Bußgeld für Oranienplatz-Aktivisten: „Wir müssten dankbar sein“

Der Leiter der psychotherapeutischen Beratungsstelle Xenion erklärt, warum er 300 Euro „Spende“ von einem Flüchtling mit gemischten Gefühlen annimmt.

Ein Anwohner des Flüchtlingscamps am Oranienplatz im Januar 2014 Foto: dpa

taz: Herr Koch, Xenion, die Berliner Beratungsstelle für traumatisierte Flüchtlinge, bekommt 300 Euro, die der Oranienplatz-Aktivist Adam Bahar wegen Widerstands gegen Polizisten bezahlen muss. Warum ist das für Sie ein Problem?

Dietrich Koch: Wir sind einerseits natürlich dankbar, dass das Geld als Spende an uns geht. Andererseits ist das Bußgeld in meinen Augen eine ungerechtfertigte Bestrafung und darum eine zwiespältige Sache für uns.

Warum ungerechtfertigt?

Wir von Xenion kennen Adam, ich habe ihn durch sein Asylverfahren begleitet. Ich kenne auch sein politisches Engagement, etwa beim Seenottelefon für Boatpeople im Mittelmeer. Und ich bin ihm persönlich dankbar, weil er mir die Augen geöffnet hat bezüglich des ganzen Ausmaßes der sogenannten Flüchtlingskrise. Auch was den Oranienplatz anbelangt, ist er sehr aktiv, hat dafür gesorgt, dass die Bewegung nicht eingeschlafen ist, was viele nach der Räumung des Camps befürchtet hatten. Eigentlich hat er eine Auszeichnung verdient und kein Bußgeld!

62, ist Gründer und Leiter der Beratungs- und Behandlungsstelle für Geflüchtete XENION, Diplom-Psychologe und psychologischer Psychotherapeut.

Ist die Bewegung denn nicht eingeschlafen?

Vielleicht im öffentlichen Bewusstsein. Aber wir haben immer noch Männer von der Oplatz-­Bewegung in Behandlung und Beratung, deren Verfahren nicht in trockenen Tüchern sind, die keinen geregelten Aufenthalt haben, sich von Duldung zu Duldung hangeln. Diese Menschen sind so verzweifelt und stehen derart mit dem Rücken an der Wand, dass ich denke, das müsste nochmal aufgerollt werden! Und es kommen ja auch immer wieder Flüchtlinge nach, die dieselben Probleme haben. Es hat sich ja nichts zum Positiven geändert, nur weil das Camp abgebaut wurde.

Sie sagten, Baher habe Ihnen die Augen geöffnet. Wie meinen Sie das?

Ich habe ihn kennengelernt in der Zeit um 2013, wo die vielen Toten im Mittelmeer zu beklagen waren. Wir hatten bei Xenion jeden Tag mit Menschen zu tun, die Angehörige verloren hatten, ihre eigenen Kinder, die ertrunken waren. Und wir haben damals nicht gehört, dass sich die Öffentlichkeit darüber empört hätte, was mich ziemlich demotiviert hat. In dieser Zeit kamen die Leute vom Oranienplatz und sagten: Wir sind hier – und irgendwann müsst ihr mit uns sprechen. Da ging mir das Herz auf! Ich habe mich anstecken lassen von diesem „Wir schaffen das“, wir ändern etwas in Deutschland. Da bin ich wieder jung geworden und habe mich erinnert an die Ideale, mit denen ich mal an die Arbeit gegangen bin.

Auch wenn die Oranienplatz-Bewegung ja nicht wirklich etwas erreicht hat, oder?

Nicht das, was wir uns erhofft hatten vielleicht. Aber wir müssen immer wieder unsere kleinen Hoffnungen neu aufbauen, auch wenn die Politik die Lage der Geflüchteten tendenziell eher verschlimmert hat in den 30 Jahren, die ich überblicke. Und die Flüchtlinge haben uns deutlich gesagt, dass wir in Europa etwas ändern müssen. Wir müssen sie anders angucken – nicht als Menschen, die uns etwas wegnehmen, sondern als Menschen, die uns etwas bringen und gebraucht werden. Denn diese Menschen wollen ja wirklich etwas aufbauen, sie sind bereit, viele Opfer zu bringen, um hier ein neues Leben anzufangen. Und so arbeiten sie am Reichtum dieser Gesellschaft mit, wenn wir ihnen eine Chance dazu geben.

Wir brauchen die Geflüchteten also als Arbeitskräfte?

Das ist die eine Sache. Wir brauchen sie aber vor allem auch, um aus dieser Entsolidarisierung herauszukommen, die in unserer Gesellschaft grassiert, wo jeder alles hat und niemanden mehr braucht. Viele haben ja durch die Ehrenamtsarbeit mit Flüchtlingen, die unsere Hilfe brauchen, wieder Sinn erfahren durch das Gefühl, gebraucht zu werden. Insofern sind solche wechselseitig unterstützenden Begegnungen eine Art Heilmittel für unsere größten Zivilisationskrankheiten: die Entsolidarisierung, der Hass und die gegenseitige Entfremdung. Wir müssen ihnen eigentlich dankbar sein für dieses Geschenk.

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