CDU-Mann Volker Bouffier: Hessens Mann fürs Schloss Bellevue?
Mit 64 Jahren ist der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier im besten Bundespräsidentenalter. Er würde sich den Job wohl zutrauen.
Das ARD-Hauptstadtstudio hatte unlängst unter Berufung auf ein Berliner CDU-Regierungsmitglied gemeldet, der hessische Regierungschef laufe sich hinter den Kulissen für die Nachfolge Joachim Gaucks warm. Und was sagt Bouffier dazu? „Die Entscheidung über den Kandidaten der Union für die Bundespräsidentenwahl fällt im Herbst, an Spekulationen beteiligen wir uns nicht“, zitiert sein Sprecher Michael Bußer gegenüber der taz seinen Chef. Ein Dementi klingt anders.
Man kann wohl getrost davon ausgehen, dass Bouffier seine lange Politikerkarriere gerne mit dem Präsidentenamt krönen würde. In seinem Jahr als Bundesratspräsident habe der 64-jährige Hesse zuletzt allen gezeigt, dass er für das höchste Staatsamt geeignet sei, sagt ein CDU-Wahlmann.
Rund ein Dutzend Auslandsreisen, darunter nach Israel, nach Südafrika und nach New York, mit einer Rede vor der UNO, hat Bouffier als Präsident der Länderkammer absolviert. In Berlin empfing er zahlreiche Staatsgäste. Der Terminkalender eines Landespolitikers ohne Ambitionen sieht anders aus.
Als Innenminister ein „harter Hund“
Personalspekulationen sind allerdings schädlich für eigene Ambitionen. Das weiß der Routinier nach mehr als dreißig Jahren an führender Stelle in der hessischen Landespolitik. Der ehemalige Sportler – er spielte immerhin Basketball in der A-Jugend des MTV Gießen, die ab 1966 fünf Mal hintereinander die deutsche Meisterschaft gewann – weiß wie kaum ein anderer, dass man in Politik und Sport einen langen Atem braucht. Mehrfach musste Bouffier Rückschläge wegstecken. Seine Sportkarriere fand nach einem schweren Verkehrsunfall ein jähes Ende; die Folgen der damals lebensbedrohlichen Verletzungen machen ihm noch heute zu schaffen.
1987 verlor er sein fünf Jahre zuvor errungenes Landtagsmandat. Doch dank des überraschenden Wahlerfolgs der CDU unter Walter Wallmann fand sich ein Staatssekretärsposten für den jungen Juristen und JU-Landesvorsitzenden in der ersten CDU-geführten Landesregierung Hessens. Vier Jahre später ging die schwarz-gelbe Mehrheit wieder verloren. Bouffier machte Opposition gegen Rot-Grün, polternd, hart und nicht immer nur fair.
1999 musste er dem jüngeren und talentierteren Roland Koch bei der CDU-Spitzenkandidatur den Vortritt lassen. Koch gewann, wurde Ministerpräsident. Bouffier gab fortan als Innenminister „den harten Hund“, in der hessischen CDU-Tradition von Alfred Dregger und Manfred Kanther.
RWE klagt auf mehr als 100 Millionen Euro
Als Koch im Jahr 2000 wegen der Schwarzgeldaffäre wankte, fiel Bouffier als Konkurrent oder Ersatzspieler aus. Er selbst hatte mit Mühe ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen „Parteiverrats“ überstanden, das erst gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt wurde. Bouffier hatte als Rechtsanwalt in einem Scheidungsfall sowohl den befreundeten Ehemann als auch dessen Ehefrau beraten. So etwas ist strafbar.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zu diesem Fall brachte allerhand Skurriles ans Tageslicht. So hatte der Innenminister einer ermittelnden Staatsanwältin bei einem privaten Treffen einen Posten als Polizeipräsidentin angeboten. Jahre später ernannte Bouffier in einer rechtswidrigen Blitzaktion einen Partei- und Familienfreund zum Polizeipräsidenten. Nach langem teurem Rechtsstreit erhielt der übergangene Bewerber 30.000 Euro Schadenersatz, aus Steuermitteln.
Auch für Fehler der hessischen Landesregierung bei der rechtswidrigen Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis macht die Opposition Bouffier persönlich verantwortlich. Der Biblis-Betreiber RWE klagt auf mehr als 100 Millionen Schadenersatz. Das könnte noch teuer werden.
NSU-Opfer Halit Yozgat
Für Bouffier besonders heikel: Nach dem Mord an Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé im April 2006 war Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, unter Tatverdacht festgenommen worden. Temme war unmittelbar vor dem Mord oder sogar während der Tat am Tatort, hatte sich aber nicht als Zeuge bei der Polizei gemeldet. Vor dem Innenausschuss des Landtags machte Bouffier im Juli 2006 nachweislich falsche Angaben zu dem brisanten Fall, unter anderem über den Zeitpunkt, an dem er selbst von den Vorgängen erfahren haben wollte. Er nannte den Mitarbeiter „unschuldig“, obwohl ihn die Strafverfolgungsbehörden damals noch als „Tatverdächtigen“ führten.
Erst viel später, vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, korrigierte Bouffier seine Aussagen – dort wären Falschaussagen strafbar gewesen. Dass Bouffier der Polizei seinerzeit untersagt hatte, die von seinem Verfassungsschutzmitarbeiter geführten V-Leute zu vernehmen, verteidigt er bis heute. „Wir machen keine Fehler“, mit dieser Marschroute gehe Bouffier in interne Krisengespräche, berichtete der taz ein langjähriger Teilnehmer solcher Runden.
Bouffier übersteht also mit einer gewissen Chuzpe Krisen und Rückschläge. Gleichzeitig kann sich der Vater zweier erwachsener Söhne in unterschiedliche Rollen einfinden. Seit er 2010 Koch als Ministerpräsident beerben konnte, gibt er den Versöhner. Er klopft gerne anerkennend Schultern, umarmt Freund und Feind. Gerne duzt er sich auch mit politischen Konkurrenten.
Viele Blondinenwitze
Sogar an sein äußeres Erscheinungsbild legte Bouffier Hand an. Seit jungen Jahren war der Mittelscheitel sein Markenzeichen. Als die Haare früh ergrauten, ließ er sie blondieren. Selbst politische Weggefährten erzählten damals gerne Blondinenwitze. Im Umfeld seiner Beförderung zum Ministerpräsidenten empfahl ihm ein Imageberater in einer Radiosendung dringend, seine Frisur zu modernisieren. Bouffier tat die Empfehlung zunächst ab. Später zeigte er indes öffentlich und selbstbewusst seine weißgraue Originalhaarfarbe, den Scheitel verlegte er nach rechts. Seine Familie habe ihm dazu geraten, ließ er wissen.
Bouffier regiert nun seit zweieinhalb Jahren geräuschlos mit seinen früheren Lieblingsgegnern. Im Wahlkampf hatte die CDU noch vor dem grünen Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir als einem „Risiko für den Wirtschaftsstandort Hessen“ gewarnt. Inzwischen ist eben dieser „Risikofaktor“ Bouffiers Stellvertreter und hessischer Superminister für Wirtschaft und Verkehr. „Volker“ und „Tarek“ loben sich gegenseitig bei jeder Gelegenheit. Die Architekten der ersten schwarz-grünen Regierungskoalition in einem Flächenland präsentieren sich als ziemlich beste Freunde.
Vor dem Hintergrund der Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung, in der Schwarz-Grün eine Mehrheit hätte, könnte das Bouffier tatsächlich zu einer Option für die Union werden lassen. Denn sollten sich die beiden Großen nicht auf eine Person einigen, werden wohl SPD und CDU mit jeweils eigenen KandidatInnen ins Rennen gehen. Vielleicht schlägt dann seine Stunde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren