Bundestags-Abstimmung zu Griechenland: Ja kann auch mal Nein heißen
Nach einer emotionalen Debatte ist klar: Finanzminister Wolfgang Schäuble darf über ein neues Kreditprogramm verhandeln.
Der Streit über den richtigen Umgang mit dem pleitebedrohten EU-Land hat tiefe Risse gezogen – nicht nur durch das Regierungslager. Auch die Grünen haben vergeblich um eine gemeinsame Haltung zu dem gerungen, was die Bundesregierung ihnen zur Abstimmung vorgelegt hat: Ja, Nein, Enthaltung zu den Verhandlungen um ein drittes Hilfspaket? Das Meinungsbild im Bundestag war lange nicht so unübersichtlich.
Zumal dasselbe Votum an diesem Freitag oft für gegensätzliche Positionen steht: So begründen die 60 Abweichler aus CDU und CSU ihre Neinstimme mit Zweifeln am Reformwillen der griechischen Regierung. Die Linksfraktion hingegen will mit demselben Nein ihre Unterstützung für Athen signalisieren. 23 Grünen-Abgeordnete stimmen zwar mit Ja, wollen dies aber als Kritik am Kurs von Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verstanden wissen, die meisten Grünen-Parlamentarier enthalten sich – aus ebendiesem Grund.
In einer emotionalen Debatte appelliert Merkel an die Abgeordneten, sich erneuten Milliardenhilfen nicht zu verweigern. Sie wirbt um Verständnis für die dramatische soziale Lage in Griechenland und verspricht, sich weiter für dessen Verbleib im Euro einzusetzen. Jeder andere Weg wäre „grob fahrlässig“, denn dem Land drohten Chaos und Gewalt. Für sie sei auch eine Auszeit vom Euro „nicht gangbar“, stellt die Kanzlerin klar – und dankt trotzdem demonstrativ Schäuble, der die Grexit-Option immer wieder ins Spiel gebracht und damit empörte Reaktionen selbst aus der SPD provoziert hatte. Der Koalitionspartner demonstriert seine Verbitterung über den Finanzminister auch in der Sondersitzung: Schäuble bekommt kaum Applaus aus den Reihen der SPD-Fraktion.
„Verdammt viel Vertrauen verspielt“
„Jede Debatte über den Grexit muss jetzt der Vergangenheit angehören“, verlangt Vizekanzler Gabriel. Deutschland müsse die Griechen aus „Mitmenschlichkeit“ unterstützen – das sei das wichtigste Argument. Zugleich räumt der SPD-Chef ein, die bisherigen Rettungspakete hätten nicht funktioniert. In Griechenland müsse dringend ein „handlungsfähiger Staat“ aufgebaut werden, Europa dürfe sich nicht als „Rückzugsraum für asoziale griechische Superreiche“ hergeben.
Doch die Opposition nimmt sich auch den SPD-Chef vor – schließlich habe Gabriel die gefährliche Grexit-Option des Finanzministers ebenfalls unterstützt, kritisiert Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Beide hätten sich auf ein niveauloses „Armdrücken mit Tsipras eingelassen“. So habe die Bundesregierung „verdammt viel Vertrauen verspielt“. Dann erläutert die Grünen-Politikerin blumig das zersplitterte Abstimmungsverhalten ihrer Fraktion, die sich mit 33 Stimmen mehrheitlich enthält – bei zahlreichen Ja- und wenigen Neinvoten. Jede grüne Stimme, sagt sie, sei eine für das Hilfspaket und gegen die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung.
„Ein letzter Versuch“
Als Linksfraktionschef Gregor Gysi neue Attacken gegen Schäuble reitet, schaut der Finanzminister nur noch weg. Gysi wirft Schäuble vor, „die europäische Idee zu zerstören“. Der Minister schade Deutschlands Ansehen und betreibe politische „Rufschädigung“. Dann wird es auch bei Gysi komplizierter: Denn die Linksfraktion befürwortet das Hilfspaket, stimmt aber dennoch mit Nein – und zwar im Gegensatz zur Regierung von Alexis Tsipras, der ihre Solidarität gelten soll.
Der vielkritisierte Finanzminister Schäuble warnt seine politischen Gegner im Plenarsaal, es sich nicht zu einfach zu machen: Griechenland werde nicht dadurch gerettet, dass man jemanden zum „Bösewicht“ erkläre. Das dritte Hilfspaket sei nun „ein letzter Versuch“, eine „außergewöhnlich schwierige Aufgabe“ zu erfüllen. Zwar versichert Schäuble, dies könne klappen – überzeugt wirkt er nicht.
Am Ende aber ebnet der Bundestag der neuen Verhandlungsrunde trotzdem den Weg: mit 439 von 598 Stimmen bei 119 Neinvoten und 40 Enthaltungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste