Bundesweiter Hitzeaktionstag: Ab Mittag brennt es
Arbeitende im Freien leiden besonders unter den Folgen der Klimakrise. Wie stellen sich Unternehmen in Berlin auf die zunehmende Hitze ein?
„Hitzestress am Arbeitsplatz? Da ist man bei uns genau richtig!“, sagt er. Vor einigen Wochen hat er mit einem Kollegen die Jalousien an der Westseite des rund 100 Meter langen Glasquaders abmontiert und zur Wartung ins ostwestfälische Herford gebracht. Heute installieren die beiden Arbeiter die Anlage in neuem Glanz.
Seit fünf Jahren ist der gelernte Metallbauer als Sonnenschutzmonteur unterwegs und kommt für Einsätze regelmäßig nach Berlin. Die Auftragslage sei sehr gut, sagt Ardner. Davon würden auch die Mitarbeiter:innen profitieren. Vergangenes Jahr habe er eine Inflationsausgleichsprämie erhalten. „Zwischendurch lässt der Chef auch so mal was springen“, erzählt er anerkennend.
Doch das hat seinen Preis: „Im Hochsommer hängen wir den ganzen Tag in der Sonne.“ Dann fielen die meisten Arbeitsstunden an, weil der Auftragsstau der nassen Monate abgearbeitet werden müsse, erläutert Ardner. Zu seinem Job gehöre es eben, in der Sonne zu stehen, um andere vor ihr zu schützen, resümiert er lakonisch.
Outdoor-Worker wie Marko Ardner sind dem Wetter quasi ausgeliefert, wobei die Klimakrise ein Übriges tut: „Insbesondere die Belastung durch Hitze, Schwüle und UV-Strahlen hat zugenommen“, erklärt Melanie Weiss, Leiterin der Arbeitsgruppe „Klimawandel, Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit“ des Verbands deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW).
Dreimal so viel Hitzetage
Beschäftigte in Bereichen wie Bau-, Land- und Forstwirtschaft, beim Garten- und Landschaftsbau, in der Abfall- und Reinigungswirtschaft, Fahrradkuriere, Fassadenreinigung und Sonnenschutztechnik, aber auch Kellner:innen, Bademeister:innen und Kita-Kräfte bekommen die klimatischen Veränderungen besonders deutlich zu spüren. Rechnet man alle Berufe mit Outdoor-Anteil zusammen, sind rund 15 bis 20 Prozent der Erwerbstätigen teils oder überwiegend im Freien tätig.
Ein Blick auf die nackten Zahlen belegt, mit welcher Wucht die Klimakrise die Bedingungen verändert hat, unter denen sie arbeiten. Zwischen 2011 und 2020 verzeichnete Berlin durchschnittlich 16 Tage pro Jahr mit Temperaturen von mindestens 30 Grad Celsius. Das sind dreimal so viele Hitzetage wie im Zeitraum zwischen 1951 und 1960.
Die tägliche Sonnenscheindauer hat in derselben Zeitspanne um durchschnittlich 9 Prozent zugelegt. 2023 war das wärmste jemals gemessene Jahr im Großraum Berlin. Seit Jahren geht das nun schon so: Ein Temperaturrekord folgt dem nächsten. Berlin heizt sich auf. Unaufhaltsam.
Das bekommen auch die Straßenreiniger:innen zu spüren: Neben den hohen Temperaturen und der UV-Strahlung zählt die Berliner Stadtreinigung (BSR) weitere Gefahren für ihre Mitarbeiter:innen auf: etwa ein erhöhtes Risiko durch verlängerte Aktivitätszeiträume von Zecken oder stärkere und häufigere Unwetter. Betroffen sind demnach insgesamt 2.400 Straßenreiniger:innen und 1.500 Mitarbeiter:innen der Müllabfuhr.
Die gesundheitlichen Auswirkungen sind bisweilen gravierend. Manche zeigen sich jedoch erst Jahrzehnte später. Zum Beispiel Hautkrebs: So ist die Zahl der Hautkrebsbehandlungen in Krankenhäusern laut Statistischem Bundesamt in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland um 75 Prozent gestiegen. Im Jahr 2022 starben mehr als 4.400 der 109.000 an Hautkrebs erkrankten Menschen – ein Anstieg um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 2002.
Berufskrankheit Hautkrebs
Den höchsten Anstieg bei Hautkrebsdiagnosen gab es bei weißem Hautkrebs, der durch übermäßige UV-Strahlung mit ausgelöst wird. 84.500 Fälle wurden 2022 bundesweit behandelt – mehr als doppelt so viele wie noch vor 20 Jahren. Weißer Hautkrebs gilt als gut behandelbar, ist aber schwer zu erkennen.
Seit 2015 ist die Tumorart als Berufskrankheit anerkannt. Die Deutsche Unfallversicherung listet für Berlin seither mehr als 2.000 Verdachtsanzeigen und 1.000 bestätigte Fälle von beruflich ausgelöstem weißem Hautkrebs. Dabei gilt: Wer heute erkrankt, hat jahrzehntelang Sonne getankt. Und das sind, qua Berufsbeschreibung, vor allem Outdoor-Worker.
Daneben geht eine Reihe weiterer berufsbedingter Krankheiten überwiegend auf ihr Gesundheitskonto: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hitzekollaps, hitzeassoziierte Todesfälle, Infektionen durch Zecken und Allergien. Melanie Weiss vom VDBW ergänzt: „Infektionen wie das Dengue- und das Chikungunya-Fieber, die bisher nur in den Tropen und Subtropen aufgetreten sind, werden mittlerweile auch in den hiesigen Breiten übertragen.“ Und könnten bei weiterer Ausbreitung vor allem Garten-, Feld- und Waldarbeiter:innen belasten.
Bei den Berliner Forsten, die rund 200 Forstwirt:innen, Forstrevierleiter:innen und Auszubildende beschäftigen, machen sich die Folgen der Klimakrise zusätzlich bemerkbar: „Die psychische Belastung steigt durch die sicht- und spürbaren Auswirkungen der Klimakrise auf den Wald“, so ein Sprecher der Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt auf taz-Anfrage.
Wie gefährlich Arbeiten im Freien ist, hänge von vielen Faktoren ab, sagt Melanie Weiss. Die Schwere der Arbeit spiele ebenso eine Rolle wie das Alter, der Gesundheitszustand und die eventuell erforderliche Medikamenteneinnahme. Hinzu kommen „vorhandene oder eben nicht vorhandene Arbeitsschutzmaßnahmen“, betont sie. Und hier kann menschliches Handeln den Unterschied ausmachen.
Zum Beispiel in der Vorbeugung von weißem Hautkrebs. Die Berufsgenossenschaft Bau betont gegenüber der taz, dass präventive Maßnahmen diesen in der Regel „sehr effektiv“ verhindern könnten. Bei der BG Bau setzt man dafür auf ein Zusammenspiel von technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen. Die Unternehmen sollten beim Arbeits- und Gesundheitsschutz Maßnahmen in dieser Reihenfolge priorisieren, erläutert die gesetzliche Unfallversicherung der bundesweit rund drei Millionen Beschäftigten der Bauwirtschaft.
Bei der BSR bestehen die Schutzmaßnahmen aus der Klimatisierung von Fahrzeugen und Pausenräumen auf den Recyclinghöfen sowie Verschattungsmaßnahmen auf den eigenen Liegenschaften, so das Unternehmen. Bei den Berliner Forsten setze man zur Vermeidung von hoher körperlicher Anstrengung und Überhitzung moderne Technik und Arbeitsschutzkleidung ein, so die Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt.
Die Straßen- und Grünflächenämter der Berliner Bezirke beschäftigen ebenfalls Hunderte Mitarbeiter:innen im Freien, darunter 200 beim Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Als Gärtner:innen und Gartenarbeiter:innen pflegen sie Parks und Spielplätze und kommen dabei in engen Kontakt mit der Natur und dadurch mit Pollen, Pilzsporen, Insektenstichen und Brennhaaren. Aber auch mit unliebsamem Gerät wie Spritzen, spitzen Gegenständen oder Exkrementen, so das Bezirksamt auf taz-Anfrage. Dafür gebe es Gefährdungsbeurteilungen mit entsprechenden Schutzvorkehrungen.
Alle drei öffentlichen Arbeitgeber verwiesen zudem auf eine Reihe organisatorischer Schutzmaßnahmen. Dazu zählen veränderte Arbeitszeiten, regelmäßige kurze Unterbrechungspausen im Schatten oder Ausweicharbeiten bei ungeeigneter Witterung. Für den persönlichen Schutz stellen die öffentlichen Arbeitgeber nach eigenen Angaben Sonnenschutzcremes, Sonnenbrillen oder kühle Getränke bereit. Zudem gebe es Schulungen im Umgang mit Umweltbelastungen und arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen.
Kritik gibt es unterdessen an der Feuerwehr. Zwar lobte die Gewerkschaft der Polizei, die einen Großteil der Feuerwehrleute vertritt, das Aktionsbündnis Hitzeschutz ausdrücklich. Klimaanlagen in den Fahrzeugen würden allerdings nicht ausreichen. „Wir brauchen endlich flächendeckend in allen Wachen so genannte Cooling-down-Räume, um die Feuerwehr funktionsfähig zu halten und die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen nicht zu gefährden“, fordert GdP-Sprecher Benjamin Jendro.
Ein Thema für den Personalrat? „Über die Mitbestimmungsgremien und Beschäftigtenvertretungen der landeseigenen Betriebe ist sichergestellt, dass die Interessen der Beschäftigten im Hinblick auf den Gesundheits- und Arbeitsschutz in vollem Umfang berücksichtigt werden“, heißt es aus der Senatsverwaltung für Arbeit.
Doch Mitbestimmung ist nicht überall Realität, im Gegenteil: Gerade einmal 4 Prozent der Berliner Betriebe hatten 2023 einen Betriebs- oder Personalrat, teilt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mit. Dabei ist der „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ eines der wichtigsten Beteiligungsfelder der betrieblichen Mitbestimmung – und fällt mitunter hintenherunter, wo es keine Beschäftigtenvertretungen gibt.
Noch keine Siesta
Bei der Firma, in der Sonnenschutzmonteur Marko Ardner arbeitet, werde der Arbeits- und Gesundheitsschutz gleichwohl ernst genommen, sagt er und rüttelt am Geländer der Hebebühne, auf der er in rund sechs Meter Höhe gleich seinen restlichen Arbeitstag verbringen wird. „Wenn es die Arbeitsumgebung ermöglicht, spannen wir einen Sonnenschirm auf.“ Die Sonnencreme liege zudem immer griffbereit im Auto. Längere Pausen in den Mittagsstunden, wenn die UV-Belastung am höchsten ist, seien hingegen nicht eingeplant: „In der Mittagspause holen wir uns höchstens noch schnell Eis oder kühle Getränke, dann geht es weiter. Wir wollen rechtzeitig fertig werden.“
Damit stehen Ardner und sein Kollege nicht allein da: Das südeuropäische Konzept einer langen Mittagspause hat es bislang nicht in die hiesige Praxis geschafft.
Es gibt jedoch noch ein anderes Modell, von dem seit einigen Jahren auch Berliner Dachdecker:innen profitieren. Wenn die Dachpfannen glühen, bekommen die Beschäftigten hitzefrei – für jährlich bis zu 53 Stunden bei drei Viertel Lohnausgleich. Das tarifliche Ausfallgeld gilt für die Monate April bis September. Der Arbeitgeber zahlt es an seine Mitarbeiter:innen und bekommt eine Rückerstattung von der Sozialkasse des Dachdeckerhandwerks.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“