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Bundesverwaltungsgericht urteiltFingerkuppen müssen heil bleiben

Asylbewerber schleifen sich die Fingerkuppen ab, um nicht nach Italien zurückgeschickt zu werden. Doch so verlieren sie das Recht auf ein Asylverfahren.

Jede Manipulation der Fingerkuppen sei zu unterlassen, so das Gericht Bild: dpa

FREIBURG taz | Wenn Asylbewerber ihre Fingerabdrücke manipulieren, kann das zum Verlust des Asylanspruchs führen. Das entschied nun das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil. Das Asylverfahren könne im Fall einer solchen Manipulation einfach eingestellt werden.

Wer in Europa Asyl beantragt, muss seine Fingerabdrücke überprüfen lassen. In der Datei EURODAC sind die Fingerabdrücke aller Asylbewerber gespeichert, so dass sofort auffällt, wenn jemand bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt hat. Grundsätzlich dürfen Flüchtlinge in der EU nach der sogenannten Dublin-II-Verordnung nur einen einzigen Asylantrag stellen - und zwar in dem EU-Staat, den sie zunächst betreten haben.

Seit einigen Jahren versuchen manche Flüchtlinge diese Prozedur zu unterlaufen, vor allem wenn sie die EU in Italien oder Griechenland erreicht hatten, wo Flüchtlinge kaum oder keine Versorgung erhalten. Sie stellen in Deutschland einen neuen Asylantrag und schmirgeln sich dann mit Schleifpapier oder an rauen Wänden die Fingerkuppen ab, so dass ihre Fingerabdrücke nicht auswertbar sind. Da nun keine Prüfung im Eurodac-Computer möglich ist, können sie auch nicht nach, zum Beispiel, Italien zurückgeschickt werden.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge reagierte brachial auf den Trick. Wenn ein Asylbewerber zwei Mal mit nicht auswertbaren Fingerkuppen erscheint, wird ihm unterstellt, dass er das Verfahren nicht voranbringe und dieses deshalb eingestellt werden kann. Der Flüchtling hat dann kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr und kann ohne Prüfung des Asylantrags abgeschoben werden. Die Abschiebung findet dann aber nicht nach Italien oder Griechenland statt, sondern gleich in sein Heimatland, jedenfalls, wenn ihm dort nicht Tod oder schwere Verletzungen drohen.

Im konkreten Fall ging es um einen somalischen Flüchtling, dem die Abschiebung nach Somalia angedroht wurde. Sein Anwalt argumentierte, dass der Flüchtling laut Asylverfahrensgesetz nur die Pflicht habe, Fingerabdrücke abzugeben. Es gebe keine Pflicht, „auswertbare“ Fingerabdrücke zu ermöglichen. Bei den bayerischen Verwaltungsgerichten hatte er damit sogar Erfolg, nicht aber in letzter Instanz beim Bundesverwaltungsgericht.

Die Leipziger Richter entschieden, dass aus der gesetzlichen Pflicht, die Abnahme der Fingerabdrücke zu dulden, auch die Pflicht folge, jede Manipulation der Fingerkuppen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke beeinträchtigen könnte.

Die bayerischen Gerichte müssen im Fall des Somalis nun noch einmal prüfen, ob die Fingerkuppen tatsächlich manipuliert waren. Abgeschliffene Fingerkuppen regenerieren sich nach wenigen Wochen, wenn sie nicht vorher erneut abgeschliffen werden.

Der Streit hat sich zuletzt dadurch etwas entschärft, weil das

Bundesinnenministerium die Abschiebung von Flüchtlingen nach Griechenland mittlerweile generell ausgesetzt hat. Bei Flüchtlingen, die in Italien ankamen, sagen inzwischen auch viele deutsche Gerichte, dass sie nicht in die unzumutbaren italienischen Zustände zurückgeschickt werden können.

Az: 10 C 1.13

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13 Kommentare

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  • H
    Hans

    Hier wäre nochmal interessant zu erfahren, wie laut Bundesverwaltungsgericht eine Manipulation an der Identitätsfeststellung juristisch haltbar bewiesen werden soll?

  • J
    Jette

    Keine Frage: Wer sich nicht identifizieren will, hat keine Chance auf einen Anspruch auf Asyl. Wieso denn auch?

    • @Jette:

      Da gibt es genügend Antworten:

       

      Das sind traumtiserte Menschen, die das nicht freiwillig machen, sondern aus Angst. Viele werden gezwungen durch ihre schwierigen Umstände.

       

      Diese Gesellschaft ist reich. Wir dürfen uns das nicht so leicht machen.

       

      Asyl ist ein MenschenRECHT, und hängt nur davon ab, dass ich da bin und nicht von meiner Identifizierung.

       

      Ausserdem brauchen wir dringend Zuwanderer, denn wer soll sonst die ganzen Leistungen machen, für die sich Deutsche zu schade sind?

       

      Der Mensch ist Mensch auch ohne polizeilich verwertbare Fingerabdrücke.

       

      So einfach ist das. Ohne viel Nachdenkens gleich fünf Hammerargumente. Also stellt mich ein, liebe Flüchtlingsindustrie, ich kann das und bin skrupellos.

      • @Claudia Cometh:

        Genau!

        Noch effektiver wäre, ALLE der weltweit 40 Millionen Flüchtlinge nach D holen.

        Vorher hört das Gejammer der Flüchtlingsindustrie eh nicht auf.

        In D nehmen sie jeden. Meckern darf auch niemand, sonst kommt die Rassismus- oder Nazi-Keule.

  • Wer beim ersten Mal keine auslesbaren Fingerabdrücke hat, bei dem kann das ja an den Umständen liegen, die er auf der Flucht hatte.

     

    Beim zweiten mal, wo er ja in Deutschland ist, liegt eine Nichtkooperation vor.

     

    Und wenn der Asylbewerber nicht kooperiert, dann kann man eben kein Asylverfahen eröffnen.

  • A
    Alternativlos

    Warum nicht gleich einen QR-Code auf den Arm tätowieren? Der kann dann nicht so einfach abgerubbelt werden und sieht auch noch stylisch aus!

    Das dann aber bitte auch für alle Hartz-IV-Empfänger ab dem ersten Widerstand gegen die Eingliederungsvereinbarung! Und natürlich für alle anderen Arten von Kriminellen! Und warum nicht für alle? Wir haben ja nichts zu verbergen. Und wer sich den Code entfernen lässt, existiert de jure nicht mehr und wird bei Antreffen von der Exekutive BEARBEITET!

     

    ---

     

    Wie lange wird es wohl dauern, bis wir das ebenfalls als ganz normal und alternativlos hinnehmen?

  • WD
    wie damals bei ?!

    Früher gab es eine Verpflichtung zur Führung einer Kennkarte, auf der auch Fingerabdrücke erfasst wurden. Das war früher so. Von möglichen Terroristen, wie beispielsweise ganz gewöhnlichen Europäern, verlangen die Amis wieder Fingerabdrücke. Diese werden von der EU seit einigen Jahren in Reisepässe erfasst. Darauf hat man sich mit den Amis geeinigt - in unserem Namen. Fingerabdrücke gibt es aber nicht auch umgekehrt in den Reisepässen der Amis. Die sind etwas besseres. Bevor nun die Fingerabdrücke mit den Personalausweisen erfasst werden, was derzeit schon "freiwillig" geschehen kann, verging unsere Freiheit liebende Regierung sich erst einmal an Asylbewerbern. Sonstige "Nicht-EU-Ausländer" folgten als nächstes. Auch von denen werden Fingerabdrücke genommen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir alle wieder eine Kennkarte führen. Nun recherchiert mal und lernt ein wenig über die "Kennkarte". In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich?

  • Und was ist, wenn sie aus Krankheitsgründen nicht auswertbar sind? Ich hatte das als Jugendliche längere Zeit, dass mir die Haut der Fingerkuppen so sehr aufgesprungen ist, dass ich zumindest an den Daumen wirklich schier keinen Fingerabdruck mehr hatte...

  • G
    Gast

    Das dient auch (!) dem Schutz der Flüchtlinge. Man kann sich leicht ausdenken, was passiert, wenn das Gericht entschieden hätte, das Manipulationen einen positiven Einfluss auf das Verfahren hätten. :(

  • S
    salzmade

    Ich erinnere mich an Berichte, dass gerade auch Griechenland und Italien über die Flut von Asylbewerbern geklagt haben.

    Wenn schon nicht die Not von 'befreundeten Staaten' (klingt sehr abstrakt, ja) nicht Gehör findet, dann sollte doch wenigstens die Lage der Flüchtlinge und diese 'Verzweiflungstat' (Fingerkuppeb abschleifen ist besser als ne Kugel im Kopf aber menschenwürdig und angenehm ist das bestimmt nicht..) Anlass sein zu überdenken ob die akutellen Bestimmungen (Dublin-II) so klug sind. *.*

  • Am besten, man kommt ohne Hände nach Europa.

  • J
    Johann

    In einem anderen Kontext hab ich's hier schon mal gesagt, und hier passt's auch wieder: Ich schäme mich, Deutscher zu sein.

    • @Johann:

      Das ist doch nicht nötig:

       

      Niemand hindert dich daran, deine Staatsbürgerschaft aberkennen zu lassen.