Camp David und die Folgen: Shirt und Scham
Die Freizeitbekleidungsmarke Camp David hat einen seltsamen Hype erlebt. Bisher zum Glück nur unter älteren Herren. Doch es gibt neue Entwicklungen.
Sommer in Neukölln und Dieter Bohlen sitzt vor meinem Lieblingsspäti. Als ich vorbeigehe, glotzt er auf mein frisch gestochenes Lippenpiercing. Natürlich war er es nicht wirklich, ich bezweifle, dass der „Pop-Titan“ gerne in meinem Kiez herumlungert. Aber er sah aus wie er: braun gebrannt, weißes Hemd, helle Jeans (der ausgewaschene Typ), Basecap mit dem Wort „COMMANDER“ und natürlich, unübersehbar, das Logo von Camp David quer über der Brust.
Camp David, das ist eine Marke für Freizeitbekleidung: Caps, Poloshirts und kurze Hosen, mit wilden, übergroßen Mustern, mindestens vier verschiedenen Schriftarten auf jedem Shirt. Sie ist fest etablierte Freizeitbekleidung für alte bis mittelalte Männer. Bisher zumindest. Jetzt bringt ein angesagter Berliner Rapper die Kleidung vielleicht in die jüngeren Generationen. Wer trägt diese Kleidung heute und warum?
Der Anblick von Späti-Bohlen brachte mich zurück in die Nullerjahre. In die Fernsehabende, in denen ich „Deutschland sucht den Superstar“ schaute und Bohlen mit seinen Sprüchen über Erfolg und Scheitern entschied. „Wir sind hier Talentsucher und keine Müllsortierer“ – das war sein eigener Ton, heute würden wir wahrscheinlich eher sagen, Rassismus und Sexismus. Für mich war er lange das Synonym für eine Männlichkeit, mit der ich absolut nichts zu tun haben wollte und die mich doch prägte: gebräunt, überlegen, immer selbstsicher. Und dazu immer diese Kleidung. Es gab kaum eine Sendung, in der Bohlen nicht ein Camp-David-Shirt trug.
Camp David, benannt nach dem Freizeitsitz des amerikanischen Präsidenten, ist nicht etwa eine amerikanische, sondern eine ostdeutsche Marke. Gegründet 1997 von der Clinton Großhandels GmbH. Die Gründer, die Brüder Thomas, Hans-Peter und Jürgen Finkbeiner sind wahre Fans des ehemaligen amerikanischen demokratischen Präsidenten Bill Clinton – und lassen sich von ihm inspirieren für ihre Firma, für die Frauenmarke Soccx, benannt nach der Katze der Clinton-Familie und die Franchise Strategie „Chelsea“ nach der Clinton-Tochter.
Allein im Namen steckt also schon das Versprechen von Freiheit, Abenteuer und weit entfernten Welten. Aber das Amerika, das sie meinten, hat es so nie gegeben und jetzt ist alles doch noch viel schlimmer geworden.
Strand und Surfcamp nach Hause holen
Lange war Camp David eine mittelgroße Modemarke mit Fokus auf die neuen Bundesländer. Hier sprach sie einerseits eine gewisse ostdeutsche Begeisterung für Individualität nach Jahren des DDR-Einheitsstaats und Sehnsucht nach Amerika an. Andererseits Menschen, die nicht nach Amerika reisen würden, sondern sich den Strand und das Surfcamp nach Hause bzw. auf ihre Freizeitkleidung holten. Oder wie Camp David es auf den Shirts ausdrücken würde: „Honululu/CAMP DAVID/Surf/Sunset beach/N0-01 BOARDS &CO S.U.P/SURFING/Flatwater & Downwind Racing/Blue“.
Doch auch die Begeisterung der Westdeutschen für Camp David kam, nämlich 2010, als Bohlen in der Jury von „Das Supertalent“ ein Hemd von Camp David trug. Die Einschaltquoten waren riesig, mehrere Millionen Menschen sahen zu, und über Nacht stiegen die Verkaufszahlen enorm. Bohlen wurde von da an Markenbotschafter, im Werk in Hoppegarten soll ein überlebensgroßes Porträt von ihm im Laden hängen, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Heute gibt es über 245 Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, dazu tausend Verkaufsflächen. 2020 brachte der Discounter Lidl eine Sonderkollektion mit Camp David und Soccx heraus, kuratiert von Bohlen. Innerhalb kürzester Zeit rannten die Leute Lidl die Bude ein. Der Europapark hat eine eigene Kollektion des Modelabels auf seinem Freizeitparkgelände, Camp David hat sogar einen eigenen Freizeitpark an der Ostsee.
Sommeruniform für den Mittelstandsmann
Was sich viele inklusive mir fragen: Wieso zur Hölle Camp David und keine x-beliebige andere Freizeitmarke? Die Marke ist zu einer Art Sommeruniform für den Mittelstandsmann geworden: Die typische Kundschaft sei „der Gas-Wasser-Installateur mit fünf oder zehn Mitarbeitern“, zwischen 40 und 60 Jahren, sagte Firmenchef Mathias Voigt etwa der Märkischen Allgemeinen. Dieser sei in seiner gesellschaftlichen Stellung etabliert und wolle zeigen, dass er etwas geschafft und Geld für ein Kleidungsstück ausgegeben hat.
Einen gewissen Wohlstand nach außen zeigen, aber dabei niemals exzentrisch sein – das ist die Devise. Camp David ist in seiner Ästhetik nicht zu elegant, aber auch nicht zu sportlich, farbenfrohe große Muster ja, aber auch nicht zu viele Farben auf einmal – Bodenständigkeit in a nutshell.
Über Geschichte und Ästhetik hätte ich übrigens sehr gern mit den Gründern oder mit der Unternehmensführung gesprochen. „Leider geben wir keine Interviews oder Statements“, sagt mir der Pressesprecher. Vielleicht etwas verständlich, wenn man sich anschaut, wie viel Belustigung dem Label von Journalist:innen schon entgegengeschlagen ist. In der Neuen Zürcher Zeitung heißt es: Die Gründer hießen so, „wie ihre Mode aussieht“: Jürgen, Thomas und Hans-Peter. Und die Träger sind laut Vice, „reihenhausbesitzende, krombacherbechernde, sportschauguckende Familienväter mit Igelfrisuren“.
Die Sorglosigkeit der Camp-David-Männer
Ski Aggu, 27, Berliner Rapper, jugendlicher Publikumsliebling, veröffentlichte sein Musikvideo zum Song „Palermo“. Sommer, Pool, Motorroller, Champagner – Ski Aggu ist ein typischer Berliner Atze mit einer Leichtigkeit, die ich mag. Aber dann rappt er, ich höre wohl nicht richtig: „Camp-David-Polo hat Farbe vom Himmel.“ Und trägt es im Musikvideo auch selbstbewusst. Und wenn ich es mir so überlege, sieht Ski Aggu Dieter Bohlen gar nicht mal so unähnlich.
Und: Seit 2023 ist Dieter Bohlen nicht mehr offizieller Markenbotschafter von Camp David, brauchen sie also einen neuen. Aggu würde sich da ja vielleicht anbieten, der hat letztes Jahr schon Ed-Hardy-Shirts zurückgebracht. Ed Hardy, immerhin tief verankert in der Popkultur der Nullerjahre. Aber Camp David? Für mich war das nie Pop, nie ironisch, nie cool – immer Bohlen, immer Be- und Verurteilung des Körpers, die ich nicht zurückhaben möchte.
Vielleicht reagiere ich so stark, weil ich mich selbst abgrenzen will von dieser zugeschriebenen Selbstsicherheit. Die Entscheidung zu meinem Lippenpiercing etwa hat Jahre gedauert. Zu groß war die Angst, was andere denken, ob ich noch seriös wirke. Camp-David-Männer kennen diese Angst nicht, glaube ich. Meine Wut auf sie ist auch Neid auf ihre Sorglosigkeit.
Gleichzeitig gibt es Momente, in denen mein Hass bröckelt. Beim letzten Familiengrillen stellte ich erstaunt fest, dass mein Opa – sonst immer stilsicher auch ein Camp-David-T-Shirt vom Flohmarkt trug. „Er ist jetzt 81 Jahre alt und er trägt es gern“, sagt meine Oma, als wäre damit auch eigentlich schon alles gesagt. Kein Statement, kein Symbol. Nur ein Stoff, den ein alter Mann gern anzieht, ja sich regelrecht kleidet. Sollten wir uns da nicht drüber freuen?
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