegen an der Autobahnabfahrt Eutin und mit über 1.100 Bestatteten der größte von ihnen, ist gar etwas verwahrlost. Außerdem läuft er Gefahr, durch eine dicht daneben geplante Bahntrasse zur Fehmarnbelt-Querung weiter entwürdigt zu werden.

Opferverbände und Privatinitiativen engagierten sich

Das „Cap Arcona“-Gedenken ist also nicht nur geografisch, sondern auch organisatorisch dezentral und zersplittert. Das hat auch einen politischen Aspekt, sind Ost und West doch während des Kalten Krieges unterschiedliche Wege gegangen: In Neustadt drängten – wie vielerorts im Westen – vor allem Opferverbände und Privatinitiativen auf Gedenkorte und -rituale und gestalteten sie, unbehelligt, aber teils auch unbeachtet von der offiziellen Politik.

Die Neustädter Bürgermeister etwa wohnten den Feiern, zu denen stets auch Busse aus Neuengamme anreisen, erst seit einigen Jahren bei, berichtet eine Teilnehmerin.

Im ostdeutschen Grevesmühlen dagegen brachte man die Toten nicht nur weg vom Strand – dem brisantem deutsch-deutschen Grenzgebiet – und 15 Kilometer landeinwärts. Man baute auch einen monumentalen Erinnerungsort samt Paradeplatz und gestaltete die Gedenkfeier als antifaschistischen Staatsakt samt Sportfest und Soldatengelöbnis.

2019 wurde der Grevesmühlener Gedenk­ort so umfangreich und klug umgebaut, dass er anderen Friedhöfen als Vorbild dienen könnte – weshalb das frisch gegründete „Netzwerk Cap Arcona Gedenken“ um Pastorin Almuth Jürgensen sich an diesem Konzept orientieren möchte.

Das Netzwerk möchte auch kleine Gedenkorte einbinden und mit einheitlichen Infotafeln arbeiten. Die Coronakrise brachte die Initiative jetzt ins Stocken, weshalb man sich zunächst auf einen gemeinsamen, auch Jugend-affinen Internetauftritt samt App konzentrieren will.

Jagd auf fliehende KZ-Häftlinge

Das Gedenken – dieses Jahr wegen der Coronakrise ohnehin nur in Minimalbesetzung möglich – läuft also etwas schleppend. Dabei könnte die Tatsache, dass – unabhängig davon, was die SS mit den Häftlingen vorhatte – britische Piloten die Täter waren, das Erinnern eigentlich „leichter“ machen, erlaubt es doch eine bequeme Schuldabwehr.

Aber da waren eben auch jene Anwohner, die Fliehende jagten, jene Kriegsmarine-Boote, deren Besatzungen ausschließlich SS-Leute aus dem Wasser zogen. Und da gab es die Wachleute, die einen Transport von Häftlingen aus dem KZ Stutthof begleitet hatten. Die Häftlinge strandeten vor Neustadt und wurden erschossen, einige der Wachleute fingen 1945 bei der Neustädter Polizei an. „Ihre Nachkommen haben später teilweise in der Kommunalpolitik gewirkt“, erzählt Neuengamme-Archivar Möller.

Vielleicht hat Neustadt – auf seinen touristischen Ruf bedacht – deshalb erst 1990, zum 45. Jahrestag, ein „Cap Arcona“-Museum eröffnet. Das allerdings in Minimalversion auf 17 Quadratmetern im Anbau des Stadtmuseums. Seither hat man nichts verändert, denn Wilhelm Lange, VHS-Chef und rühriger Stadtarchivar, dem das Gedenken stets am Herzen lag, wurde damit quasi allein gelassen.

Juristisch belangt wurde niemand

Erst jetzt, Anfang 2020, hat das Kieler Kultusministerium 300.000 Euro für eine Kuratorenstelle sowie die Erweiterung der Ausstellung auf 65 Quadratmeter bewilligt – auch auf Betreiben der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten. „Das ist räumlich immer noch sehr bescheiden, aber finanziell jetzt der entscheidende Anstoß für die Entwicklung einer zeitgemäßen neuen Ausstellung“, sagt Harald Schmid, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung.

Wie stark die neue Ausstellung die Täter in den Blick nehmen wird, ist noch nicht klar. Doch es wäre wichtig, denn juristisch belangt wurde niemand – weder in Deutschland noch in Großbritannien. Dabei habe der britische Major N. O. Till gleich im August 1945 in seinem offiziellen Ermittlungsbericht die Luftwaffe kritisiert und weitere Untersuchungen angemahnt, sagt Archivar Möller. Es habe auch eine schriftliche Stellungnahme der ­Royal Air Force dazu gegeben. Die aber sei aber auf mysteriöse Weise aus den deutschen Akten verschwunden.

Mehr über die „Cap-Arcona“-Katastrophe in der Lübecker Bucht vor 75 Jahren und die Erinnerung daran lesen Sie in der taz am wochenende oder in unserem e-kiosk.

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