piwik no script img

CDU-Bezirksparteitag in BaWüEin Orban-Mann in der tiefen Provinz

Die CDU-Basis ist beim Thema Flüchtlinge gespalten. In Baden-Württemberg durfte nun ein Minister Viktor Orbans auf einem Parteitag reden.

Hatte eine knappe Stunde Zeit, um seine Abneigung gegen Flüchtlinge darzulegen: Zoltán Balog, hier in einer Aufnahme von 2012. Foto: dpa

Stuttgart taz | Es war eine gezielte Provokation und die wird auch im fernen Berlin verstanden. Der ungarische Minister für Humanressourcen Zoltán Balog war Stargast beim CDU-Parteitag des Bezirks Württemberg-Hohenzollern, eingeladen vom örtlichen Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß. Jener Balog, der in deutschen Talkshows derzeit die unerbittliche Flüchtlingspolitik Orbans verteidigt und die deutsche Regierung beschuldigt, mit der Grenzöffnung gegen EU-Recht verstoßen zu haben.

Es sei Zeit, in Europa miteinander statt übereinander zu reden, rechtfertigt Bareiß den Auftritt des Ministers am Freitagabend im baden-württembergischen Bad Saulgau. Kurz zuvor hat er selbst eine schneidige Rede zur Flüchtlingspolitik gehalten, die mehr nach Seehofer als nach Merkel klang.

Dann redet Zoltán Balog fast eine Stunde auf Deutsch zu den Delegierten. Balog appelliert an gemeinsame „christlich-jüdische Werte“ und empfiehlt statt Einwanderung eine Familienpolitik à la Ungarn: Steuerbefreiung für kinderreiche Familien etwa. Er rechtfertigt die ungarischen Grenzzäune und die Flüchtlingsabwehr. „Polizeimaßnahmen sehen nirgends schön aus“, sagt Balog.

Das mag einige im Saal an den schwarzen Donnerstag im Stuttgarter Schlossgarten vor fünf Jahren erinnern, als der bislang letzte CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus Wasserwerfer gegen friedliche Stuttgart-21-Gegner auffahren ließ. Auch diese Bilder waren es, die die CDU damals die Macht kosteten.

Und Balog spielt Schwache gegen Schwächste aus, wie ihm später eine Delegierte vorwirft. Ausgerechnet die Roma in Europa sind für Balog plötzlich eine Hoffnung für den Arbeitsmarkt. So begründet er die restriktive Einwanderungspolitik seines Landes.

Er fragt: „Muss man sich auf einem CDU-Parteitag denn dafür rechtfertigen, dass man rechts von der Mitte steht?“ Auch für diese Bemerkung bekommt Balog befremdlich viel Applaus, gelegentlich sogar Jubel.

Balog kanalisiert an diesem Abend den Frust vieler Unionsmitglieder. Die ganz große Koalition von Kretschmann bis Merkel in der Flüchtlingsfrage macht es der Südwest-CDU schwer, das Thema für den Wahlkampf zu nutzen. Und vor allem vielen jungen Parteimitgliedern, die Balog zujubeln, passt offenbar die ganze Richtung von Angela Merkels Politik nicht.

Kritik an Balogs Auftritt

Aber nicht alle applaudieren an diesem Abend. Am Tag darauf wird eine Landrätin sagen: „Trauen sie nicht denen, die einfache Antworten bieten. Die Lügen.“

Deutlicher wird Stephan Neher, junger Oberbürgermeister in Rottenburg am Neckar. Er findet nur ein Wort für Balogs Auftritt: „Eine Katastrophe!“ Der Ungar, der einmal Pfarrer war, stehe nicht für jene christlichen Werte, die er kenne, sagt Neher. 2.000 Flüchtlinge leben derzeit in seiner Stadt, aber er sieht die Kapazitätsgrenzen noch weit entfernt. „In meiner Bibel steht nichts von Ausgrenzung“, sagt der Christdemokrat.

Stephan Neher hat am Tag vor dem Parteitag für einiges Aufsehen gesorgt, weil er 26 CDU-Bürgermeister und zehn Landräte in Baden-Württemberg zu einem Unterstützerbrief für Angela Merkel zusammengetrommelt hatte. Die Kernaussage des Briefes ist das glatte Gegenteil dessen, was Balog, Teile seiner Partei und die CSU zur Flüchtlingspolitik sagen.

Neher sagt auf dem Parteitag: „Es ist leicht, in ruhigen Zeiten als Oberbürgermeister Geld an die Bürger zu verteilen. Ich bin aber dafür gewählt, schwierige Situationen zu meistern“, sagt Neher. Auch er bekommt Applaus von Delegierten.

Eins wird an diesem befremdlichen CDU-Abend mit Orbans Mann in der tiefen Provinz deutlich: Die Basis im schwäbischen Kernland der Union ist in der Flüchtlingsfrage hin- und hergerissen. Zwischen einer grimmigen Grenzen-zu-Politik Victor Orbans und dem optimistischen „Wir-schaffen-das“ der Kanzlerin.

Thomas Bareiß sagt nach dem Auftritt von Zoltán Balog zufrieden: Er könne sich nicht daran erinnern, wann auf einem Parteitag seines Bezirks zuletzt so lebhaft diskutiert wurde. Das ist noch das Beste, was man über den Auftritt von Balogs in Bad Saulgau sagen kann.

Dieser Artikel wurde um 18.38 Uhr korrigiert. In einer früheren Version hieß es, dass Stephan Neher 22 CDU-Bürgermeister für seinen Brief gewonnen habe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Das ist das Ende eines geeinten Europa. Es gibt keine europäische Werte - Gemeinschaft mehr (ausser Geld und Egoismus). Siehe dazu auch das heutige Wahlergebnis der Schweiz: Ein Ruck nach Recht und die europäischen Länder ziehen die Zäune / Grenzen wieder hoch und dicht!

    Gegen Geld soll auch die Türkei uns helfen das allgemeine Menschenrecht auf Asyl zu ignorieren: Artikel 14

    (1) Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen?

    Das können nur wir, die Menschen Europas gemeinsam demokratisch verhindern.

    Varoufakis ist gerade dabei solch eine eoropäische Demokratie zu etablieren.

    Nur wir Menschen können Demo (Volk) - Kraten ( griech. Macht) sein.

  • Das "glatte Gegenteil" ist dieser Brief leider ganz und gar nicht. Das suggeriert ja, darin würde eine flüchtlingsfreundliche Haltung zum Ausdruck kommen, was fern jeglicher Realität ist. Stattdessen heißt es bspws "und abgelehnte Flüchtlinge möglichst schnell in ihre Heimat zurückgeführt bzw. abgeschoben werden" oder "Klar ist jedoch auch, dass Schengen nur möglich ist, wenn die geltenden europäischen Regelungen (Dublin, …) auch wieder Beachtung und Anwendung finden."

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Mit solchen Hetz-Spielchen betreiben die verantwortlichen CDU Politiker und deren Claqueure das Geschäft von Pegida, ja sogar der NPD. Ein Attentat wie das heute Morgen in Köln ist nur die logische Folge dieser Demagogie!