CSU-Chef Söder und die Grippeimpfung: Politik der leeren Gesten

CSU-Chef Markus Söder hat sich öffentlich impfen lassen. Mediale Inszenierungen waren schon spektakulärer. Über Sinn und Unsinn von Publicity-Stunts.

Markus Söder krempelt seinen Ärmel hoch für die Grippe-Impfung

Markus Söder lässt sich öffentlichkeitswirksam von seiner Gesundheitsministerin impfen Foto: Andreas Gebert/Reuters

Es ist bloß ein kleiner Pieks für Markus, aber ein großer Schritt für die Menschheit. So jedenfalls sieht es Bayerns Ministerpräsident. Die Medien spielen mit und berichten live.

„Gesundheitsministerin impft Markus Söder“, titelt Bild. In einer Zeit, in der Impfung bei manchen zum Kampfbegriff wird, lässt sich Söder öffentlichkeitswirksam den Grippeschutz verpassen. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD war übrigens auch dabei. „Ich habe den Oberbürgermeister dazugebeten“, sagte CSU-Söder laut Bild, „weil wir gemeinsam ein Zeichen setzen wollen.“ Wer gegen Grippe geimpft sei, könne eine Corona-Infektion besser bekämpfen.

Solche Gesten haben eine lange Tradition. Und ehrlich gesagt waren viele andere Aktionen spektakulärer als das Ärmel-Hochkrempeln der beiden Herren aus dem Freistaat.

Erinnert sich noch wer an Klaus Töpfer? Der kam aus der CDU und war deren Umweltminister. Seinerzeit galt das Amt in der Union noch als nette Unwichtigkeit am Rande, um den aufstrebenden Grünen Paroli zu bieten. Außerdem war 1986 ein Atomkraftwerk namens Tschernobyl in die Luft geflogen.

Töpfer war ab Mai 1987 der zweite Amtsinhaber, nahm das Ganze ernst und schwamm ein Jahr später für die Kameras durch den Rhein. Es sollte zeigen, dass der Schicksalsstrom der (West-)Deutschen schon um einiges sauberer geworden war. In Ostdeutschland wurde über den Silbersee bei Wolfen gespottet, in ihm könne man Filme entwickeln.

Risikolastiger Publicity-Stunt

Im Westen galt Gleiches für bestimmte Abschnitte des Rheins. Töpfer trug daher das, was man heute Neoprenanzug nennt, und eine rote Badekappe. Wirklich im Rhein gebadet hat danach niemand, und das gilt mit wenigen Ausnahmen bis heute.

Der britische Landwirtschaftsminister John Gummer instrumentalisierte 1990 sogar seine vierjährige Tochter Cordelia für einen medienwirksamen Publicity-Stunt. Damals ging es wie heute um eine Seuche. BSE stand im Verdacht, auch für Menschen gefährlich werden zu können. Gummer verneinte das, verspeiste vor laufender Kamera einen Rindfleisch-Burger und pries ihn als „absolutely delicious“.

Die kluge Cordelia knabberte nur ein bisschen an ihrem Klopsbrötchen. Doch die Bilder, die das Vertrauen in „British Beef“ wiederherstellen sollten, waren im Kasten. Dumm, dass später sehr wohl die Übertragbarkeit von „Mad Cow Desease“ auf Menschen nachgewiesen wurde.

Trotz braver Berichterstattung der Medien sind das eben keine Heldengeschichten, sondern durchsichtige Inszenierungen. Zumal die Berichterstattung schlampt, sagt die Mitbewohnerin. Welches Pflaster hat Söders PR-Mensch denn nach dem Pieks empfohlen: das mit Marienkäfern oder Sonnenblumen?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.