CO₂-Zertifikate in indigenen Gebieten: Wie Indigene auf der Klimakonferenz Widerstand leisten
Projekte für CO₂-Zertifikate führen in indigenen Gebieten oft zu Menschenrechtsverletzungen. Auf dem UN-Klimagipfel bildet sich Widerstand.
„Unsere Natur steht nicht zum Verkauf“, steht auf einem Banner bei einem Protest sozialer und indigener Bewegungen im brasilianischen Belém, wo die UN-Klimakonferenz stattfindet. „CO₂-Zertifikate raus!“, heißt es darunter. Davor hat sich eine Gruppe der Indigenen Munduruku versammelt und stimmt traditionelle Gesänge an.
Die Munduruku leben im Amazonasgebiet am Rio Tapajós im Bundesstat Pará, dessen Hauptstadt Belém ist. In ihrem Territorium haben sich Erdölfirmen, Goldschürfer und das Agrobusiness breitgemacht, die den Wald abholzen und die Lebensgrundlage der Indigenen gefährden. Nun ist eine neue Bedrohung dazu gekommen, die eigentlich die Entwaldung stoppen sollte: CO₂-Zertifikate.
Der Bundesstaat Pará hat sich in den vergangenen Jahren aktiv um die Vermarktung von CO₂-Zertifikaten, auch als Carbon Credits bekannt, bemüht. Dabei handelt es sich um Zertifikate, die für vermiedene oder gebundene CO₂-Emissionen stehen, die beispielsweise durch Projekte für Waldschutz oder Aufforstung entstehen. Unternehmen oder Staaten können sie kaufen, um ihre eigenen Emissionen zu „kompensieren“ und so ihre Klimaziele zu erfüllen.
Während der ersten Verhandlungswoche der UN-Klimakonferenz beschloss das EU-Parlament ein neues Klimaziel, das die Netto-Emissionen bis 2024 um 90 Prozent senken soll. Die EU erlaubt dabei ausdrücklich, einen Teil davon über internationale CO₂-Zertifikate aus Ländern außerhalb der EU zu erreichen. Dabei hatte der wissenschaftliche Beirat der EU eine mindestens 90-prozentige Reduktion ohne CO₂-Zertifikate gefordert, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.
Alessandra Korap protestiert auf dem Konferenzgelände
„Europa erzeugt jetzt ganz viel Druck im internationalen CO₂-Markt“, sagt Anika Schroeder, die bei Misereor das Themenfeld „Klimapolitik und Armutsbekämpfung“ koordiniert und an den Verhandlungen in Belém als Beobachterin teilnimmt. „Wo ein Geschäft gerochen wird, wird schnell gehandelt – deshalb befürchten wir, dass die Bevölkerungsgruppen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, jetzt komplett überrollt werden.“
Indigene Territorien – allen voran der Amazonasregenwald – gelten im CO₂-Markt als besonders attraktiv. Sie beherbergen eine außergewöhnliche Artenvielfalt und speichern enorme Mengen Kohlenstoff, wodurch sie sich für die Erzeugung zahlreicher Carbon Credits anbieten. Die CO₂-Zertifikate, mit denen die EU ihre Emissionen senken will, könnten deshalb zukünftig aus artenreichen Ländern wie Brasilien kommen.
Hier klagen indigene Gemeinschaften wie die Munduruku über mangelnde Konsultation, neue Formen von Kontrolle und Landkonflikte durch den wachsenden CO₂-Markt.
„Die Unternehmen wollen unseren Wald zur Ware machen“, sagt Alessandra Korap, eine indigene Aktivistin der Munduruku. Auf der Weltklimakonferenz protestiert sie vor der Blue Zone, wo die offiziellen Verhandlungen stattfinden, um mehr Mitbestimmung der indigenen Bevölkerung einzufordern.
„Die Staatschefs wollen Bergbau, sie wollen Öl, sie wollen Gold, sie wollen CO2-Zertifikate“, sagt sie. „Sie denken, im Wald lebt niemand. Aber für uns ist der Wald alles: er gibt uns Medizin und Nahrung.“
Indigene in Kolumbien bereuen Zustimmung
Auch in Kolumbien boomt der CO₂-Markt dort, wo die Indigenen leben. „Das Unternehmen hat uns betrogen“, sagt Ingry Mojanajinsoy von der Volksgruppe der Inga aus Villagarzón im Departamento Putumayo, der kolumbianischen Amazonasregion. Auch sie ist nach Belém gereist, um die Anliegen ihrer indigenen Gemeinschaft vorzutragen. „Sie haben uns unter Druck gesetzt, zu unterschreiben, obwohl wir keine ausreichenden Informationen hatten.“
Die Gemeindeführerin beschreibt, wie ein CO₂-Projektentwickler ihrer Gemeinschaft „die perfekte Lösung“ präsentierte – ein Modell, das angeblich Landkäufe, Infrastruktur und ein besseres Leben finanzieren sollte: CO₂-Zertifikate. Doch sie stellte fest, dass der Vertrag nicht einmal die besonderen Schutzbestimmungen für die Indigenen enthielt.
Nach internen Konflikten und Drohungen des Unternehmens versuchen die Gemeinschaften in Putumayo nun, den Vertrag wieder aufzulösen. „Die CO₂-Kompensation ist eine falsche Lösung für die Klimakrise“, sagt Mojanajinsoy.
Probleme in Afrika und Lateinamerika
Anika Schroeder beobachtet die Gespräche über den CO₂-Zertifikatehandel in der Blue Zone. „Es herrscht immer noch das Gefühl vor, insgesamt sei es doch ganz toll, weil es Transfer von Kapital von Nord nach Süden gibt“. Es sprechen sich auch nicht alle Indigenen gegen den CO₂-Markt aus. Manche Organisationen erwarten, dass sie so von der Klimafinanzierung profitieren können.
„CO₂-Zertifikate sind keine Klimafinanzierung“, sagt Annika Schroeder. „Erstens bekommt man was zurück, nämlich das vermeintliche Recht, CO₂ auszustoßen. Und zweitens bleibt das meiste Geld auf dem Weg dahin hängen.“ Stattdessen sollten Klimaschutzgelder direkt an die Indigenen Gemeinschaften fließen, die den Wald schützen, anstatt den Umweg über die Zertifikate zu gehen.
Die EU wolle sich im Rahmen ihrer neuen Klimaziele am freiwilligen CO₂-Handel orientieren. Dieser steht jedoch stark in der Kritik, weil es bei Projekten in der Vergangenheit zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist.
In afrikanischen Ländern wie Kenia zum Beispiel wurden indigene Gemeinschaften für Waldschutzprojekte vertrieben. In Lateinamerika ist Menschen der Zugang zu den Gebieten versagt worden, die sie für den Alltag nutzen, also zum Beispiel für Nahrung, für Medizin, um Feuerholz zu sammeln oder um ihre Tiere weiten zu lassen. „Aus Menschenrechtssicht und aus Klimaschutzsicht gibt es immense Probleme“, sagt Schroeder.
Elisângela Soldatelli Paim ist promovierte Soziologin und lateinamerikanische Koordinatorin des Klimaprogramms der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ihrer Ansicht nach verschärft er CO₂-Markt ungleiche Machtstrukturen zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden.
„Die Konzerne aus dem globalen Norden kontrollieren diesen Mechanismus, während die betroffenen Gemeinschaften im Globalen Süden passive Empfänger sind“, erklärt sie. Außerdem bremse der Kompensationsmarkt Anstrengungen für reale Lösungen für die Klimakrise aus.
Die Zertifikate erweckten den Anschein, sie würden die Emissionen reduzieren, obwohl sie eigentlich als Green Washing für Konzerne und Länder dienten, sagt die Soziologin. „Sie brechen nicht mit der Logik des Kapitalismus.“
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