CDU in Sachsen: Heimatflair zum Wahlkampfstart
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer begann am Montagabend die Überlebensschlacht der CDU im Görlitzer Wahlkreis. Es gab Bratwurst und Bier.
Hier bei den Königshainer Bergen hat er mal gewohnt, viele Gäste erzählen freundliche Geschichten über seine Hilfsbemühungen für das gar nicht so flache Umland der Neiße-Metropole. Aber im 20 Kilometer entfernten Görlitz, wo er Stadtrat war, lauern mit den Direktkandidaten Sebastian Wippel (AfD) und Franziska Schubert (Grüne) zugleich die Hauptkonkurrenten der CDU.
Nur ein stilles Bündnis von Links bis Union verhinderte im Juni AfD-Wippel als Görlitzer Oberbürgermeister. Solche Bündnisse „Alle gegen die AfD“ aber sind weder in Görlitz noch sonst in Sachsen in Sicht. Sie seien Parteien auch nicht zuzumuten, sagt der Ministerpräsident und CDU-Landeschef im Gespräch mit der taz.
In Görlitz wird es zum Dreikampf kommen. Die Chancen für AfD-Direktmandate steigen im ganzen Freistaat unabhängig von der am Donnerstag anstehenden Verfassungsgerichtsentscheidung zu ihrer auf 18 Plätze limitierten „Short List“.
Zu Beginn seiner Tour durch alle 60 Wahlkreise spult Michael Kretschmer seine bekannten Werbeblöcke herunter und grenzt sich heftig von der AfD, vorsichtiger von den Grünen ab. Mit rechten Inhalten setzt er sich kaum auseinander. Ihn stören mehr der Stil und die Unappetitlichkeiten der AfD. Zum Beispiel, dass ihre Landesvorsitzenden von Brandenburg und Sachsen jüngst in Cottbus den „Auftakt der Jagdsaison“ verkündeten.
„Partei der Vernunft und der Mitte“?
„Beschimpfungen wie ‚Volksverräter‘ und ‚Deutschlandhasser‘ gehen gar nicht“, verteidigt er sich. „Wehret den Anfängen!“, wendet er sich zugleich vehement gegen jegliche Diskriminierung und Verfolgung von Minderheiten, als das Publikumsgespräch auf Homosexuelle kommt.
Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.
Grünem Öko-Rigorismus setzt Kretschmer die CDU als „Partei der Vernunft und der Mitte“ entgegen, die nicht gleich den Weltuntergang beschwört und ihn mit „Ökosteuern“ verhindern will.
Den Aufreger der vergangenen Tage schlechthin streift er nur mit der Bemerkung, ihn störe die Verklärung der DDR. Offenbar sah die Landespartei Abgrenzungsbedarf gegenüber der Linken und derem Demokratischen Sozialismus wie einst im Stil der Rote-Socken-Kampagne. „Sozialismus hat nur für Leid gesorgt. Egal, ob national oder ‚real existierend‘“, war eine Facebook-Collage überschrieben, die verfallene Görlitzer Häuser neben das zerbombte Dresden stellte. Diese Gleichsetzung von NS-Diktatur und SED-Herrschaft empörte auch viele Bürger, etwa in einer MDR-Umfrage.
Die positiven Botschaften Kretschmers und seiner CDU kann man fast schon soufflieren. Es sind zuerst die Wiederentdeckung der ländlichen Räume, der Glaube an eine blühende Lausitz nach dem Kohleausstieg, die Lehrerfrage und ein höheres Sicherheitsgefühl durch mehr Polizisten. „Der Westen hat uns übernommen, und wir sind die Leidtragenden“, macht sich ein älterer Herr im Auditorium Luft. „Wer hat den Eindruck, dass er heute schlechter lebt als in der DDR?“, kontert Kretschmer. Außer einem „Wir leben anders“ rührt sich kein Finger.
Ansonsten aber herrscht im Hof des Landkinos bei Bratwurst und Freibier aufgeräumte Stimmung, keine Panik vor dem 1. September. „Die Alternative ist keine Alternative“, bekunden Dorfbewohner am Zaun. Mehr als drei Stunden spricht Kretschmer im Kinosaal und draußen am Tresen mit den Leuten. Auf solche angstfreien konservativen Wähler, die in Arnsdorf bei weitem nicht alle CDU-Mitglieder waren, setzt die auf derzeit 26 Prozent zurückgefallene Union. „Das ist eine Sachsenwahl, es geht nicht um Berlin oder Brüssel“, grenzen sich der Ministerpräsident und ein Teil seiner Zuhörer vom wenig förderlichen Erscheinungsbild der Bundespartei ab.
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