Bundesjugendspiele, Thüringen und Bundestag: Ich reg' mich nicht auf!
Je lauter man in den Thüringer Wald hineinruft: „Ihr seid scheiße“, desto mehr wählen dort erst recht rechts. Deshalb gilt: nur immer die Ruhe bewahren.
A m Ende dieser Woche ist mir eines klar geworden: Wir müssen uns abregen. Dringend. Alles andere führt ins Verderben. Die ständigen Empörungswellen von links und rechts scheinen ja nur Rechten Erfolg zu bringen. Weltweit, auch in Deutschland, ist die Tendenz eindeutig. Grüne und SPD verlieren, die Union liegt vorn. Die AfD steht bei 20, die Linke bei 4 (!) Prozent. Und je lauter man in den Thüringer Wald hineinruft: „Ihr seid scheiße“, desto mehr wählen dort erst recht rechts. So kann, so darf das nicht weitergehen.
Stopp! So weit, so einfach. Abregen ist leider schwieriger. Eine Möglichkeit, die ich erwogen habe, ist, auf Sahra Wagenknechts Parteiaustritt zu warten, weil dann die Linke vielleicht wieder für Linke wählbar wird, ein Linksruck im Land entstehen oder wenigstens ein paar AfD-Fans zu Wagenknechts neuer Partei abwandern könnten. Aber das dauert wohl noch etwas und scheint mir bei näherer Betrachtung auch keine hinreichende Perspektive, um die Weltlage oder wenigstens mich persönlich zu beruhigen.
Also habe ich versucht, mich in dieser Woche über gar nichts aufzuregen und alles gut zu finden. Zum Beispiel die neue Kindergrundsicherung, die endlich beschlossen wurde, um wenigstens den Kleinsten in diesen harten Zeiten beizustehen: Jedes Kind bekommt ab sofort garantiert eine Urkunde bei den Bundesjugendspielen, ohne strenge Punktwertung, egal wie weit es genau gesprungen, gerannt oder gestolpert ist. Wenn das nichts ist!
Damit helfen die KultusministerInnen auch der Ampel, weil die armen Kleinen und ihre Familien jetzt sicher dankbar sind und gern auf das schnöde Geld verzichten, das die Regierung einst versprochen hatte, aber leider auch nach zwei Jahren noch nicht zusammenkratzen konnte, weil …, weil …, ja weil halt. Irgendwas Wichtigeres ist immer, und seien es Spionageschiffe. Immerhin bekommt das Prekariat als Inflationsausgleich 41 Cent mehr Mindestlohn! Wer will da noch klagen?
Einmal vorn sein
Trotzdem gab es auch in dieser Woche wieder einige Wutausbrüche. Viele JournalistInnen empörten sich, weil Eltern, die mehr als ein Jahresbrutto von 180.000 Euro verdienen, kein Elterngeld mehr bekommen! Soll keiner sagen, dass nicht über echte Not berichtet wird. Andere sahen das Vater-Jahn-Land in Gefahr, weil die Kleinen ohne knallharten Wettbewerb an der Sprunggrube ab der ersten Klasse nicht ausreichend auf die real existierende Leistungsgesellschaft vorbereitet werden.
Die Sportnation Deutschland schafft sich ab! Echt jetzt? Ich gebe zu, ich schwanke noch, weil das mit der Gerechtigkeit auch hier leider nicht so einfach ist. Einerseits stellten die Bundesjugendspiele unsportliche Kinder vor eine Herausforderung und mögliche Blamage, die ihnen nun zum Glück erspart bleibt – auch wenn es für manche StreberInnen die einzige Pleite im Jahr war.
Andererseits bietet gerade dieser Wettkampf bisher den bildungshintergründlich Gehandicapten und deshalb schulisch Schwächsten eine Chance, wenigstens einmal im Jahr aufzutrumpfen. Aber der Kulturkampf wird hier sicher nicht entschieden, und ich will mich ja nicht aufregen! Jedenfalls nicht so sehr wie Herr Heilmann von der CDU, der in Karlsruhe geklagt hat, weil ihm das mit dem Heizungsgesetz im Bundestag zu schnell ging, und der damit auch noch recht bekam. Völlig unverständlich!
Zu schnell? Das muss ein Witz sein. Wer das Wort Heizungsgesetz nach all dem ewigen Hin und Her noch hören kann, muss in den letzten Monaten in einem anderen Land gelebt haben. Mit ihrem endlosen Gezänk, anfangs ohne Rücksicht auf Verluste der monetär Schwachen, hat die Ampel doch längst alles dafür getan, dass selbst die Gutwilligsten die Klimapolitik nicht mehr verstehen. Mit ihrem genialen Gesetzdurchdrückversuch hat sie dann auch noch gewissenhaft die Rechte des Parlaments gestärkt: Union und AfD.
Nein, ich rege mich gar nicht auf! Und schlage zur Beruhigung vor: Bei der nächsten Wahl werden die Stimmen nicht gezählt, und alle, die noch teilnehmen, bekommen eine Urkunde.
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