Burgenschau: Alte Schlösser, neue Pizzerien
Thüringen ist reich an Schlössern und Residenzen. Diese Zentren klassischer Musik und Literatur, enzyklopädischer Wissenschaft und innovativer Malerei beeinflussten ganz Deutschland.
Sie ist die Burg der Burgen: die Wartburg. Weit oben auf dem Berg, den Wolken nah, mächtig, trutzig, stolz. Mit hohen Türmen, wehrhaften Zinnen. Furcht erregend und ehrwürdig. Romanisch und romantisch. Mit Zugbrücke selbstverständlich, die sich an kräftigen Ketten nach oben ziehen lässt, um kriegerisches Volk, aber auch böse Drachen vom Eindringen in den Burghof abzuwehren. Ihr historischer Rittersaal wurde auch vom Burgenkünstler und Fantasten, dem Bayernkönig Ludwig II., für sein im 19. Jahrhundert erbautes weltberühmtes Neuschwanstein kopiert. Der herrschaftliche Saal auf der Wartburg wird heute für Konzerte, Abiturfeiern und Großereignisse genutzt.
Der heutige Zugang durch eine dreitorige Halle führt uns in die schmale Vorburg. Die dortigen Fachwerkbauten, wo auch Martin Luther in seiner berühmten Studierstube versteckt war, und die Wehrgänge entstammen großenteils dem 14. und 15. Jahrhundert. Doch die eigentliche Hofburg bietet Spätromanik vom Feinsten. Der Palast wurde zwischen 1157 und 1170 als Repräsentativ- und Wohnbau der Landgrafen errichtet. Die Wartburg ist gewichtiger Zeuge deutscher Geschichte, Ort deutscher Legenden: Hier trafen sich die Minnesänger zum Sängerstreit; von hier half die heilige Elisabeth den Armen und Kranken; Martin Luther übersetzte das neue Testament und vereinheitlichte damit die deutsche Sprache. Die Burschenschaft fieberte auf dem Wartburgfest 1817 der Einheit Deutschlands entgegen, das in Fürstentümer zersplittert war. Und Richard Wagner wurde zur Mär vom Ritter Tannhäuser inspiriert.
Kein Wunder, dass sich im national gesinnten Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts gut betuchte Bürger ihre Villa in Eisenach mit Blick auf die herrschaftliche Wartburg bauen ließen. "Eisenach hat bis heute das größte zusammenhängende Villenviertel Europas", sagt unsere Burgführerin Kerstin Böttger beim Blick vom Süd- oder Pulverturm auf die grüne, jetzt blühende Berglandschaft.
Und vielleicht die größte Pizzeriendichte, überlegen wir bei der schwierigen Suche nach Thüringer Klößen mit Rotkohl nach dem Abstieg ins restaurierte Städtchen Eisenach. Im Restaurant zur Turmschänke, im Stadttor, finden wir die Traditionsspeise in köstliche veredelter Form.
In Thüringen entstand seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert auf engem Raum ein dichtes Netz höfischer Residenzen wie sonst nirgends in Deutschland. Diese kleinen Hofstaaten konkurrierten um kulturellen Glanz, der sich noch heute in der Vielfalt der Residenzschlösser und in erlesenen Kunstsammlungen widerspiegelt. Je geringer die militärische Rolle der kleinen Fürstentümer, desto mehr standen sie im Wettstreit untereinander um Architektur, Kunst, Geistesleben, Wissenschaft und Kultur. Als "Schatzkammer Thüringen" versucht das Land heute, dieses höfische Erbe zu vermarkten.
Miniatur Rokoko:
Gerhard Bätz und Manfred Kiedorf begegneten sich Anfang der 1950er-Jahre in Sonneberg, wo sie eine Lehre als Schaufensterdekorateure machten. Ihre gemeinsame Leidenschaft galt Schlachtenaufstellungen mit Armeen von winzigen Halma-Männchen. Die Figuren bekamen Kostüme angemalt. Es wurden Könige ernannt, Untertanen bestimmt. So entstanden über die Jahre zwei Königreiche: Dyonien und Pelarien mit eigener Sprache. "Die Schlösser der gepriesenen Insel" heißt die Daueraustellung auf der Heidecksburg. Die Bilder zu diesem Text sind Teil der Ausstellung. Mehr unter: www.heidecksburg.de
In Deutschland gibt es mehr als 25.000 Burgen und Schlösser, von denen ein nicht kleiner Teil allerdings nur noch als Ruine erhalten ist. Die Bauwerke aus vergangenen Zeiten sind heute beliebte Ausflugsziele.
Thüringer Schatzkammer Die Schatzkammer Thüringen verdankt ihren kulturellen Reichtum dem landesweiten Netz an fürstlichen Residenzen in den einstigen Hauptstädten der Kleinstaaten, die nirgendwo dichter nebeneinander lagen als in Thüringen. www.thueringerschloesser.de
Burgenstraße Die 975 km lange Straße führt in West-Ost-Richtung von Mannheim über Heidelberg, Heilbronn, Rothenburg ob der Tauber, Nürnberg, Kulmbach, Bayreuth und über die tschechische Grenze bis nach Karlsbad, Marienbad und Prag. Mehr als 70 Burgen, Schlössern und Residenzen liegen am Weg. Sie können die Straße auch mit dem Fahrrad oder dem Linienbus bereisen. http://+www.burgenstrasse.de/www.burgenstrasse.de
European Castle Heritage Wenn Sie einmal wohnen möchten wie ein König, finden Sie hier Wasserburgen, Jagdschlösser, Villen, Gärten und Parks. Die European Castle Heritage ist die Dachgesellschaft für Burgen, Schlösser und Klöster in Europa. Um das europäische Kulturerbe zu erhalten, setzt sie auf dessen wirtschaftliche Nutzung. Sie können sich über märchenhafte Bauwerke in Ihrer Wunschregion informieren, online Zimmer reservieren oder ein ganzes Schloss für eine Feier buchen. www.european-castle.com
Deutsche Burgenvereinigung Bereits seit über 100 Jahren kümmert sich die Deutsche Burgenvereinigung e. V. um den Schutz und Erhalt des historischen Wehr- und Wohnbaus. Neben dem Denkmalschutz geht es dem Verein auch um die Erforschung von Burgen. www.deutsche-burgen.org
Bayerische Schlösser Weiße Türme vor traumhaften Gipfeln - das Märchenschloss Neuschwanstein ist sicher das bekannteste der Schlösser im heutigen Freistaat Bayern. Hier können Sie zwar keine Räume für Ihre private Feier anmieten, doch in vielen anderen Schlössern ist sogar das möglich. Über solche und andere Serviceangebote der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen informiert Sie die Website www.schloesser.bayern.de.
"So konnte Thüringen für den ganzen deutschsprachigen Raum zu einer Wiege klassischer Musik und Literatur, enzyklopädischer Wissenschaft und innovativer Malerei werden", sagt Roland Krischke, von der Stiftung Schloss Friedenstein in Gotha. Er führt uns durch die Schlossanlage. "Jeder Herzog sammelte nach seinem Geschmack", erläutert Krischke, als wir fragend vor einer ägyptischen Mumie stehen. Einer ehemaligen Sängerin, wie die Schautafel erklärt. "Sie starb an Zahnfäule", weiß Krischke. "Der Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg liebte Wertgegenstände aus Ägypten."
Im Schloss Friedenstein hängt neben Werken von Lucas Cranach auch das Bildnis des Gothaer Liebespaares aus dem 15. Jahrhundert, das überraschend modern anmutet. Aber auch Versteinerungen, Münzen, Porzellan, Grafiken und viele Preziosen aus dem Orient gehören zu der heute in modernen Schaukästen eindrucksvoll präsentierten Sammlung der Fürsten.
Von außen wirkt das Schloss Friedenstein unverziert, schlicht protestantisch. Im Innern beherbergt die Anlage jedoch barocke Räume und Säle. Das Eckhof-Theater, das sich im Schloss befindet, ist das älteste Schlosstheater der Welt. Seine original erhaltene hölzerne Bühnentechnik aus dem 17. Jahrhundert wird beim Eckhof Festival jeden Sommer erneut in Gang gesetzt. Das alte Theater lohnt unbedingt eine Besichtigung.
Dass Gotha einst stadtgeschichtlich bedeutend war, zeigen uns beim Gang durch die Stadt die reich gestalteten Fassaden der Bürgerhäuser. Von Gotha aus wurde die ganze Welt vermessen. Dort steht noch immer, etwas angegraut, das Verlagshaus Justus Perthes. Mit Adolf Stieler und seinem "Hand-Atlas über alle Theile der Erde und über das Weltgebäude" wurden ab 1817 Perthes Karten und Atlanten zum Inbegriff für anerkannt gute Kartografie. Die anerkannt gute Thüringer Küche ist allerdings heute auch in Gotha schwer zu finden. Italiener, wohin man schaut, selbst im traditionellen Ratskeller. "Gehen Sie doch ins XYpsilon beim Marktplatz", rät uns eine Gothaerin, die unsere Hilflosigkeit erkennt. Ein guter Tipp. Das Thüringer Rostbrätl schmeckt dort hervorragend.
Fantasien von Prinzen und Prinzessinnen, von Königen und Rittern, vom höfischen Leben pflegen der Restaurator Gerhard Bätz und der Bühnenbildner Manfred Kierdorf ihr Leben lang. Und sie haben diese künstlerisch umgesetzt. Sie schufen in über fünfzig Jahren eine ironische Fantasiewelt mit winzigen Rokokoschlössern und Miniaturfiguren, die sogar eine eigene Sprache sprechen. "Die Schlösser der gepriesenen Insel" heißt die filigrane und amüsante Dauerausstellung der beiden Lebensfreunde, die nun auf der Heidecksburg in Rudolstadt zu sehen ist.
Über der Rudolstädter Altstadt thront die barocke Heidecksburg. Der Festsaal gehört zu den schönsten des deutschen Rokokos. In der Bibliothek unter dem Dach findet man Erstausgaben von Cervantes oder Goethe. Hier freite, "umgeben von lieblicher Landschaft", Friedrich Schiller seine Gemahlin Charlotte von Lengefeld. Ein Glück noch heute für das Stadtmarketing. Denn "wer kennt schon Rudolstadt. Die meisten wissen es ja nicht einmal richtig auszusprechen", sagt Lutz Unbehaun, der Direktor des Landesmuseum auf der Heidecksburg, der ein Buch über "Schillers heimlich Geliebte" in und zu Rudolstadt geschrieben hat. Dabei wurde in Rudolstadt 1817 die moderne Schule durch den Pädagogen Friedrich Fröbel gegründet. 1840 folgte die Gründung des ersten deutschen Kindergartens durch Fröbel in Bad Blankenburg.
Wir genießen vom Hotel Adler mit seinen alten, handgefertigten Möbeln und den alten Fensterbänken den Blick auf die nachts angestrahlte Heidecksburg. Über die knatternden Dielen unseres immerhin 400 Jahre alten Zimmers soll schon Goethe gewandelt sein und das Treiben auf dem darunter liegenden Marktplatz beobachtet haben. Heute beherbergt auch die Traditionsgaststätte des Tradititionshotels Adler ein italienisches Restaurant.Wir geben uns für heute - auf der Suche nach echt deftig Thüringischem - geschlagen.
Der Aufstieg zur Leuchtenburg im zirka 20 Kilometer entfernten Kahla ist schweißtreibend. Hoch über dem Saaletal gelegen, gewährt sie einen Blick vom Thüringer Wald bis zum Harz. Der Wind pfeift kalt. Doppelte Mauern, Wallgraben und Wehrtürme präsentieren eine mittelalterliche Urburg. "In den Zwanzigerjahren war die Burg ein Treffpunkt der Jugendbewegung, später ein psychiatrisches Heim, heute ist sie Touristenattraktion", sagt Gudrun Haufschild, die Museumsleiterin. In den Räumen des Museums werden hochwertige Ausstellungen zur Burggeschichte, eine Sammlung kostbaren Thüringer Porzellans und die harte Geschichte der Porzellanmanufakturen vor Ort gezeigt. Und man kann der blutigen Passion der Burgherren folgen: Die Jagdgeschichte der Region ist in deftigen Bildern, mächtigen Geweihen, ausgestopften Tieren und alten Flinten anschaulich dokumentiert.
Im Burgrestaurant zur Schänke wird nicht nur im Burgfräulein-Look serviert. Es gibt auch Thüringer Klöße! Und manchmal, so verspricht der Prospekt, "mittelalterliche Gelage, wo bis tief in die Nacht weder Aug noch Kehle trocken bleiben".
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