CDU und AfD in Sachsen: Wo verläuft die Brandmauer?
In Sachsen fällt es der CDU schwer, sich von der AfD abzugrenzen. Auch von Merz kamen unterschiedliche Signale. Wie geht die CDU damit um?
M anchmal sorgt sich Yvonne Magwas, wenn Sachsens Ministerpräsident sich äußert. Manchmal ärgert sie sich auch richtig. „Ich wünschte mir, Michael Kretschmer würde die Bundespolitik weniger häufig kommentieren“, sagt sie. „Wir haben genug Probleme vor der eigenen, sächsischen Haustür.“ Darum aber geht es nicht nur.
Empfohlener externer Inhalt
Magwas, 41, Christdemokratin wie Kretschmer, kommt aus Auerbach im Vogtland im Westen Sachsens, seit 2013 sitzt sie im Bundestag. Zweimal hat sie letztens ihren Wahlkreis direkt gewonnen, seit knapp zwei Jahren ist sie Vizepräsidentin des Bundestags. In der CDU gilt die Soziologin als liberal, damit gehört sie in der „Sachsen-Union“, wie sich die Partei hier stolz nennt, zu einer Minderheit. Magwas’ Standpunkt: „Wir brauchen eine klare Abgrenzung von allem, was rechtspopulistisch ist.“
Diesen Anspruch erfüllt Kretschmer nicht. Zwar schließt er eine Koalition mit der AfD klar aus. Aber er sagt eben auch all diese Sachen, die wie eine Light-Variante der radikalen Rechten klingen. Kretschmer hat für eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl plädiert. Er hat sich für eine Reparatur der Gaspipeline Nord Stream 1 ausgesprochen. Und dafür, den Krieg in der Ukraine durch Verhandlungen einzufrieren, auch wenn das auf Kosten des angegriffenen Landes geht.
In der sächsischen Bevölkerung kommt das gut an. Kretschmer, der auch stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender ist, gilt als einer, der sagt, was er denkt. Und der sich von denen in Berlin nichts verbieten lässt. Eine Stimme des Ostens.
Filmdöschen mit Backpulver
Stellt man sich die sächsische CDU als eine Achse vor, steht Magwas an dem einen Ende, irgendwann kommt Kretschmer. Und von dort geht es noch weiter nach rechts. Zum Beispiel bis zur Kreistagsfraktion in Bautzen.
Wie behauptet sich die CDU vor Ort? Wie stellt sie sich auf? Und wie ist ihre Strategie im Umgang mit der AfD? Mit diesen Fragen ist die taz zu Yvonne Magwas ins Vogtland gefahren. Zu Stephan Meyer, der seit einem Jahr Landrat in Görlitz an der polnischen Grenze ist. Und zu Karsten Vogt, dem Oberbürgermeister von Bautzen.
Ein Dienstag Mitte Juli, Yvonne Magwas besucht in ihrem Wahlkreis eine Kita der AWO. Bald hockt sie draußen auf dem Boden und versucht, ein zur Rakete umgestyltes Filmdöschen mit Backpulver und Essigessenz zum Fliegen zu bringen. Das Gemisch entweicht, ein leises „Pffft“ ist zu hören, mehr nicht. „Fehlstarts können passieren“, sagt sie und lacht.
Als sie später mit der Kitaleiterin und einer Geschäftsführerin der örtlichen AWO beim Kaffee im Garten sitzt, geht es um die Kitaarbeit, die stark gestiegene Eigenbeteiligung in Pflegeheimen, die geschlossene Klinik im Nachbarort, schließlich um die „soziale Hängematte“. Wer Sozialhilfe beziehe, müsse auch etwas tun, meint die Frau von der AWO, das könne sich der Staat so nicht weiter leisten. Sie könne das beurteilen, sie sei schließlich schon 30 Jahre dabei.
Sie erlebe das häufiger, sagt Magwas später im Auto. Dieses tief sitzende Gefühl, dass es ungerecht zugehe. Es sei ein Gefühl, das die AfD ausnutze. „Das muss man ernst nehmen und politisch bearbeiten.“ Magwas’ Strategie: zuhören, Zusammenhänge erklären, kümmern. Wenn jemand sich mit einem Anliegen an das Wahlkreisbüro wendet, helfen Magwas und ihre Mitarbeiterinnen – egal, ob es wie an diesem Dienstag um einen Pflegekostenbescheid geht, störende Signalgeräusche einer Baustelle der Bahn oder eine Folgefinanzierung für die „Vogtlandpioniere“, die alte Bauwerke wiederbeleben. „Es ist oft sehr kleinteilige Kümmererarbeit, die wir machen“, sagt Magwas. „Wir nehmen uns dafür viel Zeit.“
Seit 1990 kommt der Ministerpräsident in Sachsen ununterbrochen aus der CDU, der erste war Kurt Biedenkopf. Er beruhigte die Bevölkerung mit dem Satz: „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus.“ Allen rassistischen Angriffen, Neonazibanden und einem Erstarken der NPD zum Trotz, die 2004 mit fast 10 Prozent in den Landtag einzog.
Das Verleugnen ging lange weiter. Seitdem gab es in Sachsen rechte Terrorgruppen, Brandanschläge und Hetzjagden, rechtsextreme Aufmärsche, Drohungen. Der Sachsen-Monitor zeigt regelmäßig, wie verbreitet autoritäre und menschenfeindliche Einstellungen sind. Manche in der CDU sagen, auf dem Land sei die Sprache der AfD längst Normalität, Aussagen blieben oft ohne Widerspruch. Bei der letzten Bundestagswahl bekam die AfD mehr Stimmen als die CDU, laut Umfragen steht sie inzwischen bei 30 Prozent, bei der Landtagswahl im kommenden Jahr könnte sie stärkste Kraft werden. Die CDU will mit Michael Kretschmer wieder gewinnen.
Yvonne Magwas, CDU-Bundestagsabgeordnete
Yvonne Magwas ist überzeugt, dass sich die CDU hart von der AfD abgrenzen muss. Als Parteichef Friedrich Merz im Juli im ZDF-„Sommerinterview“ den Eindruck erweckte, dass eine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene mit seinem Segen möglich sei, postete Magwas umgehend: „Ob Ortschaftsrat oder Bundestag, rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten sind Rechtsradikale IMMER Feind!“
Noch heute ist sie empört, dass die Lokalzeitung sie fragte, ob sie nicht mit dem Organisator der Montagsdemonstration in Plauen, wo zeitweise Tausende auf die Straßen gingen, ein Streitgespräch führen würde. „Der hat uns alle aufs Schlimmste beleidigt und ständig verhetzende Posts gemacht“, sagt Magwas. „Da wäre gar kein Gespräch möglich und auch nicht sinnvoll gewesen.“ Getroffen habe sie sich aber mit einer Gruppe, die ihr einen offenen Brief zum Ukrainekrieg und zum Umgang mit Russland geschrieben habe, ohne Beleidigung.
Inhaltlich passte ihr der Brief nicht, weil noch nicht einmal benannt wurde, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durch Russland handelte. „Aber da muss man als Bundestagsabgeordnete zum Gespräch bereit sein, die Kraft der guten Argumente nutzen.“ Am Ende aber habe sich der Organisator des Briefs bei ihr bedankt.
Magwas gilt als Merkel-Anhängerin, im sächsischen Landesverband hat sie damit keinen leichten Stand. Erschwert wird das durch ihren Mann, den ehemaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz. Vor der letzten Bundestagswahl hat er mit der Äußerung, ein Teil der diktatursozialisierten Ostdeutschen sei für die Demokratie verloren, für Furore gesorgt. Viele fühlten sich persönlich beleidigt. Wanderwitz war bei der Bundestagswahl Spitzenkandidat der CDU in Sachsen, Kretschmer machte ihn nach der Wahl öffentlich für das schlechte Abschneiden verantwortlich und sorgte dafür, dass er den Vorsitz der sächsischen Landesgruppe verlor.
Stephan Meyer steht am Biertisch auf dem Hof eines Vereinsheims in Schleife, einem kleinen Ort ganz im Norden des Landkreises Görlitz. Am Rand brennt ein Lagerfeuer, aber an diesem Augustabend ist es zu warm, um sich daran zu setzen. Meyer, 42, ein schmaler Typ mit hoher Stirn und Dreitagebart, hat sich bei der Landratswahl 2022 im zweiten Wahlgang klar gegen seinen Konkurrenten von der AfD durchgesetzt. Bei Bratwurst und Bier will er hier mit den Leuten ins Gespräch kommen, gut 50 sind gekommen.
Die Idee mit dem Lagerfeuer geht auf den Wahlkampf zurück. „Wir brauchen niedrigschwellige Angebote“, sagt Meyer. „Ans Lagerfeuer geht man gern. Da trauen sich Leute hin, die sonst nicht kommen.“ Ein Mann will mit ihm über den Abschuss von Wölfen sprechen, eine Frau darüber, dass eine Photovoltaikanlage nicht genehmigt worden ist.
Plötzlich steht der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla ein paar Grüppchen weiter, breitbeinig, mit einem Bier in der Hand. Chrupalla kommt aus Görlitz, er hat 2017 bei der Bundestagswahl dem heutigen Ministerpräsidenten das Direktmandat abgenommen. Einen Sitz im Kreistag hat er auch, alle Kreisräte wurden eingeladen. Meyer spricht zu Ende, dann geht er zu Chrupalla, macht ein paar Minuten Small Talk. Als Chrupalla ansetzt mit „Alle haben Angst“ und eine Frau zustimmend nickt, zupft ein älterer Mann Meyer am Ärmel. Dieser geht ins Zwiegespräch, zur Gruppe um Chrupalla stoßen zwei neue Leute hinzu.
Meyer, promovierter Wirtschaftsingenieur, gilt unter den sächsischen Christdemokrat*innen als einer der Smarten. Dreimal wurde er seit 2009 direkt in den Landtag gewählt, zuletzt war er parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Den Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und Grünen im Land hat er mitverhandelt. Meyer weiß, wie das politische Geschäft funktioniert. Was also ist seine Strategie für die CDU in dieser Zeit?
„Wie wollen Sie Vertrauen zurückgewinnen, Herr Meyer?“
Die Leute seien verunsichert, sagt Meyer ein paar Tage vor dem Lagerfeuerabend in seinem Büro. Der Krieg, die Krisen, die hohen Energiepreise, die Inflation. „Alles wird teurer, aber gleichzeitig steigen die Einkommen nicht entsprechend.“ Hinzu komme die illegale Migration, die hier an der deutsch-polnischen Grenze spürbar sei. „Wir müssen die Themen, die die Menschen betreffen, tatsächlich abräumen. Nicht mit irgendwelchen populistischen Sprüchen, sondern mit konkreten Lösungen.“
Die Oberlausitz, einst Teil eines riesigen Kohlereviers, ist „Strukturwandel-Kernregion“, wie Meyer es nennt. Hinzu kommt der demografische Wandel. Die Montagsdemonstrationen sind wieder größer geworden, seit es vor einem Club in der Stadt eine Schlägerei gab, drei Männer aus Syrien kamen deshalb in Untersuchungshaft.
Wie wollen Sie hier vor Ort Vertrauen zurückgewinnen, Herr Meyer? „Ich bin jetzt Chef einer großen Verwaltung, ich mache keine Gesetze mehr, sondern muss sie umsetzen. Im Bereich Asyl zum Beispiel bin ich als Landrat für die Unterbringung zuständig, egal, ob ich das gut oder schlecht finde.“ Es müsse gelingen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Verständnis für die Entscheidungen habe. „Nicht alle, das wird nie gelingen, aber die Mehrheit. Und das droht gerade verloren zu gehen.“
Weil die Verwaltung zwei neue Sammelunterkünfte für Geflüchtete einrichten wollte, forderte die AfD eine Sondersitzung des Kreistags und beantragte, neue Unterkünfte im Landkreis grundsätzlich auszuschließen. „Das steht jeder Fraktion frei“, sagt Meyer. Die Bühne der AfD und ihrem Antrag zu überlassen, das aber wollte er nicht. Zur Sondersitzung lud er einen Vertreter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu einem Input ein, die Verwaltung schrieb einen eigenen Antrag. Sie versprach, die beiden Unterkünfte nur zwei Jahre lang zu nutzen. Der Landkreis setze auf dezentrale Unterbringung und wolle große Unterkünfte in kleinen Orte vermeiden, sagt Meyer. „Das ist einfach konfliktärmer.“
Auf der Sondersitzung appellierte Meyer laut Lokalmedien an Bund und Land, geeignete Immobilien für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, damit diese nicht in Turnhallen landeten. Er forderte, dass der Bund die Kosten der Unterbringung übernimmt und bessere Voraussetzungen für Abschiebungen schafft. Auch AfD-Mann Chrupalla war da und hielt eine Rede. „Ich musste ihn mehrmals unterbrechen, weil es alles andere als sachlich war“, sagt Meyer. „Wir wollen keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen“, rief Chrupalla – und bekam dafür lautstarken Applaus aus dem Publikum. Aber der Antrag von Meyers Verwaltung wurde angenommen. „Die AfD ist hier stark und laut, aber sie hat nicht die Mehrheit“, sagt Meyer. Das müsse man immer wieder klarmachen.
Worauf sich Meyer im Gespräch nicht einlässt: Prinzipien für den Umgang mit der AfD zu formulieren. Wenn der Eindruck entstehe, etwas werde abgelehnt, nur weil es von der AfD komme, sei das problematisch. Das Gefühl, das nach dem Gespräch mit ihm aber bleibt: Meyer hat durchaus solche Prinzipien. Das bestätigt auch die grüne Fraktionschefin im Landtag, Franziska Schubert, die Meyer aus Görlitz und Dresden gut kennt.
Meyer mag den Begriff Brandmauer nicht. Doch von Kommunalpolitiker*innen wie ihm hängt es ab, ob das, was damit bezeichnet wird, funktioniert: eine klare Grenze zu ziehen zwischen demokratischen Konservativen und antidemokratischen Rechtsradikalen. Und der AfD den Zugang zur Macht zu versperren.
Nicht allen in der sächsischen CDU scheint diese Verantwortung bewusst zu sein. Es gebe etliche Parteifreunde, die eine Zusammenarbeit mit der AfD herbeisehnten oder „mindestens eine Tolerierung“, sagte Marco Wanderwitz, Magwas’ Ehemann, jüngst dem Spiegel. Immer wieder werden Fälle der Zusammenarbeit mit der AfD bekannt.
Verlegung von Stolpersteinen verhindert
In Limbach-Oberfrohna etwa verhinderten CDU und AfD gemeinsam die Verlegung von Stolpersteinen für zwei Opfer der Nazis, weil diese Kommunisten waren. In Plauen untersagte der Stadtrat auf Antrag der AfD dem örtlichen Theater das Gendern, CDU, FDP und Freie Wähler stimmten zu. Und bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte der Kreistag von Bautzen.
Im Dezember hatte CDU-Landrat Udo Witschas eine Videoansprache, gespickt mit flüchtlingsfeindlichen Ressentiments, gehalten. Dann wurde bekannt, dass Witschas und fast die ganze CDU-Kreistagsfraktion mit ihren Stimmen einem AfD-Antrag zur Mehrheit verholfen hatten, der Flüchtlingen unter bestimmten Bedingungen Integrationsleistungen absprach. Ein Verstoß gegen die Beschlusslage der Bundespartei.
Es habe regen Telefonverkehr zwischen Berlin, Dresden und dem Landkreis gegeben, hört man dazu aus unterschiedlichen Ebenen der CDU. Merz hatte einst jedem ein Parteiausschlussverfahren angekündigt, der die Hand hebe, um mit der AfD zusammenzuarbeiten. Sein Generalsekretär, damals noch Mario Czaja, distanzierte sich öffentlich von der Kreistagsfraktion, Sanktionen aber gab es keine. Aus der Landes-CDU ist dazu zu hören, es sei doch wichtiger, dass so etwas nicht mehr vorkomme. Man brauche Leute wie Witschas, denn andere gebe es vor Ort nicht. Und ohnehin würden Machtworte aus Berlin die Renitenz vor Ort eher steigern.
„Wenn die AfD etwas einbringt, dem ich voll zustimmen kann, dann stimme ich dafür,“ betonte Matthias Grahl, der Fraktionschef der CDU im Kreistag, unlängst in der Zeit. Und: „Ich kann unseren Bürgern auch schlecht erklären, dass ich diese Partei mit allen Mitteln ausgrenzen müsste.“ Auch von Landrat Witschas ist keine Einsicht zu vernehmen. Die taz hätte gern auch mit ihm gesprochen, Witschas ließ absagen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Zu einem Treffen bereit ist Karsten Vogt, der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Bautzen. Das Rathaus, ein altes Gebäude mit Turm, leuchtet gelb in der Augustsonne. Vogt setzt sich in seinem Büro an den Kopf des großen Besprechungstischs. Bevor er im vergangenen Jahr gewählt wurde, war er Leiter eines Gymnasiums. Das hört man ihm an.
Aufregen würde die Leute „über Jahre hinweg“ vor allem die Bundespolitik, sagt Vogt, das Heizungsgesetz und die hohen Energiepreise etwa, aber auch „das Thema Flüchtlingskrise, welches auf das Jahr 2015 zurückgeht“. Also auf damals, als die CDU die Kanzlerin stellte, die mit ihrer Entscheidung, die Grenzen nicht zu schließen, einen großen Teil der Sachsen-CDU gegen sich aufbrachte.
Es scheint so, als würde Vogt am liebsten diese ganzen Diskussionen aus seiner Stadt raushalten. „Mein Ziel ist es, die Stadtgesellschaft zusammenzuführen.“ Dafür sei persönliche Glaubwürdigkeit wichtig. Ein Profil. Und Dialog. „Es ist notwendig, die Bürger abzuholen, mit ihnen über die Dinge zu sprechen, die sie besorgen.“ Die Lausitz müsse nach der politischen Wende den zweiten Strukturwandel meistern, das gehe nicht von heute auf morgen.
Vogt hat die Bürgerforen wieder eingeführt, drei gab es schon, mit je 30 bis 50 Teilnehmer*innen, Eskalationen seien bislang ausgeblieben. Das erste dieser Gespräche sei eines zum Spreehotel gewesen. In dem ehemaligen Hotel sind Geflüchtete untergebracht, im vergangenen Jahr sollte das durch einen Brandanschlag auf das Gebäude verhindert werden. Auf dem Forum seien von den Bürger*innen Ängste und Befürchtungen formuliert worden, er habe deshalb im Rathaus eine Sicherheitsrunde mit allen Beteiligten installiert. „Ich habe gute Erfahrungen damit gesammelt. Wir haben die Befürchtungen erst genommen, die sind glücklicherweise aber nicht eingetreten.“
Um in Dialog zu treten, geht Vogt weit, manche sagen: zu weit. Im vergangenen Oktober ist der Oberbürgermeister auf der Montagsdemonstration auf dem Kornmarkt aufgetreten, wo sich allwöchentlich eine Mischung aus Verschwörungsgläubigen, Rechtsextremen und jenen trifft, die Vogt „ganz normale Bürger“ nennt. Früher ging es vor allem um Corona, jetzt um den Krieg. Reichskriegsflaggen und die Fahnen der rechtsextremen Freien Sachsen sind weiter dabei. Er sei angefragt worden, um vorzustellen, was die Stadt gegen die Energiekrise unternehme, sagt Vogt. „Und ich bin der Meinung, dass die Leute in dieser Situation ein Auskunftsrecht haben.“
Dass er dabei auch zu Rechtsradikalen gehe und deren Veranstaltung aufwerte, leugnet Vogt nicht. „Das ist nicht unproblematisch“, antwortet er, zögert kurz und sagt dann: „Ich musste mich jedoch zwischen zwei Übeln entscheiden. Nicht zu kommunizieren, ist auch ein Problem.“ Und montags gehe auch „ein erheblicher Teil der Stadtgesellschaft auf die Straße“, der nicht rechtsextrem sei.
„Wie alle Parteien“
Jüngst hat Vogt in einem Interview die AfD-Stadträte in Bautzen vor dem Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit in Schutz genommen. Die Zustimmung der CDU-Kreistagsfraktion zum Antrag der AfD sieht er kritisch; dass die CDU auch im Bautzener Stadtrat für einen Antrag der AfD die Hand hebe, schließt er nahezu aus. Vogt antwortet oft formal. Als Oberbürgermeister habe er die Verpflichtung, allen Fraktionen die gleichen Informationen zukommen zu lassen. Und die AfD habe „wie alle Parteien“ das Recht auf Sitze in den Ausschüssen. „Wie alle Parteien“, das ist eine Formulierung, die er häufig benutzt. Man kann daraus eine Normalisierung der AfD lesen. Oder den Versuch, die AfD nicht auch noch aufzuwerten. Wo Vogt genau steht? Schwer zu sagen.
Anruf bei Jonas Löschau, der für die Bautzener Grünen im Stadt- und im Kreistag sitzt. Löschau kritisiert Vogts Demoauftritt und seine Äußerungen zu den AfD-Stadträten, sagt aber auch: „Mit der CDU in der Stadt Bautzen kann man zusammenarbeiten.“
Die Bundestagsabgeordnete Yvonne Magwas, der Landrat Stephan Meyer und Oberbürgermeister Karsten Vogt haben zum Umgang mit der AfD unterschiedliche Positionen. Alle drei aber meinen, dass die CDU eine klare Strategie dazu braucht.
Bei Ministerpräsident Kretschmer ist diese nicht immer zu erkennen. Von seinen Äußerungen zu Krieg und Migration, ist aus seinem Umfeld zu hören, sei er überzeugt. Doch immer wieder scheint es, als würde er sich dem Druck der Straße beugen, um Wähler*innen von der AfD zurückzugewinnen. Hinzu kommt seine Mission, mit fast allen zu reden. Schon seit er 2017 das Bundestagsdirektmandat an Chrupalla verloren hat, setzt Kretschmer auf Bürgernähe. Und das exzessiv. Dabei fehlen immer wieder klare Grenzen. 2021, während der Pandemie, sprach er selbst mit Coronaleugner*innen, die ihn vor seinem Privathaus in der Lausitz beim Schneeschippen überraschten und beschimpften.
Yvonne Magwas sagt: „Inzwischen redet er nicht mehr mit Extremen, das ist auch gut so.“
Stephan Meyer sagt: „Ich bin in manchem anderer Meinung, aber die Zustimmungswerte zeigen, dass Michael Kretschmer für viele Menschen in Ostdeutschland spricht.“
Viele in der CDU, auch Kritiker*innen, sind deshalb der Ansicht, im kommenden Jahr könne nur Kretschmer die AfD schlagen. Die Umfragewerte scheinen dieser Einschätzung recht zu geben, die CDU liegt bislang vorn. Doch zu welchem Preis? Die Entwicklung in anderen Ländern zeigt, dass eine Annäherung mittelfristig vor allem einem nutzt: dem radikal rechten Original. Ob die Union dies in ihrer Breite verstanden hat, muss man bezweifeln. Wo sie die Grenze setzt, das ist in der sächsischen CDU nicht geklärt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland