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CDU und FDP haben lange auf die grün-rote Bildungspolitik als wichtigstes Gewinnerthema gesetzt. Doch jetzt machen Anhänger der Gemeinschafts­schule mobil gegen die Opposition. Mit starken Worten und guten ArgumentenWider den Kreuzzug

von Kontext-Autorin Johanna Henkel-Waidhofer

Wirkliche Verfassungsfreunde können Guido Wolf (CDU) und Hans-­Ulrich Rülke (FDP) nicht sein. Denn eigentlich müsste die beiden Spitzenkandidaten umtreiben, dass ausgerechnet im reichen Baden-Württemberg der Bildungserfolg vieler Kinder und Jugendlicher noch immer vom elterlichen Geldbeutel abhängt. Als Winfried Kretschmann kürzlich auf die Landesverfassung verwies – „Jeder junge Mensch hat, ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage, das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung“ –, reagierten die beiden gelangweilt, ließen demonstrativ desinteressiert den Wortlaut des Artikels 11 über sich ergehen.

Freunde jener rund 100.000 ­Kinder, ihrer Eltern und Lehrkräfte im Land, die sich inzwischen der Gemeinschaftsschule verbunden fühlen, sind Wolf und Rülke nicht. Massive Kritik schallt ihnen jetzt vom Verein für Gemeinschaftsschulen Baden-Württemberg entgegen, der ihnen vorwirft, beschimpft, verunglimpft und in der Pädagogen­ehre verletzt worden zu sein. Außerdem werde das in vielen anderen Ländern gängige Reformkonzept diffamiert und verzerrt dargestellt. „Wir sind durch die ständigen Attacken bis ins Mark getroffen“, beklagt Matthias Wagner-Uhl, der Rektor der Gemeinschaftsschule im hohenlohischen Neuenstein. Der Kampf insbesondere der CDU habe „Kreuzzugcharakter“.

Geschummelt wird schon beim ersten Faktencheck

Tatsächlich blenden Oppositionspoli­tiker seit Beginn der Legislaturperio­de alles aus, was dafür spricht, dass sich bessere und schlechtere Schülerinnen und Schüler gemeinsam zum Wohl möglichst vieler entwickeln können. Schon beim ersten Faktencheck schummelten schwarze Bildungspoli­tiker, ohne rot zu werden: Parteigliederungen und Basis bekamen eine unvollständige Dokumentation als Dis­kus­sions­grundlage überstellt. Posi­ti­ves war kurzerhand gestrichen: die Freunde, die Kinder im Unterricht haben, die Erfolgserlebnisse beim Lernen dank indi­viduel­ler Förderung. Dass viele Haupt- oder Werk­realschulen im ländlichen Raum trotz millionenschwerer Hilfsprogramme der Vorgängerregierungen mangels Schülerinnen und Schülern längst hätten geschlossen werden müssen, passt ebenso wenig ins Weltbild von CDU und FDP wie die Tat­sache, dass kleine Schulen unverhältnismäßig teuer und in ihrem Angebot zugleich begrenzt sind.

Zudem geben sämtliche seriösen internationalen Studien dem Lernen in heterogenen Gruppen und Klassen den Vorzug gegenüber früher Selektierung. Die sei völlig willkürlich, sagt der Bildungsforscher Michael Schratz: ­Baden-Württemberg hat ein dreigliedriges, Österreich aber ein zweigliedriges Schulsystem – einen vernünftigen Grund dafür gibt es nicht. Der Inns­brucker Professor ist Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises. Er versucht, wie vor ihm schon Dutzende Experten, die Bildungspolitiker der Opposition mit Argumenten davon zu überzeugen, dass das Kernstück grün-roter Modernisierungsbestrebungen sinnvoll und geboten ist.

Und Schratz verweist aufs benachbarte Vorarlberg, kaum größer als ein bundesrepublikanischer Landkreis. Seit Langem fühlt sich die Südwest-CDU der in Bregenz dauerregierenden ÖVP besonders verbunden. Die hat jetzt einen parteiübergreifenden Kompromiss auf den Weg gebracht: Um die „am Bodensee angestrebte internationale Leistungsfähigkeit des Schul­systems sicherzustellen“, wurde mittelfristig die Einrichtung einer einzigen Schulform für die Klassen fünf bis acht beschlossen.

Zwei Jahre lang ist nach den Qualitätskriterien der OECD – „hohe Leistung und geringer Einfluss des sozio­ökonomischen Hintergrunds des Eltern­hauses auf die Leistungen der SchülerInnen“ – geforscht worden. Es gehe darum, heißt es im Abschluss­bericht, „Kindern unabhängig von ihrem Hinter­grund dieselben Chancen zu eröffnen, ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend hohe Leistungen zu erbringen“. Das zweigliedrige (!) System passe nicht mehr in die Realität. Schratz, der an der Studie mitgearbeitet hat, nennt noch einen ganz praktischen Grund: Wenn nach der vierten Klasse getrennt wird, bleibt zu viel Energie auf der Strecke, die auf die Frage verwendet wird, ob die Kinder in der richtigen Schule gelandet sind.

Ganz zu schweigen von dem Geld, das in die private Förderung fließt, um Kinder in der gewählten Schule zu halten: Mehr als eine Million bundesdeutsche SchülerInnen bekommen regelmäßig Nachhilfeunterricht. Die Eltern, die es sich leisten können, berappen dafür jedes Jahr zwischen eineinhalb und zwei Milliarden Euro. Auch dies ist ein unwiderlegbarer Hinweis, dem sich die Bildungspolitiker von CDU und FDP hartnäckig verschließen, weil sie – erst recht in diesen Wochen – auf die Instinkte jener zielen, die ihre Kinder im vermeintlich elitäreren, selektiven System besser aufgehoben sehen. Immer nach der alten Faustregel gewiefter Wahlkämpfer: Aufregung unter ­Eltern und Lehrkräften spielt der Opposition in die Hand.

„Soziale Gerechtigkeit beginnt bei der Bildung“

Rektor Wagner-Uhl setzt dem seinen Alltag in Neuenstein entgegen. Schon seit mehr als zehn Jahren werden dort Erfahrungen mit heterogenen Gruppen gesammelt. „Soziale Gerechtigkeit beginnt bei der Bildung“, weiß der Schulleiter, „und volkswirtschaftlich können wir es uns kaum leisten, intellektuelles Kapital brachliegen zu lassen.“ Die Welt „ist nicht einfach in Schwarz und Weiß, Arm und Reich, Klug und Dumm einzuteilen“. Kritiker unterstellten der Gemeinschaftsschule Gleichmacherei, „aber das Gegenteil ist der Fall, denn Kinder erleben, dass Menschen verschieden sind und dass doch jeder seinen Platz hat und seinen Beitrag zum großen Ganzen leistet.“ Dennoch verstecke sich die Opposition „hinter Floskeln und Formeln“ und wolle die Uhren zurückdrehen.

„Gemeinschaftsschule bietet für alle das Gleiche, aber für keinen das Richtige“, heißt das übersetzt in den ­Jargon der Union. Die Individualisierung wird absichtlich falsch dargestellt, die Reform landauf, landab als „grün-rotes Prestigeprojekt“ gebrandmarkt. Kretschmann erklärte bei einer der Spitzenkandidatenrunden kürzlich, „auf diesem Niveau überhaupt nicht diskutieren zu wollen“. Er hat mehrere Gemeinschaftsschulen besucht, darunter die in Schemmerhofen im Landkreis Biberach, und er bleibt vom päda­gogischen Konzept des gemein­samen Lernens auf unterschiedlichen Niveaus überzeugt. Und er traut ihm zu, dass – Artikel 11 folgend – deutlich mehr Jugend­liche als bisher zu besseren Abschlüssen geführt werden.

Selbst der Handwerkstag unterstützt die grün-rote Reform

An namhaften Fürsprechern aus Wirtschaft und Wissenschaft mangelt es nicht. Auch der baden-württembergische Handwerkstag unterstützt nicht nur die Reform der grün-roten Landesregierung, sondern er verlangt zugleich, der Entwicklung und den neuen Bildungsplänen Zeit zu geben – „mindestens bis zum Jahr 2021“. Erst dann könne ein Fazit über die Sinnhaftigkeit der Einführung gezogen werden. Noch eine Ohrfeige für die CDU: Denn unter Berufung auf ein einzelnes Schulgutachten und unter tätiger Mithilfe der inzwischen vor Gericht dem Kultusministerium unterlegenen Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte sie schon im Spätsommer 2015 der „sozia­listischen Einheitsschule“ das Sterbeglöcklein läuten wollen.

In der Hektik dieser Tage hat sich Guido Wolf dann doch noch zu einer Modifizierung seiner harten Ablehnung durchgerungen. Anders als bisher verlangt, sollen sich die 299 Gemeinschafts- nicht mehr zu neuen Realschulen entwickeln, mit wieder getrennten Klassen und unterschiedlichen Niveaustufen. „Wir werden sie erhalten, wir machen sie zu nichts anderem“, sagte der frühere Tuttlinger Landrat kürzlich auf einer Pressekonferenz. Allerdings will die CDU keine weiteren Standorte mehr genehmigen. Für Rektor Wagner-Uhl kommt das einem Aus auf Raten gleich. So entstehe, befürchtet der Pädagoge, eine neue Reste­rampe, „die die Zukunft unseres Bundeslandes in zwei Lager spaltet“.

Auch um dem entgegenzuwirken, haben Gemeinschaftsschuleltern dem CDU-Spitzenkandidaten Wolf vergangene Woche einen geharnischten Brief geschrieben. „Unsere Kinder sind stetig Gegenstand von teilweise hässlichen öffentlichen Kampagnen und Aussagen, die ihre Würde zum Teil mit Füßen treten, was uns als Eltern sehr verletzt“, heißt es darin. Verbindlichkeit und Präzision von Aussagen seien das Mindeste, „was Sie als Anwärter auf das Amt des Ministerpräsidenten diesen Kindern und deren Familien schuldig sind“. Sie erwarten eine Antwort noch vor der Wahl. Denn danach, so fahren sie fort, gehe das Leben der Kinder weiter. Für die Ersten von ihnen 2017 zum Hauptschulabschluss. Bei dann anstehenden Bewerbungen würden sie „schlimmstenfalls mit jener undifferenzierten Skepsis konfrontiert, die die Politiker mit ihrem haltlosen Streben nach Macht ausgelöst haben“.

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