Bundesverfassungsgericht zu Oury Jalloh: Bruder von Oury Jalloh erfolglos
Das Bundesverfassungsgericht lehnt Klage der Familie ab: Im Fall des verbrannten Asylsuchenden Oury Jalloh wird es keine neuen Ermittlungen geben.
Das Landgericht Magdeburg verurteilte 2012 den Polizisten Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe, weil er Jalloh nicht permanent beobachten ließ. Immerhin hatte der Polizeiarzt, der die Fixierung empfahl, vor Selbstverletzungen gewarnt.
Die Initiative „Gedenken an Oury Jalloh“ geht jedoch seit langem davon aus, dass Oury Jalloh von Polizist:innen ermordet wurde, um Misshandlungen des Asylsuchenden nach der nächtlichen Festnahme zu vertuschen. So stellte sich heraus, dass auf der Dessauer Polizeiwache schon in den Jahren zuvor Menschen unter ungeklärten Umständen zu Tode kamen.
Auch gab es Indizien, dass das Feuerzeug, mit dem Jalloh die Matratze angezündet haben soll, erst nachträglich in den Brandschutt gelangte. Brandsachverständige kamen nach Versuchen zum Schluss, dass es unmöglich gewesen sei, allein mit dem Feuerzeug die Matratze zu entflammen.
Tatsächlich eröffnete die Staatsanwaltschaft Dessau 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen Mordverdachts gegen die zwei Polizist:innen, die Jalloh zuletzt in der Zelle kontrollierten. Für die Initiative gelten als Hauptverdächtige jedoch zwei andere Polizisten, die Jalloh festgenommen hatten.
Später übernahm die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren und stellte es ein. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg bestätigte die Einstellungen. Zuvor hatte sie in einem 218-seitigen Prüfbericht alle Beweise und Gutachten noch einmal geprüft und bewertet.
Ein Klageerzwingungsverfahren von Jallohs Bruder wurde vom Oberlandesgericht (OLG) Naumburg im Januar 2020 abgelehnt. Es sei nach wie vor naheliegend, dass Jalloh die Matratze selbst entzündet hat, so das OLG. Die Versuche eines Brandsachverständigen seien nicht aussagekräftig genug, weil er einen anderen Matratzentyp verwendete. Ein Mord durch Polizist:innen setze voraus, dass sich alle Anwesenden auf der Wache verschworen hätten.
Knochenbrüche im Gesicht
Gegen abgesprochene Aussagen der Polizist:innen spreche aber, dass diese teilweise widersprüchlich waren. Gegen keine der vier in Betracht kommenden Polizist:innen bestehe ein ausreichender Tatverdacht. Die bei Jalloh festgestellten Knochenbrüche im Gesicht könne sich dieser bei Stößen gegen die Seitenwände des Streifenwagens und gegen eine Tischplatte selbst zugefügt haben.
Dagegen erhob der Bruder Verfassungsbeschwerde. Die Ermittlungen seien voreingenommen gewesen und hätten nur das Ziel gehabt, das Verfahren einzustellen. Das OLG habe den Gruppendruck unter Polizist:innen ignoriert. Die Anforderungen des OLG an die Aufnahme von Ermittlungen seien übertrieben hoch.
Doch auch beim Bundesverfassungsgericht hatte der Bruder nun keinen Erfolg. In einem 31-seitigen Beschluss stellte eine drei-köpfige Kammer des Gerichts fest, dass die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe. Eine Verletzung von Grundrechten sei nicht zu erkennen.
Zwar habe der Bruder einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung, diesem sei die Justiz in Sachsen-Anhalt aber gerecht geworden. Sie habe umfassend ermittelt und komme zu zumindest vertretbaren Ergebnissen. An mehreren Stellen wiesen die Karlsruher Richter:innen Darstellungen in der Verfassungsbeschwerde als sachlich falsch zurück. So sei die Auswertung des Brandversuchs durch ein Expertengremium nicht „klar und eindeutig“ gewesen, vielmehr hätten sich die Stellungnahmen der Sachverständigen „gerade nicht zu einem einheitlichen Bild gefügt“. Es gebe keine Anzeichen für eine Voreingenommenheit der Justiz in Sachsen-Anhalt.
Die Verfassungsrichter:innen stützten sich auch auf eine 24-seitige Stellungnahme der Bundesanwaltschaft, die im Beschluss ausführlich zitiert wird und die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für unbegründet hält.
Die Familie Oury Jallohs will nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen.
(Az.: 2 BvR 378/20)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe