Bundestagsdebatte nach Köln: Nüchtern und differenziert diskutiert
Die Koalition wirbt für die schnelle Abschiebung Krimineller. Die Grünen fordern mehr Polizei. Nur ein Politiker erlaubt sich eine Spitze.
Die Spitze Bosbachs blieb in der Bundestagsdebatte über die sexuellen Übergriffe auf Frauen in Köln die Ausnahme. Die Parlamentarier vermieden am Mittwoch parteipolitische Beschuldigungen, stattdessen diskutierten sie nüchtern und meist differenziert. Zu Beginn begründeten Ole Schröder, CDU-Staatssekretär im Innenministerium, und Justizminister Heiko Maas (SPD) die Pläne der Großen Koalition, kriminelle Flüchtlinge schneller auszuweisen und das Sexualstrafrecht zu verschärfen.
„Es wird keine rechtsfreien Räume in Deutschland geben“, sagte Schröder. Wenn Menschen hier Schutz suchten und schwere Straftaten begingen, „dann haben sie in diesem Land nichts zu suchen.“ Schröder thematisierte auch die Hetze von Pegida, AfD und Neonazis gegen Flüchtlinge. „Niemand darf die furchtbaren Straftaten mit Hass und Rassismus beantworten.“ In der Silvesternacht hatten vor und im Kölner Hauptbahnhof meist angetrunkene ausländische Männer Frauen bedroht, sexuell belästigt und bestohlen.
Justizminister Maas argumentierte ähnlich. „Niemand darf sich über Recht und Gesetz stellen – egal welchen oder ob er einen Pass hat.“ Er wies darauf hin, dass es Hunderttausende Flüchtlinge nicht verdient hätten, mit den Tätern in einen Topf geworfen zu werden. Das Triumphgeheul von Rassisten und Hetzern, das nach Bekanntwerden der Taten eingesetzt habe, sei „widerlich“.
Gegen den ehemaligen Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers und andere Kölner Polizisten sind Strafanzeigen wegen der Angriffe auf Frauen in der Silvesternacht erstattet worden. In den Anzeigen werde unter anderem der Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung erhoben, teilte am Mittwoch die Staatsanwaltschaft Aachen mit, die die Ermittlungen übernommen hat. Er wird nun geprüft, ob es tatsächlich Anhaltspunkte für Straftaten gibt.
Ob die Anzeigensteller in besagter Nacht selbst am Kölner Hauptbahnhof gewesen sind, konnte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht sagen. Nach einem Bericht des Westfalen-Blatts stammen die Anzeigen nicht von Opfern, sondern von anderen Bürgern.
Strengere Maßnahmen
Die Koalition will nun im Eiltempo strengere Maßnahmen beschließen. Bisher sind Menschen, die Asyl beantragt haben, vor Ausweisung geschützt. Der Schutz entfällt nur, wenn der Flüchtling zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wurde. Diese Grenze wird jetzt bei bestimmten Delikten auf ein Jahr abgesenkt. Außerdem wollen Union und SPD Lücken im Sexualstrafrecht schließen. So ist es zum Beispiel bisher schwierig, das Begrapschen in einer Menschenmenge zu ahnden.
Die Linkspartei-Abgeordnete Katja Kipping setzte in ihrer Rede einen anderen Akzent. Sie werde den Eindruck nicht los, dass in der Debatte Frauenrechte instrumentalisiert würden. „Viele, die jetzt eine Ausländer-raus-Rhetorik pflegen, haben vorher das Geld für Frauenhäuser zusammengestrichen“, sagte sie mit Blick auf Teile der Union. „Sexismus ist kein Import aus dem Ausland, sondern Bestandteil der Gesellschaft.“ Ein Viertel der in Deutschland lebenden Frauen habe laut einer Studie Gewalt durch einen Partner erfahren. Wer diese Debatte kulturalistisch führe, mache sich zum Helfershelfer von AfD und Pegida, rief Kipping.
Die Grüne Göring-Eckardt sagte, der Staat müsse garantieren, dass sich jede Frau frei im öffentlichen Raum bewegen könne. „Wenn der Staat das nicht schafft, macht das Angst.“ Göring-Eckardt forderte außerdem eine bessere Ausstattung der Polizei. „Es waren nicht genug Polizisten da, die die Taten hätten verhindern können.“
Über diese Forderung lästerte Bosbach wenig später, worauf ihn der Grüne Konstantin von Notz in einer Zwischenfrage daran erinnerte, dass die CDU seit über zehn Jahren im Bund das Innenministerium besetzt, mithin für die Bundespolizei zuständig ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen