CCC-Kongress 31C3 in Hamburg: Mit dem Denken aufhören
Beim Treffen des CCC geht es um Privatsphäre: Man sorgt sich um Fotos, Kameras und Spiegel. Aber es darf auch mal abgeschaltet werden.
HAMBURG taz | Fotografieren verboten! „Ich mache nur Fotos mit Langzeitbelichtung“, wehrt sich ein ermahnter Fotograf, der das Laufpublikum auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs fotografieren wollte. „Da dürften die Gesichter nicht zu erkennen sein“, verteidigt er sich.
Jeder Journalist bekommt bei seiner Ankunft einen eigenen Engel, die freiwilligen Helfer auf dem Kongress, der einen einweisen und herumführen soll. Dazu die minutenlange Belehrung, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: keine Fotos. Nicht von Menschen. Auch nicht von Bildschirmen. Und wenn doch, muss man vorher fragen.
Die Organisatoren sind um die Privatsphäre ihrer Besucher bemüht. Auch die meisten Teilnehmer des Kongresses kümmern sich. Manche tragen T-Shirts mit dem Aufdruck „Hiermit widerspreche ich der Aufzeichnung, Speicherung, Ausstrahlung und sonstiger Verwendung meines Bildes“. Andere haben zumindest ihre Webcam am Laptop zugeklebt, die könnte gehackt werden. Doch so achtsam sind sie bei ihren Smartphones nicht.
Jan Krissler warnt, dass Back- und Frontkameras von Smartphones immer hochauflösender werden. Der Zugriff auf die Kameras ist einfach: Diese Erlaubnis holen sich viele Apps schon bei der Installation. Und mit der Kamera lassen sich nicht nur Film- und Videoaufnahmen der Umgebung und des Gesichts machen. Er führt vor, wie in der Spiegelung der Augen Pincodes und Passwörter erkennbar werden.
Alle Videos und Livestream vom Kongress unter streaming.media.ccc.de und media.ccc.de/browse/congress/2014
Vom Foto zum Fingerabdruck
2013 überlistete Jan Krissler bereits den Fingerabdruck-Sensor von Apples iPhone wenige Tage nach der Veröffentlichung. Auch andere Fingerabdruck-Sensoren und Software zur Gesichtserkennung zu knacken, ist ihm ein Leichtes. Ein gutes Foto aus fünf bis zehn Meter Abstand genüge, um Fingerabdrücke passgenau nachzeichnen zu können, sagt er und präsentiert den Fingerabdruck von Ursula von der Leyen Daumen. Langer Applaus folgt.
Die Veranstaltung fand Samstagabend statt. Pro Kongresstag gibt es 14 Stunden Programm, fast immer vier verschiedene Veranstaltungen parallel bis in die Nacht hinein. Das ist manchmal ganz schön viel für den Kopf. Beim Künstlerduo „read & delete“ gibt es am Sonntag die Gegenidee: Wie wäre es, einfach mit dem Denken aufzuhören?
„Beim Nicht-Denken geht es darum, einen Zustand der inneren Ruhe zu erreichen“, sagt Elektra Wagenrad. Dann wäre entspannter und kreativer und tiefere Erkenntnisse wären möglich. Die philosophischen Texte begleitet Andrea Behrendt am Klavier. „read & delete“ Vortrag läuft unter den Kategorie „Art & Culture“ im Kongressprogramm. Das Kinn einer Frau in der ersten Reihe fällt müde auf ihre Brust. Auch sie hat wohl aufgehört zu denken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“