Bundespräsident Gauck in der Schweiz: Inmitten hoher Berge
Bei seinem Schweiz-Besuch war Präsident Gauck für die EU-Freizügigkeit und den Kampf gegen Steuerbetrug. Nur einmal provozierte er Widerspruch.
BERN taz | Auf einmal wurde es – trotz des starren Protokolls – doch noch emotional. Sein Land brauche, sagte Didier Burkhalter bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Joachim Gauck, „Verständnis und Pragmatismus von unseren europäischen Freunden“. Das Ergebnis des Volksentscheids zur Zuwanderung vor wenigen Wochen sei nun mal das Ergebnis direkter Demokratie, mithin ein Stück Schweizer Kultur, so der Schweizer Bundespräsident.
Dazu gehöre es, Abstimmungsergebnisse auch dann zu akzeptieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger anders abstimmen als die Politik es sich wünscht. Man werde einen Teufel tun und die Schweizer imd Schweizerinnen erneut abstimmen lassen, um ein der Europäischen Union genehmes Ergebnis zu erzielen.
Warum diese Emotionalität? Nun, seit dem 9. Februar ist das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu ihrem Nachbarland Schweiz noch komplizierter geworden, als es ohnehin war. An diesem Tag nahmen die Schweizer mit 50,3 Prozent denkbar knapp eine Volksinitiative gegen „Masseneinwanderung“ an.
Betroffen sind vor allem EU-Bürger, für die bislang volle Personenfreizügigkeit galt, darunter hunderttausende Deutsche. Dem Land bleiben drei Jahre Zeit, um eine Verfassungsänderung umzusetzen und Verträge mit der EU neu auszuhandeln. Die EU hat im Gegenzug schon mal die Verhandlungen über eine Beteiligung der Schweiz an dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus Plus sowie dem EU-Forschungsprogramm Horizont 2020 auf Eis gelegt.
Gauck im CERN
Um die Stimmung nicht weiter eskalieren zu lassen, hat der deutsche Bundespräsident den Termin seiner ohnehin geplanten Schweiz-Besuch vorgezogen. Beziehungspflege ist angesagt. Und das hatte bis zu dieser Pressekonferenz auch wunderbar funktioniert: schöne Bilder in der Berner Altstadt, Damenprogramm für Gaucks Lebensgefährtin Daniela Schadt, abends eine honorige Rede des deutschen Bundespräsidenten in der Hauptstadt Bern.
Aber dann erklärte Joachim Gauck, die direkte Demokratie der Schweizer berge „große Gefahr bei komplexen Politikthemen“. Er hingegen sei ein überzeugter Unterstützer der repräsentativen Demokratie, mit der Deutschland „sehr gut fährt“. Kaum verwunderlich, dass Didier Burkhalter da Respekt für seine Schweizer einforderte.
Ansonsten tat der 74-Jährige Gauck, was seines Amtes ist. Er repräsentierte und warb für ein besseres Miteinander. Er schritt die Ehrenformation ab und traf Schweizer Wirtschaftsvertreter. Er gab einen Empfang und besuchte ein Reformations-Museum und das weltberühmte Kernforschungszentrum CERN. Er tat, was ein Staatsoberhaupt eben so tut, wenn gute Beziehungen schöne, vergewissernde Bilder brauchen.
„Großer diplomatischer Erfahrungsschatz“
Denn die Schweiz spielt dieser Tage noch eine weitere, außenpolitische Rolle in Europa. Seit Januar hat das Land den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) inne – und die spielt in der aktuellen Krim-Krise plötzlich eine wichtige Rolle. Sie hat, auch unter Vermittlung des deutschen Außenministeriums, eine Beobachtermission in die Ukraine entsandt, um zu kontrollieren, ob dort der Schutz von Minderheiten gewährleistet wird. Im außenpolitischen Ringen mit dem russischen Präsidenten Putin wird in diesen Tagen jede Stimme gebraucht.
Was Burkhalter als Außenminister und OSZE-Chef kommunikativ in die Wege geleitet hat, ist beachtlich. Er selbst lobte die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank Walter Steinmeier in der Krim-Krise: „Wir sagen Bravo!“ Entsprechend lobte Gauck bei seiner abendlichen Rede in einem Berner Luxushotel den „großen diplomatischen Erfahrungsschatz und die einmalige Vertrauensstellung der Schweiz“ sowie ihre beachtlichen Erfolge bei dem Versuch, „Europas schwerste Krise seit dem Ende des Kalten Krieges zu entschärfen“.
Er als Ostdeutscher, der die Weltläufigkeit der Schweiz stets bewundert habe, werde sich immer wünschen, dass das Nachbarland Teil der Europäischen Union wird, sagte Gauck. Er würdigte die Zuwanderung als Bereicherung für jede Gesellschaft und mahnte an, dass die Binnenfreizügigkeit „ein Herzstück des gemeinsamen Binnenmarktes“ ist. In Zukunft bedürfe es „politischer Weisheit und unglaublicher Sensibilität, bis die Schweiz und die EU zu akzeptablen Regelungen kommen können“.
Diesmal keine Kavallerie
Gauck erwähnte dabei auch die Maßnahmen der Schweiz beim Kampf gegen Steuerbetrug. Ihn freue, dass das Land beim Thema Bankgeheimnis mittlerweile mit seinen internationalen Partnern nach Lösungen suche. Bei diesen Worten ging ein Raunen durch den Saal. Bis heute ist die Einlassung des einstigen SPD-Finanzministers Peer Steinbrück von 2009, man müsse die „Kavallerie“ in das Nachbarland einreiten lassen, in der Schweiz unvergessen.
Bei der Pressekonferenz wenige Stunden zuvor hatte Bundespräsident Burkhalter erklärt, sein Land sei bereit, einem neuen Standard zum Banken-Informationsaustausch zuzustimmen – aber nur, wenn diese Regeln für alle Hauptfinanzplätze gelten.
Möglich, dass Gaucks Besuch die angekratzte Beziehung beider Länder tatsächlich zum Guten beeinflusst hat. Im staatlichen Fernsehen war seine Reise die Spitzenmeldung. Es zwischen beiden Staaten wie stets unter Nachbarn: man kann nebeneinander herleben. Aber wenn ein Baum auf der Grundstücksgrenze Schatten wirft, wird man miteinander reden müssen. Das haben beide Bundespräsidenten versucht.
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