CDU im sächsischen Wahlkampf: Abstrampeln gegen die AfD
Conrad Clemens will für die CDU einen Wahlkreis im Landkreis Görlitz von der AfD zurückholen. Er setzt auf direkten Kontakt zu den Bürgern.
An einem Donnerstagnachmittag Mitte Juli steht Christdemokrat Conrad Clemens im Café Brumme in Obercunnersdorf im Landkreis Görlitz in Ostsachsen. Die Grenze zur Tschechischen Republik ist nicht weit. Gut 30 Leute sind gekommen, die Gaststube mit den fünf Tischen ist voll. In der Vitrine stehen große runde Bauernkuchen, Stachelbeer mit Baiser, Himbeer und Birne, Mohn. Die Kaffemaschine zischt.
Conrad Clemens, mit 41 Jahren mit Abstand einer der jüngsten im Raum, ist ein groß gewachsener Mann mit Jungengesicht. Er spricht über die Traditionen der Oberlausitz, bald aber ist er bei der Politik. Bei der Bundesstraße 178, die an die Autobahn angebunden werden muss. Dem Krankenhaus im nahen Ebersdorf, das erhalten bleiben soll.
Die Kellnerin schleppt Teller mit Kuchenstücken durch den Raum, es scheppert und klirrt. Clemens spricht lauter, er will ein paar Ideen loswerden. Gegen den hohen Unterrichtsausfall an Schulen will er Lehramtsstudenten einsetzen und sich dafür stark machen, dass kleine Vereine jedes Jahr pro Mitglied einen Euro vom Land bekommen, damit das Dorfleben erhalten bleibt.
Ein Kopf-an-Kopf-Rennen
Für Clemens ist der Kaffeeklatsch im Café Brumme ein Wahlkampftermin, einer von vielen. Der CDU-Mann will den Wahlkreis Görlitz III, zu dem Obercunnersdorf gehört, bei der Landtagswahl am ersten September für seine Partei zurückgewinnen. Jahrzehntelang ging der quasi naturmäßig an die CDU, bis die AfD 2019 gewann.
Glaubt man den Umfragen, werden sich die beiden Parteien bei der Landtagswahl ein enges Rennen um Platz eins liefern – vielerorts auch im Kampf um die Direktmandate. Deshalb reist CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer unentwegt durchs Land, schüttelt Hände, trinkt Bier und spricht mit den Menschen, manche sagen auch, er rede ihnen nach dem Mund.
Deshalb tritt auch Conrad Clemens an, zum ersten Mal. Clemens ist in Sachsen-Anhalt geboren und in Lateinamerika und im Böhmischen Dorf in Berlin-Neukölln aufgewachsen, wo sein Vater als Pfarrer gearbeitet hat. Der Betriebswirt hat bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet und als Büroleiter eines Bundestagsabgeordneten, er war Bundesgeschäftsführer der Jungen Union und Landesgeschäftsführer der sächsischen CDU – und damit mitverantwortlich für den Landtagswahlkampf 2019, die CDU verlor gut sieben Prozent. 84.000 Wähler*innen wanderten damals von den Konservativen zu den extrem Rechten.
In Ostdeutschland ist die Parteienbindung geringer als im Westen, der Wechsel fällt leichter. Zumal es in fast jeder Familie und jedem Freundeskreis inzwischen einen AfD-Wähler gibt.
Wahlkampf vor 30 Leuten
Als Staatssekretär leitete Clemens die sächsische Landesvertretung in Berlin, vor vier Wochen wechselte er als Chef der Staatskanzlei nach Dresden. Er ist jetzt Minister und bleibt das wohl auch, wenn Kretschmer wieder Ministerpräsident wird. Ein Landtagsmandat braucht er also eigentlich nicht.
„Ich habe da einen emotionalen Bezug“, sagt Clemens Anfang August in seinem Dresdener Büro. „Ich habe mich geärgert vor fünf Jahren, als die AfD in Ostsachsen und auch in der Oberlausitz, wo ich lebe, quasi einen Erdrutschsieg erzielt hat. Und mich entschieden, Zeit und Ideen dafür einzusetzen, dass das nicht wieder passiert.“
Eine seiner Ideen: In kleinen Formaten mit den Menschen direkt ins Gespräch kommen, vor Ort präsent und ansprechbar sein, sich um Lösungen kümmern. Deshalb sitzt er jetzt mit gerade mal 30 potentiellen Wähler*innen vor einem Stück Kuchen in Obercunnersdorf. Besonders originell ist diese Strategie nicht. Vielerorts versuchen Politiker*innen unterschiedlicher Couleur derzeit, wieder mehr mit den Bürger*innen ins Gespräch zu kommen und sie an die Demokratie zu binden.
Keine billigen Punkte machen
Im Café klagt ein Mann über die desolate Lage der Kommunalfinanzen, ein anderer beschwert sich über das Gendern, eine Frau versteht nicht, warum man heute „Mohrenkopf“ und „Zigeunerschnitzel“ nicht mehr sagen soll. Clemens könnte jetzt ein paar billige Punkte machen, so mancher aus seiner Partei würde das tun.
Man wäge seine Worte doch, gibt er aber zu bedenken, und wenn es Menschen verletze, „dann nennt man diese Soße eben anders“. Von Gendern in offiziellen Dokumenten halte er nichts. Aber dass die weibliche Form wie bei Lehrerinnen und Lehrern in die Sprache aufgenommen wird, das sei doch völlig in Ordnung. „Und dann gibt’s auch eine Gruppe von Menschen, die sich weder dort oder dort zugehörig fühlen“, sagt Clemens noch, obwohl danach niemand gefragt hatte. Das sei auch okay, jeder solle nach seiner Façon glücklich werden.
Der Mann gehört zu den Smarten in der sächsischen CDU, möglicherweise weiß er, dass zu viel Kulturkampf für die CDU letztlich nach hinten losgeht. In Berlin hat Clemens sich den Ruf erarbeitet, offen zu sein. Kritische Beobachter aber meinen, jetzt müsse er erst mal bewiesen, dass dies nach seiner Rückkehr nach Sachsen so bleibt.
Das Migrationsthema selbst bespielen
Von Populismus fern aber hält er sich nicht. Landtagspräsident Matthias Rößler hat er zur Wahlkampfunterstützung eingeladen, der einst mit der rechtslastigen Werteunion flirtete und eine Duldung durch die AfD nicht ausschloss. Claus Weselsky, Chef der Lokführer-Gewerkschaft GdL, kommt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Und Politikwissenschaftler Werner Patzelt, der früher mit viel Verständnis den Aufstieg der AfD kommentierte und inzwischen für einen rechten Thinktank arbeitet, der Viktor Orbán nahesteht. Kretschmer war schon da, CDU-Chef Friedrich Merz kommt noch zum Wandern.
„Die Ablehnung illegaler Migration ist groß und wir werden das Thema nicht der AfD überlassen“, sagt Clemens in seinem Dresdener Büro. Die CDU müsse hier Lösungen anbieten. „Bei der Bezahlkarte und den Grenzkontrollen haben auch viele gesagt, das geht nicht, ist viel zu kompliziert. Aber es geht, wenn man will. So ist das auch mit den Zurückweisungen an der Grenze und Asylverfahren in Drittstaaten. Ich halte das alles für möglich.“
Beim Kaffeeklatsch in Obercunnerdorf fragt danach niemand, worüber sie hier reden wollen, ist der Krieg in der Ukraine. Ein Mann bezweifelt, ob Waffenlieferungen an die Ukraine wirklich richtig sind und kritisiert, dass die CDU diese unterstütze. Eine Frau meint, dass bald deutsche Soldaten in die Ukraine müssten. „Deutsche Soldaten haben nichts, aber auch gar nichts an der Ostfront verloren“, sagt sie erregt. „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen, ich glaube das nicht,“ meint ein älterer Herr mit leiser Stimme.
Die Kriegsfrage ist heikel
Clemens antwortet vorsichtig, das ist heikles Terrain. Viele Wähler*innen wenden sich hier auch wegen der Kriegsfrage von der CDU ab, obwohl Ministerpräsident Kretschmer sich immer wieder für eine diplomatische Lösung stark macht und inzwischen sogar fordert, bei den Waffenlieferungen an die Ukraine zu kürzen. Clemens erzählt von seinem Vater, der bei der DDR-Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ dabei gewesen sei, spricht von einem Störgefühl, wenn er an deutsche Panzer denke, die sich gegen Russen richten, und sagt, dass er Kretschmer schon verstehe. Er sagt aber auch: „Ich finde es richtig, dass wir die Ukraine unterstützen gegen den Angriffskrieg von Putin, der gegen das Völkerrecht verstößt.“ Da klatschen zwei der Besucher.
In Dresden, in seinem Büro, erzählt Clemens, dass er seinen Gegenkandidaten von der AfD selten treffe. „Das ist ein bisschen wie bei Hase und Igel. Man läuft und strampelt, und hat so ein bisschen das Gefühl, der andere könnte schon im Ziel sein.“ Der Hauptunterschied zwischen Ost und West sei, dass die AfD hier als eine „relativ normale Partei“ wahrgenommen werde. „Deshalb funktioniert es nicht, zu sagen, das sind alles Nazis und jetzt kommt 33 zurück. Das sehen die Menschen nicht. Das ist der AfD gelungen.“ Man müsse einen anderen Umgang finden.
Was Clemens nicht sagt: Dass seine Partei und ihr Ministerpräsident, der lange mit allen geredet und immer wieder Diskurse der AfD aufgegriffen hat, einen Anteil an dieser Normalisierung hat. Inzwischen immerhin hat der sächsische Verfassungsschutz den AfD-Landesverband als erwiesen rechtsextrem eingestuft.
Clemens setzt darauf, dass die Bürger*innen bei einer Landtagswahl anders abstimmen als zuletzt bei der Wahl zum europäischen Parlament, die die AfD in Sachsen klar für sich entschieden hatte. „Wir müssen den Leuten klar machen, dass es am 1. September nicht um Brüssel oder Berlin geht, nicht um ein Ventil. Sondern darum, wer hier ganz konkret in Sachsen regiert. Willst du, dass die AfD tatsächlich in Dresden in die Staatskanzlei einzieht und sich um die Schule, die Straßen und deine Gesundheit kümmert?“
Wer könnte Koalitionspartner sein?
Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließt die CDU klar aus. Nach der Wahl aber könnte es kompliziert werden. „Eine Besonderheit in diesem Wahlkampf ist, dass uns die Koalitionspartner drohen, abhanden zu kommen“, sagt Clemens. Bislang regiert die CDU mit SPD und Grünen, was manchmal in Vergessenheit gerät, weil Kretschmer so hart gegen die Grünen polemisiert. Laut Umfragen liegen die beiden Koalitionspartner zwischen fünf und sieben Prozent, sie könnten also an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.
Viel spricht dafür, dass die Linke den Sprung in den Landtag nicht schafft. Bleibt das Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, worüber man in der CDU vor der Wahl nicht gerne spricht. „Es gibt Szenarien, wo wir nicht anders können, als uns mit dem BSW zusammen zu setzen. Das entscheidet der Wähler“, räumt Clemens zumindest ein. Das heißt aber auch: Die Bündnisfrage könnte für die CDU zur Zerreißprobe werden.
Über Obercunnersdorf sind inzwischen dunkle Wolken aufgezogen. Als Clemens sich für das Kommen bedankt, leert sich das Café schnell. Eine Frau sagt im Rausgehen, dass Clemens doch wirklich sympathisch sei. Aber auch, dass sie schon immer CDU gewählt habe. Dann prasselt draußen der Regen los.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“