Bundestreffen der Jungen Union: Union will von Greenpeace lernen
Am letzten Tag des JU-Treffens geben sich die Teilnehmer leger: in Jeans und Hoodie. Der Unions-Fraktionschef will sogar von NGOs lernen.
Brinkhaus, der Kauder herausgefordert und überraschend bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden gewonnen hatte, gab sich bescheiden: Er sei „die Vorgruppe von Annegret Kramp-Karrenbauer“, die Generalsekretärin der CDU, die als letzte prominente Rednerin der Veranstaltung sprach. Aber Brinkhaus nutzte seine Chance, sich dem Parteinachwuchs als Erneuerer zu präsentieren, der die Probleme der Partei benennt und an Lösungen arbeitet. „Wir erreichen die Menschen nicht mehr“, sagte er. „Die schimpfen nicht mal mehr, die gehen einfach weg.“ Hier müsse ein neuer Dialog gestartet werden, und das sei die Aufgabe der Union, die als „letzte verbliebene Volkspartei der Last Man Standing“ sei.
„Wir müssen raus aus der Defensive, wir müssen kampagnenfähig werden!“, rief Ralph Brinkhaus den über 300 Delegierten und zahlreichen Gästen zu. Neben einem „breiten Kreuz für die eigenen Themen“ warb er vor allem um eine „Erneuerung der Parteistrukturen“ und damit um die Hilfe der gemeinsamen Nachwuchsorganisation der Unionsparteien: „Fordert uns, helft uns.“ Es sei wichtig, von den „Mitbewerbern“ zu lernen – nein, nicht SPD oder Grüne, sondern Bewegungen und NGOs wie Greenpeace: „Themen identifizieren, besetzen und über alle Kommunikationswege spielen.“
Da seien die Jüngeren als „digital natives“ weiter als die Älteren mit „digitalem Migrationshintergrund“. Botschaften, die die Delegierten gern hörten und Brinkhaus mit Beifall und Jubelrufen dankten. Trotz einer langen Partynacht in Kiel waren die Stuhlreihen in der Kieler Halle – sonst für Handball oder Konzerte genutzt – gut gefüllt. Nur der Kleiderstil war lässiger: Statt Anzug oder Kostüm waren viele der Delegierten am Abreisetag in Jeans erschienen. Bundesvorsitzender Paul Ziemiak, der am Freitag mit über 90 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt worden war, trug sogar einen modischen Hoodie: jung und rebellisch halt. Doch dass sich die JU in vielen Fragen eher konservativer als die Mutterpartei aufstellt, war bereits an der Gästeliste abzulesen.
Watsche für Merkel
US-Botschafter Richard Grenell, oftmals ein Kritiker deutscher und europäischer Politik, hatte am Freitag ein Grußwort gehalten, Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, ein Gegner Merkels etwa bei der Flüchtlingspolitik, war zu einer Rede zugeschaltet worden. Und Merkel musste sich bei ihrem Auftritt zwar nur wenigen kritischen Fragen stellen, bekam aber quasi im Hinausgehen eine Watsche mit auf den Weg: Nach ihrer Rede beschloss der Kongress einen Antrag, laut dem eine Person maximal drei Amtszeiten regieren sollte. Merkel, die in ihrer vierten Regierungsperiode steckt, hatte diese Idee schlankweg verworfen – die JU stimmte dennoch dafür.
Demonstrativ still blieben während Merkels Auftritt vor allem die Delegierten aus Bayern, die beim Einzug der Kanzlerin auch nicht aufgestanden waren. Reichlich Beifall hatte dagegen Jens Spahn erhalten. Dass er als Bundesgesundheitsminister im Kabinett sitzt, liegt auch daran, dass die JU nach den Wahlen im vergangenen Jahr gefordert hatte, mehr Jüngere ins Parlament zu holen. „Vollgas jetzt!“, hatte Spahn mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen gemahnt.
Der Applaus dafür wie auch der lang anhaltende Jubel für Brinkhaus’ Rede mag Merkel in den Ohren klingen: Dass er anstelle ihres Vertrauten Volker Kauder gewählt worden war, gilt als Zeichen der Bundestagsfraktion nicht nur als Kritik an Kauders Führungsstil, sondern auch als Zeichen für die Schwäche der Kanzlerin. Mit Beifall hatten die JU-Delegierten am Samstag auch Gesundheitsminister Jens Spahn empfangen, Das beinahe letzte Wort des Treffens hatte Annegret Kramp-Karrenbauer, die Generalsekretärin, die von Angela Merkel ins Amt geholt wurde.
Auch sie sprach die notwendige Erneuerung der Partei an und warnte davor, vor Wahlen bereits nach Schuldigen an den Verlusten zu suchen: „Franz Josef Strauß hätte einen Pfifferling für schlechte Umfragen gegeben, sondern gekämpft!“ Zum Lohn gab es „Annegret, Annegret“-Rufe und einen Blumenstrauß, auch wenn Paul Ziemiak das selbst altmodisch fand: „Wir sind doch eigentlich nicht bei der Seniorenunion.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles